Der mallorquinische Comic-Künstler Max im Gespräch

»Wir wurden wegen Obszönität angeklagt«

Francesc Capdevila, den man nur unter seinem Künstlernamen Max kennt, ist einer der bekanntesten Comic-Künstler Spaniens. 1956 in Barcelona geboren, lebt er seit 24 Jahren auf Mallorca. In den frühen Siebzigern begann er während der Franco-Diktatur als Undergroundkünstler, heute ist er als Illus­trator ­tätig und international bekannt. Max war Hippie, dann Punk, heute trägt er wieder Pferdeschwanz und einen aus­ufernden Backenbart. Er bringt jede Menge Zeit für ein Gespräch mit und zeichnet uns noch schnell eine echte Max-Illustration. Später schauen noch seine Tochter und seine Ehefrau vorbei.

Wir sitzen hier im Café des Kulturzentrums Casal Solleric in Palma. Nebenan gibt es eine Ausstellung über Gilbert Shelton, einen Pionier des amerikanischen Undergroundcomics, den Schöpfer der »Freak Brothers«. Sie selbst haben nicht zuletzt wegen Shelton in den frü­hen siebziger Jahren begonnen, Comics zu zeichnen. Wie war das damals während der Franco-Diktatur?

Die Siebziger in Spanien verliefen anders als im Rest Europas. Wir lebten unter Francos Diktatur und es gab eine starke Zensur, besonders in Bezug auf Politik, Religion und Sex. Aber Informationen sickerten dennoch von außen durch: Musik, amerikanische Underground-Comics, alles mögliche. Als ich 17 Jahre alt war, traf ich Leute, die in Spanien Comics zeichneten. Ich selbst hatte als Kind immer Comics gelesen, aber nie daran gedacht, selbst welche zu zeichnen. Plötzlich dachte ich: Ja, das ist es, was ich auch machen will.

Sie haben also nicht schon, wie viele anderen Comic-Künstler, als Kind begonnen zu zeichnen, sondern erst später?

Ich träumte anfangs eher davon, Maler zu werden. Ich veröffentlichte meinen ersten Comic 1973 und begann dann trotzdem noch ein Jahr später, Kunst zu studieren. Comics machte ich, ohne dabei groß über irgendetwas nachzudenken. Ich zeichnete einfach und veröffentlichte in illegalen Fanzines. Wir verkauften unsere Comics nachts auf den Straßen, versteckten sie unter unseren Jacken. Wenn wir jemanden mit langen Haaren oder Bart sahen, fragten wir: Willst du einen Comic?
Das war die Periode zwischen 1973 und 1979.Nachdem Franco gestorben war, gab es etwas mehr Freiheit, auch für Comic-Künstler.

Wie subversiv war das, was Sie damals machten?

Es war subversiv, natürlich. Immerhin handelten unsere Comics von Drogen, Politik und Sex.

Haben Sie Probleme bekommen wegen Ihrer Comics?

Ja, wir hatten einige Prozesse. Wir wurden angeklagt wegen Obszönität und mussten Geldstrafen zahlen.

Sie sagten eben, nach Francos Tod gab es plötz­lich mehr Freiheiten in Spanien. Wie zeigten sich diese Freiheiten?

In politischer Hinsicht dauerte es noch zwei Jahre, bis eine wirkliche Demokratie etabliert wurde. Aber bevor es soweit war, fingen die Leute langsam schon an zu tun, was sie wollten. Die Menschen hatten keine Angst mehr. Schon einen Tag, nachdem Franco gestorben war, wusste die alte Regierung, dass es für sie zu Ende ging. Eine neue Freiheit entstand. Thea­ter, Musik, alles war plötzlich alternativ, experimentell und vor allem neu. Es war eine große Party.
Es war diese merkwürdige Zeit zwischen Dikta­tur und formaler Demokratie, in der alles möglich schien. Und auch die meisten guten Dinge, die heutzutage passieren in Spanien, haben ihre Wurzeln immer noch in diesen Jahren.

In den Achtzigern waren Sie Punk. Sie erfanden sogar eine Figur, die sich »Peter Pank« nannte und Protagonist mehrerer erfolgreicher Alben war. Die meisten Leute, die in den Siebzigern im Freak- und Hippie-Underground groß geworden sind, lehnten Punk eher ab: Punks, das waren doch diese Nazis.

Ich kam tatsächlich ein kleines bisschen spät zum Punk. Nicht im richtigen Moment. Am Anfang fühlte ich mich davon ja auch abgestoßen. Ich war eben wirklich ein Hippie. Aber dann musste ich meinen Militärdienst ableisten. Ich ging für eineinhalb Jahre zur Armee, und als ich zurückkam, war ich ein Punk.

In den frühen Achtzigern veränderte sich Ihr Stil. Sie prägten den Comic-New-Wave dieser Zeit mit und veröffentlichten in dem für die spanische Szene extrem wichtigen Undergroundmagazin El Vibora.

Mein Stil veränderte sich, als ich die Comics wie­derentdeckte, die ich schon als Kind gelesen hatte, hauptsächlich Hergé. Meine Art zu zeichnen wurde sauberer, aber ich veröffentlichte weiterhin in alternativen, nichtkommerziellen Magazinen, bis ich bei El Vibora landete, das Ende 1979 gegründet wurde. Dort zu zeichnen, war ein richtiger Job, El Vibora war ein monatlich erscheinendes Magazin. Ich musste also regelmäßig jeden Monat acht Seiten zeichnen. Das war neu für mich. Und ich wurde zum ersten Mal bezahlt.
In den ersten vier Jahren von El Vibora wurde der Verlag von einem anarchistischen Kollek­tiv geführt. Der Verleger war einer von uns. Wir trafen uns und entschieden alles zusammen. Die Geschichten orientierten sich stark an der spanischen Realität, wir adaptierten dafür alle möglichen zeichnerischen Stilrichtungen.
Wir sprachen über die Schattenseiten des täglichen Lebens auf den Straßen. Und irgendwie kreierten wir dabei eine Formel, die Erfolg hatte. Ich erfand die Figur des Ökologen Gustavo, der auch ein bisschen ein Terrorist war, ein anderer schuf einen transsexuellen Detektiv, und wieder andere beschäftigten sich mit dem Rotlicht-Milieu. Mit unseren Themen deckten wir wirklich ein breites Spektrum ab.

Anstatt Strips dominieren heute epische Graphic-Novels die Comic-Szene. Finden Sie das gut, weil der Fokus stärker auf dem Grafischen liegt, für das Sie sich inzwischen ja ver­stärkt interessieren, oder vermissen Sie das Direkte, Spontane der schnellen Produktion aus früheren Zeiten?

Für mich ist es so, wie es heute ist, okay. Ich bin jetzt schließlich 50, damals war ich 20. Ich nehme mir jetzt mehr Zeit, arbeite langsamer.
Es ist trotzdem ein schrecklicher Verlust, dass es keine monatlich erscheinenden Magazine mehr gibt, die man am Kiosk kaufen kann. Wenn ein junger Zeichner heute eine Karriere beginnen will, muss er erstmal ein 100 Seiten starkes Buch produzieren. Und es muss ein gutes Buch sein! Aber du kannst kein gutes 100 Seiten starkes Buch produzieren, wenn du 20 Jahre alt bist! Dafür brauchst du Übung.
Außerdem ist das Problem, dass du ein 100-Seiten-Buch produzieren musst, die Bezahlung aber Scheiße ist! Das ist eine unmögliche Situa­tion, das kann nicht länger so weitergehen.

In den Achtzigern haben Sie damit begonnen, professionell als Illustrator zu arbeiten. Hat das Ihre Art, Comic-Geschichten zu erzählen, verändert?

Für fast fünf Jahre hatte ich ganz aufgehört, Comics zu zeichnen. Ich würde allerdings nicht sagen, dass das meine Comics beeinflusste, als ich wieder welche zeichnete. Es war eher umgekehrt: Die Comics beeinflussten meine Illus­trationen. Illustratoren, die nur bebildern, haben eigentlich immer einen völlig anderen Ansatz als die, die auch Comics zeichnen. ComicZeichner fügen etwas Unsichtbares zu ihren Illustrationen, das aber dennoch da ist. Die Zeich­nung lässt den Leser davon phantasieren, was im Moment davor und was danach passiert, es gibt eine narrative Ebene in der Zeichnung. (Max zeigt zum Beleg seiner These eine Illustration eines Mädchens, das gerade einen offensichtlich überraschten Bankräuber küsst. Tatsächlich fragt man sich: Warum? Und: Wie ist es dazu gekommen, wie wird es weiter gehen?)

Als Sie begannen zu zeichnen, war das sehr politisch. Heute, wo Sie als Illustrator gut im Geschäft sind, engagieren Sie sich immer noch. So haben wir entdeckt, dass Sie auch ein Poster für die anarchistische Gruppierung Estel Negre (Schwarzer Stern) gezeichnet haben. Wie kam es dazu?

Sie haben mich einfach gefragt, und ich sympathisiere mit ihnen, also habe ich es gemacht. Außerdem bin ich, ohne Zweifel, eben immer noch ein Linker. Das ist auch aus meinen Comics ersichtlich.

Die Linken in Katalonien tendieren oft zu linkem Nationalismus und setzen sich für eine Art Befreiung Kataloniens von Rest­-Spanien ein. Was halten Sie davon?

Zur Hölle mit dem Nationalismus. Ich bin Katalane, ich denke auf Katalanisch, und ich will das Recht haben, zu meinen Leuten auf Katalanisch zu sprechen. Meine Kultur soll eine Chance haben zu leben. Aber das ist auch alles. Ich will keinen katalanischen Staat. Der wäre dieselbe Scheiße wie alle anderen Nationalstaaten.

Zum Schluss noch ein anderes Politikum: Wie würden Sie die Deutschen auf Mallorca beschreiben?

Es gibt das Thema Deutsche auf Mallorca, keine Frage. Da ich nicht an der Küste wohne, sehe ich auch andere Deutsche als die von El Arenal. Wenn ich wandern gehe in den Bergen, sehe ich nette Leute, die da eben auch wandern. In dem Dorf, in dem ich lebe, leben Deutsche, die meisten sind ebenfalls nette Leute. Es kommen so viele Deutsche her, dass wir hier jede repräsentative Gruppe haben, die es auch in Deutschland gibt.
Aber sogar unter denen, ich nenne sie die »Hooligan People«, die nur hierher kommen, um in die Disko zu gehen, um zu ficken und zu saufen, sind die Deutschen sehr viel angenehmer als etwa die Engländer. Sie sind friedlicher. Die Engländer geraten immer in Auseinandersetzungen mit den Leuten hier. Es kommt zu Schlä­gereien. Manchmal gibt es dabei sogar Tote.

Sind die Mallorquiner nicht trotzdem auch von den Deutschen hier genervt?

Nein, irgendwie schätzen sie die Tatsache, dass die Deutschen normalerweise höflich sind, aber vor allem sehen sie sie natürlich als wandelnde Geldbeutel.