Die Finanzkrise und Chinas Rolle in der Weltwirtschaft

Der Papiertiger wird verwarnt

Bislang war China der wichtigste Finanzier des US-Haushaltsdefizits. Doch offenbar mehren sich die Zweifel, ob die USA noch kreditwürdig sind.

Ein Dementi ist häufig die beste Bestätigung eines Gerüchts. Dies gilt insbesondere, wenn das Gerücht zwar zurückgewiesen, dabei implizit aber angedeutet wird, dass es im Kern die Fakten womöglich doch richtig wiedergibt. Als die chinesische Bankenaufsicht am 25. September einer Meldung der South China Morning Post widersprach, die berichtete, chinesische Banken seien von höchs­ter Stelle dazu aufgefordert worden, amerikanischen Banken am Interbankenmarkt kein weiteres Geld mehr zur Verfügung zu stellen, folgte die Relativierung noch im selben Statement. Wenn die Banken kein Geld mehr hätten verleihen wollen, so die Behörde, hätte dies natürlich der »normalen Praxis der Risikokon­trolle« entsprochen.
Zumindest wird nicht bestritten, dass es gute Gründe für die Chinesen gibt, US-Finanzinstitute derzeit nicht als kreditwürdig anzusehen. An sich ist das, unabhängig davon, für wie glaubwürdig man das chinesische Statement hält, nicht sonderlich spektakulär. Wenn Banken potenziellen Pleitiers kein Geld mehr hinüberzuschieben bereit sind, ist dies der normalste Vorgang der Welt. Wer würde schon einem kurz vor der Insolvenz stehenden Konkurrenten Geld leihen? Im besten Fall zahlt der Konkurrent seine Schulden zwar zurück, aber seine Rettung liegt ja kaum im eigenen Interesse. Andernfalls wird man ihn zwar los, aber das Geld ist weg.
Was zunächst kaum bemerkenswert erscheint, ist dennoch politisch von einiger Brisanz. Denn vor der Finanzkrise war das chinesisch-amerikanische Verhältnis trotz aller politischen Konkurrenz wirtschaftlich nahezu symbiotisch. Die chinesische Zentralbank hortete die weltweit größten Devisenreserven in Dollar, 1,8 Billionen, und stützte damit die zunehmend unter Druck geratene US-Währung. Zudem finanzierte sie damit einen erheblichen Teil des gigantischen Haushaltsdefizits der USA, was im Gegenzug dazu führte, dass amerikanische Bürger genug in den Portemonnaies behielten oder zumindest genug Kredit hatten, um die Produkte der längsten Werkbank der Welt zu kaufen.

Zu Beginn der Finanzkrise war die chinesische Regierung bemüht, die Symbiose zu erhalten. So war es beispielsweise die staatliche China Investment Corporation, die, als Morgan Stanley Ende des vergangenen Jahres zunehmend unter Druck geriet, 5,5 Milliarden Dollar in die marode Bank investierte. Vor allem aber spiegelt sich die chinesische Finanzpolitik in dem Verhalten gegenüber den amerikanischen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac wider. Die chinesische Staatsbank pumpte noch im ersten Halbjahr 2008 weit über 100 Milliarden Dollar in das Pleitegespann, so dass sich am Ende eine gigantische Gesamtkreditsumme von insgesamt 376 Milliarden Dollar, immerhin ein Fünftel der Devisenreserven, aufgetürmt hatte.
Seit diesem Sommer aber hat die Führung in Peking umgelenkt. Am 29. August verkündete die Bank of China in ihrem Quartalsbericht, sie habe ihr finanzielles Engagement bei den beiden maroden Hypothekenbanken um 25 Prozent verringert. Dies gab Fannie und Freddie endgültig den Rest. Die Kursverluste am nächsten Tag waren die höchs­ten in ihrer Geschichte und zwangen die US-Regierung zum Handeln. Dass sich die chinesischen Banken dem allgemeinen Trend der Kreditverweigerung anschlossen, verschärfte die Situation noch zusätzlich.

Aber nicht nur die finanzielle Abhängigkeit der USA von einem Land, in dem noch vor knapp 50 Jahren Millionen Menschen verhungerten, zeigt die neuen Machtverhältnisse. Auch der politische Ton hat sich verändert. Die Zeit zitiert in ihrer Ausgabe vom 25. September eine E-Mail Yu Yongdings, des Direktors des Instituts für Weltwirtschaft und Politik an der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften und wichtigsten finanzpolitischen Regierungsratgebers, an die Nachrichtenagentur Bloomberg, die genau einen Monat zuvor versendet worden war. Yu Yongding fordert die US-Regierung mit harschen Worten zum Handeln auf: »Wenn die US-Regierung Fannie und Freddie zusammenbrechen lässt und die Investoren nicht adäquat entschädigt werden, wird das katastrophale Folgen haben.« Dem Teilrückzug chinesischen Kapitals war also eine Warnung vorausgegangen.
Natürlich wäre es naiv, ginge man davon aus, die Verstaatlichung der beiden Hypothekenbanken, die Anfang September erfolgte, sei ausschließ­lich auf den chinesischen Druck zurückzuführen. Es wäre jedoch auch absurd, anzunehmen, die Drohung aus China hätte keinerlei Bedeutung. Mit seinem Außenhandelsüberschuss von über 350 Milliarden US-Dollar stellte und stellt China für die notorisch defizitär wirtschaftenden USA derzeit nicht nur das größte Kreditreservoir dar. Wenn die chinesische Zentralbank ihre Dollar­reserven auf den Weltmarkt werfen würde, wäre die US-Währung entwertet. Der ungeliebte Konkurrent könnte Amerika wirtschaftlich ruinieren. Dies dürfte derzeit kaum im Interesse Chinas liegen, doch die USA sind erpressbarer geworden.

Allen Mythen vom Finanzkapitalismus zum Trotz verdeutlicht sich hier, dass zumindest tendenziell die Macht dort liegt, wo auch die reale Wertschöpfung stattfindet. Und dies ist zunehmend in China und einigen anderen so genannten Schwellenländern der Fall. Nicht zufällig gehen so auch die chinesischen Banken als Gewinner aus der Krise hervor, die ihr Geschäft nicht mit Finanzprodukten, sondern mit konventionellen Sparereinlagen und Geschäftskrediten machen. Dieses Szenario hatte bereits im März eine Studie der Boston Consulting Group vorhergesehen. Darin hieß es, neue Player aus China oder Indien würden in Zukunft weltweit eine größere Rolle spielen als bisher.
Ob es den USA ähnlich ergehen wird wie einst dem britischen Empire, ihrem Vorgänger am Platz an der Sonne im kapitalistischen Weltsystem, das sich nach der Gründerkrise einige Zeit noch als Finanzplatz halten konnte, ohne Zentrum der Wertschöpfungskette zu sein, um dann schließ­lich doch der ehemaligen Kolonie auf der anderen Seite des Atlantik weichen zu müssen, bleibt abzuwarten. Zu bedeutsam ist der US-Markt für die Weltwirtschaft.
Auch die Militärpolitik könnte das Ende der US-Hegemonie beschleunigen. Etwa so teuer wie der bailout, das in der vergangenen Woche beschlossene Programm zum Aufkauf fauler Kredite, für das 700 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden, ist der Irak-Krieg bislang gewesen. Dies hat die finanzielle Abhängigkeit der USA weiter erhöht. Ob schon mittelfristig der Übergang zu einer chinesischen Dominanz zu erwarten ist, kann bezweifelt werden. Doch China hat einen großen Sprung nach vorn geschafft, während die USA zurückbleiben.