Streiks, Banküberfälle und Enteignungen in Griechenland

Das ist alles nur geklaut

Das Geld wird knapp in Griechenland. Immer mehr Leute leben unter der Armutsgrenze. Aus Protest gegen die Regierung fand bereits ein Generalstreik statt. Aber auch Banküberfälle und Enteignungsak­tionen werden immer populärer.

»Stoppt die Regierung jetzt, sonst verkaufen sie auch die Akropolis«, lautete ein Slogan bei der Demonstration, die am Dienstag vergangener Wo­che Athen lahm legte. Im Anschluss warfen Demonstranten Steine, Molotow-Cocktails und andere Gegenstände auf Schaufenster, Autos und in Richtung von Polizisten. Es kam immer wieder zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Tränengas einsetzte. An diesem Tag fand in ganz Griechen­land ein Generalstreik statt, an dem sich nach Angaben der Gewerkschaften rund zwei Millionen Beschäftigte beteiligten.
Der Streik, der von den größten griechischen Gewerkschaftsverbänden ausgerufen worden war, richtete sich vor allem gegen die im März von der konservativen Regierung von Kóstas Karaman­lís verabschiedete Reform der Altersversorgung. Protestiert wurde außerdem gegen die geplante Privatisierung der Fluggesellschaft Olympic Airlines und gegen drastische Kürzungen der Sozialausgaben. Auf Transparenten forderten Demonstranten eine Verdoppelung des gesetzlichen Mindestlohns von monatlich 701 auf 1 400 Euro. Auch der »Rettungsplan« der Regierung für die von der Finanzkrise betroffenen Banken mit einem Umfang von 28 Milliarden Euro wurde kritisiert. »Keinen Euro zur Unterstützung der Kapitalisten!« war auf Plakaten zu lesen.
Doch vor allem die Lebenshaltungskosten sind derzeit ein Problem für einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung. Ein Blick auf die Zahlen genügt, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Jeder dritte Arbeitslose, jeder vierte Rentner und knapp 300 000 Menschen mit Arbeits­platz müssen in Griechenland mit weniger als 404 Euro im Monat über die Runden kommen. Da­mit leben Erhebungen der EU zufolge insgesamt 21 Prozent der Griechen unterhalb der Ar­muts­grenze, womit das Land den vorletzten Platz in der EU belegt. Nur in Lettland sind mit 23 Prozent mehr Menschen mit diesem Problem konfrontiert.
Verschärft wird die Situation durch die Teuerungsrate. Heizöl kostet jetzt zu Beginn der Heizperiode mit 75 Cent pro Liter knapp 15 Prozent mehr als 2007. Doch nicht erst seit vergangener Woche bewegt die Preissteigerung die Gemüter. Seit Monaten ist sie das politische Thema und ein Hauptstreitpunkt zwischen der Regierung und den Oppositionsparteien. So lagen die Preise im August um durchschnittlich 4,6 Prozent (bei einem Durchschnitt von 3,6 Prozent in der EU) über denen von August vorigen Jahres. Die Teuerung bei Lebensmitteln liegt vielfach noch deutlich über der Inflationsrate. Das Motto des Generalstreiks von vergangener Woche war angesichts dieser Situation ganz einfach, aber treffend: »Es reicht. Wir haben kein Geld mehr.«

Wohl auch deshalb greift man derzeit häufig zu anderen Mitteln, um direkt an Geld und Waren zu kommen. Banküberfälle sind nichts Ungewöhnliches in Athen, trotz des hohen Risikos, von der Polizei gefasst zu werden. Seit einigen Monaten wird nun eine weitere Form der Enteignung immer populärer.
Mitte Oktober war es wieder so weit. In Patísia, einem Arbeiterviertel von Athen, stürmten rund 20 vermummte Personen am frühen Nachmittag einen Supermarkt und verließen das Gebäude mit vollen Einkaufswagen, ohne zu bezahlen. An­schließend verschenkten sie die Lebensmittel an Passanten auf der Straße. Innerhalb von weni­gen Tagen fanden drei ähnliche Aktionen statt. Sie erinnern an ein Theaterstück von Dario Fo aus den siebziger Jahren mit dem Titel: »Bezahlt wird nicht!«, in dem es um den so genannten pro­letarischen Einkauf verarmter Arbeiterinnen in Turin und Mailand geht, die versuchten, in Super­märkten neue, »gerechte« Preise auszuhandeln. Weigerten sich die Geschäftsführer, wurde gar nichts bezahlt. Diese Aktionsform ist in den vergangenen Jahren auch in Italien praktiziert worden, dort hieß sie »prekärer Einkauf«.
In Athen haben in den vergangenen Monaten Anarchistinnen und Anarchisten Supermärkte gestürmt, Lebensmittel ins Freie geschleppt und an die Bevölkerung verteilt. Die »Robin Hoods der Supermärkte«, wie sie von den Medien genannt wurden, protestieren auf diese Art gegen die Preissteigerungen. Zum ersten Mal schlugen sie im Mai zu. 20 bis 30 Personen, teilweise vermummt, dringen in den Supermarkt ein, füllen Einkaufswagen und Rucksäcke mit Nudeln, Reis, Öl, Milch, Käse und anderen Grundnahrungsmitteln und verteilen sie an die Leute, die draußen sind. Wenn die Polizei kommt, sind sowohl die er­beuteten Lebensmittel als auch die Aktivisten längst verschwunden. Nach einer Aktion in Thessaloniki Anfang Oktober zitierte ein lokaler Rund­funksender den Polizeisprecher damit, dass »die Aktivisten nie Geld gestohlen oder jemanden verletzt haben. Sie bitten die Leute nur, ruhig zu bleiben.«

Dass die Beteiligten bisher immer unbehelligt flüchten konnten, liegt auch an den gut gewählten Orten ihrer Aktionen. Sie werden immer in Arbeiter- und Migrantenvierteln durchgeführt, und zwar an den Tagen der wöchentlich stattfindenden Straßenmärkte, auf denen extrem viel Publikumsverkehr ist. Auf diesen so genannten Volksmärkten werden in den einzelnen Stadtteilen Gemüse- und Kleinartikel verkauft, sie sind sehr populär in Griechenland. Die Stimmung dort ist auch ein Barometer für die Stimmung in der Bevölkerung, derzeit für die Unzufriedenheit der Leute wegen der Lebenshaltungskosten, der Sozialkürzungen und der sinkenden Reallöhne. Gleichzeitig bereichern sich korrupte Regierungsvertreter und kirchliche Würdenträger. Angesichts dieser Situation kommen die Enteignungsaktionen gegen die Supermarktkonzerne unerwartet gut an. Die Leute geben positive Kom­mentare ab, und nach wenigen Minuten sind die Einkaufswagen leer geräumt. Während die »Robin Hoods« die erbeuteten Waren verteilen, skandieren sie Parolen und werfen Flugblätter in die Luft: »Da wir uns weigern, das Spiel mitzuspielen, ergreifen wir unsere eigenen Maßnahmen gegen die Teuerung. Alles ist geklaut, alles gehört uns!« heißt es darin.
Weil die Preissteigerungen über Monate ein wichtiges Thema der Massenmedien waren, haben die »Robin Hoods« und ihre Aktionen ziemlich große Resonanz gefunden. Da es sich um Ak­tionen anarchistischer Gruppen handelt, die in bürgerlichen Medien zumeist als »Krawallmacher« bezeichnet werden, wird mit einer gewissen Verlegenheit über die gelungenen Enteignungen berichtet. Denn inzwischen ist den griechischen Medien klar, dass solche Aktionen auf große Sympathie des Publikums stoßen. Folgerichtig hat die Vereinigung griechischer Supermärkte den Fernsehsendern mit Strafanzeigen gedroht, sollten sie erneut über die Aktionen berichten. Geteilt wird die Befürchtung der Polizei, dass die Berichterstattung zur Nachahmung anregen könnte.