Österreich vermisst Jörg Haider

Ganz Österreich ist sturzbetroffen

Jörg Haider ist tot, und niemand freut sich. Die nationale Trauergemeinschaft Österreich feiert ihn derzeit als großen Staatsmann.

Dem modernisierten europäischen Rechtsextremismus ist mit Jörg Haider eine Leitfigur abhanden gekommen, weil sie sich volltrunken hinter das Steuer setzte und nach Walhall raste. Seine früheren Konkurrenten, die ihn schon zu Lebzeiten nicht nur beneidet, sondern immer auch ein wenig bewundert haben, üben sich derzeit in »Pietät«, die jedes böse Wort über den Verstorbenen verbiete. Sie kaschieren damit ihre hemmungslose Verklärung und Verharmlosung eines Politikers, dem sie früher nur mit begriffs- und substanzlosen Demokratiebeschwörungen begeg­nen konnten.
Der sozialdemokratische Wiener Bürgermeister Michael Häupl sprach von seinem »Respekt für den Menschen Jörg Haider, für seine Dynamik, seine Kraft und seine Intelligenz«. Der Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) lobte einen »Poli­tiker mit großen Begabungen« und zeigte sich »tief betroffen«. Der sozialdemokratische Kanzleranwärter Werner Faymann entschied sich ebenfalls für ein »tief betroffen«, während der noch amtierende Kanzler Alfred Gusenbauer ein »sehr betroffen« bevorzugte. Die sozialdemokratische Parlamentspräsidentin würdigte »die große politische Lebensleistung« Haiders. Ähnliche Verlautbarungen kamen von der ÖVP, und auch in den Stellungnahmen der grünen Partei suchte man Wörter wie »Rassismus«, »Antisemitismus« oder »NS-Verharmlosung«, die fast jedem ausländischen Beobachter beim Gedanken an den Spross einer eingefleischten Nazi-Familie in den Sinn kommen, vergeblich.

Die Statements der Politiker entsprechen der vor­herrschenden Stimmung im Land. Schon die zahme Frage des ORF-Anchorman Armin Wolf an den neuen Vorsitzenden des BZÖ, den 27jährigen Stefan Petzner, ob Haider politisch gescheitert sei, bezeichneten Zuschauer in empörten Reaktionen als »pietätlos«. Während es bei jedem anderen Politiker als unentschuldbare Verantwortungslosigkeit gelten würde, mit 1,8 Promille und gut 180 km/h in eine Tempo-50-Zone einzufahren, steht Haider wie zu Lebzeiten nicht nur für seine Anhänger als famoser Bursche da, der sich an keine Regeln hält und halten muss.
Haiders Anhänger spekulieren darüber, ob der Mossad seine Finger im Spiel hatte oder »die Aus­länder« ihm die Reifen aufgeschlitzt haben. Sie verfielen in einen Trauertaumel, der zeitweise Lady-Di-Format annahm: Vom »König der Kärntner Herzen« war auf Plakaten zu lesen. Aus Gerhard Dörfler, dem Nachfolger Haiders als Kärntner Landeshauptmann, brach es in einer ersten Reaktion heraus: »In Kärnten ist die Sonne vom Himmel gefallen!«
Am Samstag waren dann alle nach Klagenfurt gekommen, um vom prototypischen Führer der demokratisierten Volksgemeinschaft Abschied zu nehmen: der Bundespräsident, der Bundeskanzler und sein designierter Nachfolger, Ex-Kanzler und Vizekanzler von der Volkspartei und fast alle Minister der großen Koalition, sämtliche Landeshauptleute, der Präsident der Wirtschaftskammer und der Vorsitzende der Gewerkschaft, Kame­radschaftsbündler, Burschenschaftler in vollem Wichs und 30 000 trauernde Bürger. Das Bundes­heer hielt Ehrenwache. So ist Österreich ganz bei sich – als große postnazistische Familie.
Der sozialdemokratische Kanzler attestierte dem Verstorbenen, der noch vor wenigen Wochen gefordert hatte, allen Asylbewerbern elektronische Fußfesseln zu verpassen, Asylsuchende rechts­widrig in andere Bundesländer abschob und bis zuletzt Urteile des obersten Gerichts zur Errichtung zweisprachiger Ortstafeln schlicht ignoriert hatte, er habe »ein feines Gespür für das gehabt, was sich ändern muss«, und zollte ihm gleich mehrfach »Respekt und Anerkennung«. Es war ein Staatsbegräbnis samt der Hymne jener Nation, die Haider vor seiner Phase des aggressiven Austropatriotismus ganz im Sinne des Deutsch-Nationalismus noch als »ideologische Missgeburt« bezeichnet hatte. Auch ein Sohn von Muammar Ghaddafi ließ sich bei der Beisetzung Haiders blicken. Dessen Partei setzt sich heute vehement für die Milliardengeschäfte des Erdöl- und Erdgasunternehmens OMV mit dem Iran ein. Haider selbst hatte zu Lebzeiten seine Bewegung als »PLO Österreichs« bezeichnet und fühlte sich beim irakischen Diktator Saddam Hussein sichtlich wohl, mit dem er, wie er 2003 bekannte, »in der Palästinenserfrage einer Meinung« war.
Auch Veteranen der Waffen-SS nahmen an den Feierlichkeiten mit der versammelten Staatsspitze teil, und der ORF war sichtlich bemüht, die ordenbehängten Recken nicht ins Bild zu rücken. Haider hatte die ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS zu den »anständigen Menschen« gezählt, »die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind«.

In den vergangenen Jahren hatte man Lob für die nationalsozialistischen Vernichtungskrieger oder für die »ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich« von Haider allerdings nicht mehr gehört. Und in einem seiner letzten Interviews kritisierte er die mangelnde Abgrenzung der FPÖ zum offenen Neonazismus. Sein neuestes Projekt dürfte darin bestanden haben, den postfaschistischen Konsens und die postnazistischen Ressentiments gegen jene Nazis zu organisieren, die vom Hitlergruß nicht lassen können, was aber wohl auch nichts daran geändert hätte, dass die alten Kameraden jährlich mit Unterstützung der Landesregierung am Kärntner Ulrichsberg aufmarschieren.
Österreich hat jetzt seinen Führer der Herzen, der sich als Leitfigur für die nach gemeinschaftlicher Wärme lechzenden Opfer seiner Wirt­schafts­­politik und für die erfolgreichen, kaltschnäuzigen Eventhopper in Kärnten gleichermaßen etablieren konnte. In seiner nun viel beschworenen Menschenliebe sorgte er sich dermaßen um das Wohl der Eingeborenen, dass er kurz vor seinem Tod die vereinsamte Saualpe zu einer Sonderanstalt für Asylbewerber umfunktionieren ließ, die zwar nicht verurteilt wurden, aber einer Straftat »verdächtigt« werden. Dass die sozialdemokratische Vizebürgermeisterin von Klagenfurt diese rechtswidrige Maßnahme befürwortete, zeig­te abermals, dass der Rassismus keine Spezia­lität von Haider ist. Große Teile der SPÖ im südlichsten Bundesland existieren ohnehin nur, um Erwin Ringels Charakterisierung von Kärnten zu bestätigen: »Dieses Land ist wie ein Punschkrapferl – außen rosa, innen braun und ständig unter Alkohol.«
Haider wird in seinem arisierten Bärental seine letzte Ruhe finden, aber an der Unerträglichkeit der österreichischen Normalität wird sich auch ohne ihn so schnell nichts ändern. Zu dieser Normalität gehört, dass ein Politiker mit einer mo­der­nisiert-demokratischen Variante nationalsozialistischer Ressentiments und faschistischer »Event­kultur« bei Wahlen mit der FPÖ bundesweit knapp 30 Prozent erzielen konnte und in Kärnten mit seiner BZÖ kurz vor der absoluten Mehrheit stand, dass er von seinen politischen Konkur­renten hofiert wurde und nach seinem Abgang zum Menschenfreund erklärt oder als »umstrittener Politiker« verharmlost wird und dass in den vergangenen 20 Jahren die von ihm geforder­te Ausländer- und Abschiebepolitik von sozialdemokratischen Innenministern und ÖVP-Innen­ministerinnen gewissenhaft in die Tat umgesetzt wurde.