Die Beratungshilfe soll eingeschränkt werden

Gnadenlos abgezockt

Kein Geld – keine Klage: Mitglieder des Bundesrats wollen die Beratungshilfe für Geringverdiener einschränken.

Nein, Geld von ihrem Vater erhalte sie nicht, sagt Jasmin. Und ja, in den USA sei sie im vergangenen Jahr gewesen, aber nur, um ihre amerikanische Greencard nicht zu verlieren. Sie wolle nämlich bald dorthin ziehen. Na, na, na, ob das nicht geflunkert ist? Die Hartz-IV-Empfängerin wirkt zwar ehrlich erschrocken über die Befragung auf offener Straße. Aber Helge Hofmeister weiß: »Die Geschichte ist kein bisschen plausibel, es sei denn, man will den deutschen Staat schröpfen.«
Hofmeister, der sich seinen »Kunden« gerne knapp mit »Kreis Offenbach« vorstellt, und seine Kollegin Helena Fürst sind Profis. In ihrer Sendung »Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln«, die seit August auf Sat. 1 läuft, begleiten Kameras die Beamten dabei, wie sie jedem Verdacht auf »Abzocke« in ihrem Revier auf den Grund gehen – meist nach anonymen Hinweisen von Bürgern, die in der Sendung lobend erwähnt werden. Und, welch Wunder, die Tipps erweisen sich auch stets als zutreffend. So wie bei Jasmin. Ihr wird auf Verdacht die Stütze gestrichen, bis sie den Beweis ihrer Unschuld erbringen kann. Das ist hart. Aber eben »gnadenlos gerecht«.

Seit zwei Jahren haben alle Job-Center so genannte Außendienste, deren Einführung war eine der ersten Amtshandlungen des ehemaligen Arbeitsministers Franz Müntefering (SPD). Niemand muss sie in die Wohnung lassen. Wer von dieser Freiheit allerdings Gebrauch macht, hat damit zu rechnen, dass anschließend die Grundsicherung zusammengestrichen wird – eine Vorgehensweise, die Hajo Köhler, Rechtsanwalt für Sozialrecht, für rechtswidrig hält.
Werden die Außendienstler hereingelassen und stoßen sie bei ihrem Besuch auf Küchenmobiliar, das nicht ordnungsgemäß deklariert wurde, oder Zahnbürsten, deren Anordnung auf eheähnliche Zustände hinweist, droht den Arbeitslosen eine Anzeige wegen Betrugs. Dabei liegt die Mindeststrafe, obwohl es meist nur um geringe Geldsummen geht, bei sechs Monaten Haft, weil die Taten »zur dauerhaften Finanzierung des Lebensunterhalts« dienen und damit als »gewerbsmäßig« gelten, wie es im Betrugsparagrafen heißt. Wer den Staat um deutlich höhere Summen prellt, aber auf das Geld nicht angewiesen ist, kommt nach dem Strafgesetzbuch glimpflicher davon.
Als der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) im Wahlkampf 2005 »mindestens zehn Prozent« der offiziell als langzeitarbeitslos Gemeldeten »parasitäres Verhalten« unterstellte, musste die Behörde hinterher kleinlaut einräumen, dass ein »Missbrauchsverdacht« tatsächlich nur in 0,6 Prozent der Fälle bestehe. Seither ist die Zahl der aktenkundigen Fälle noch einmal deutlich zurückgegangen, wie die Bundes­agentur für Arbeit kürzlich meldete: 2005 waren es über 200 000, bis Mitte dieses Jahres nur noch 9 000 – bei knapp 6,8 Millionen Menschen, die von Hartz IV leben. Der bemerkenswerte Rückgang ist indessen wohl kaum allein durch die abschreckende Wirkung der Kontrolleure der Job-Center und ihrer Multiplikatoren bei Sat. 1 zu erklären.

Anstatt ihre Bezüge selbständig nach oben zu korrigieren, begeben sich immer mehr Hartz-IV-Empfänger mühsam auf den Rechtsweg, erheben Widerspruch oder klagen. Allerdings scheint auch für die »Prozessflut«, die die Sozialgerichte derzeit beklagen, bereits eine Lösung in Sicht. Als die Idee der unionsregierten Bundesländer, kurzerhand die Prozesskostenhilfe für Leute mit geringem Einkommen zu kürzen, im September am Widerstand einiger SPD-Bundestagsabgeordneter scheiterte, kam aus dem Bundesrat zuletzt ein neuer Vorschlag. Die staatliche Beratungshilfe, die den Armen den Gang zum Anwalt ermöglicht, soll künftig eingeschränkt werden, um, wie es in dem Gesetzesentwurf heißt, »die mutwillige Rechtsverfolgung zu vermindern«. Dann kehrt auch bei den Sozialgerichten wieder Ruhe ein.
Dafür, dass jeder Hartz-IV-Bezieher bekommt, was er verdient, sorgen schließlich schon Helena Fürst und Helge Hofmeister.