»Let’s make money.« Der Film zur Finanzkrise

Unter Geiern

Zwar ohne Heuschrecken, dafür aber mit vielen Geiern startet pünktlich zur Finanzkrise der Film »Let’s make money. Was macht die Bank eigentlich mit unserem Geld?«

Die Finanzkrise birgt für manche unverhoffte Gewinnzuwächse. Der Dietz-Verlag muss »Das Ka­pi­tal. Band I« von Karl Marx nachdrucken, weil die Bestände die Nachfrage nicht mehr decken, Prekäre und Studenten verdienen ein paar Euro mit Jobs in den Callcentern der Banken, die händeringend Leute suchen, um die Flut von Anfragen besorgter Kunden zu bewältigen. Auch Erwin Wagenhofer, der Regisseur des Films »Let’s make money. Was macht die Bank mit unserem Geld?«, der am 30. Oktober bundesweit in die Kinos kommt, ist jetzt schon ein Krisen­gewinnler.
Eigentlich war der Filmstart auf den Weltspartag terminiert worden, doch nach den Bankenpleiten, Kurseinbrüchen und staatlichen Hilfspaketen ist dieses Marketingdetail völlig überflüssig geworden.
In Singapur, Indien, Burkina Faso, Groß-Britan­nien, der Schweiz, Spanien und den USA hat Wagenhofer drei Jahre recherchiert, um die Aus­wirkung der Globalisierung, wie es heißt, auf Mensch, Tier und Landschaft zu dokumentieren. Entgegen dem Versprechen der Banken – »Lassen Sie Ihr Geld arbeiten« – will Wagenhofer zei­gen, dass das Geld sich eben nicht auf wundersame Art und Weise vermehrt, sondern dass mit diesem Geld in Unternehmen investiert wird, deren Gewinne auf rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch und Natur beruht.
So wie sich derzeit alle bemühen, die »Gier« von Investoren, Brokern oder Bankern für den Schlamassel verantwortlich zu machen, versucht auch Wagenhofer in seiner Dokumentation die Verantwortlichen der Finanzkrise als schamlose Aasgeier zu entlarven. Mit seinem Film, so erklärt der Regisseur in zahlreichen Interviews, wolle er aber nicht die Menschen in Gut und Böse einteilen, sondern deutlich machen, dass wir alle, ob Girokontobesitzer oder Investmentbanker, Teil des Systems sind.
Doch der Film suggeriert etwas anderes. Jeder Interviewpassage mit einem Investor oder Groß­unternehmer folgen lange unkommentierte Sequenzen von bitterer Armut, am Strand schla­fende Obdachlose in Singapur, Frauen in Burkina Faso, die den verödeten Boden kehren, um Sand von Kieselsteinen zu trennen, oder leer stehende, bombastische Hotelanlagen, die die spanische Costa del Sol verwüsten. Zwar haben die Armen auch Gesichter, große traurige Augen oder nackte Füße, aber zu Wort kommen sie kaum. Dafür zeigt Wagenhofer, dass »da, wo das Geld ist«, eine schlechtere Stimmung herrscht als unter den Armen und Ausgebeuteten, die immer noch lachen und singen können.
Schlechte Stimmung verbreitet der Film allerdings vor allem da, wo er das Klischee vom gierigen Geier endlos ausreizt. Nach einer langen Sequenz über die Arbeit von Frauen und Kindern in den Steinbrüchen Burkina Fasos darf man auf Mauern lauernde, im Himmel kreisende und sich um Aas streitende Geier beobachten und in der nächsten Sequenz große Vögel betrachten, die auf dem Gebäude der Crédit ­Suisse in Zürich sitzen.
Als einer dieser Geier wird Mark Mobius vorgestellt, Investor, Emerging-Markets-Fondsmana­ger und Managing Director der Templeton Asset Management Ltd. in Singapur. Mobius, der auch unter dem Spitznamen »kahlköpfiger Adler« oder »Indiana Jones der Fondsszene« bekannt ist, war einer der ersten, die vor über 30 Jahren in den asiatischen Markt investierten. Als Stellvertreter für die Spezies des skrupel­losen Investors wird Mobius in Wagenhofers Film damit zitiert, dass es nicht sein Job sei, auf ethische Gesichtspunkte zu achten, sondern allein, für seine Kunden das Beste rauszuholen. Dann hört man Mobius noch bei einer Rede zu, in der er sich drüber freut, dass man nicht mehr von Entwicklungsländern oder Dritter Welt spricht, sondern von emerging markets.
Sicherlich ist die Dreistigkeit und Abgebrühtheit eines Mobius keinen Friedensnobelpreis wert. Aber Wagenhofer hätte durchaus auch der Investmentfirma des Friedensnobelpreisträgers Al Gore, die sich auf den »Nachhaltigkeitssektor« spezialisiert hat, einen Besuch abstatten können, um herauszufinden, wer eigentlich dafür ausgebeutet wurde, damit Al Gores Privatvermögen auf geschätzte 100 Millionen Dollar anwachsen konnte.
In einer weiteren Hauptrolle als Geier tritt stattdessen beispielsweise der österreichische Investor und Vorstandsvorsitzender von A-TEC Industries, Mirko Kovats, auf. Während er durch die Fabrikhalle der A&E Chennai Works Ltd. ASME »S« Boiler Fabrication in Indien läuft, lässt er sich von einem deutschen Manager über die Situation informieren. Nachdem er erfährt, wie hoch Gehalt eines Managers hier ist, kommentiert er, dass man bei diesen Löhnen ja wohl kaum noch von »billig« reden kann. Und nachdem Kovats erfahren hat, dass ein Schweißer etwa 200 Euro im Monat verdient, fragt er nur: »Irgendwelche Diskussionen mit Gewerkschaftern?« »Nein, bis jetzt noch nicht, zum Glück, nein. Ich versuche, in meiner Arbeit auch die sozialen Randbedingungen der Mitarbeiter so ein bisschen zu berücksichtigen«, antwortet der Manager.
Man hätte gerne gewusst, wie der Manager die »sozialen Randbedingungen« der Arbeiter berücksichtigt, und gerne hätte man dazu auch ein paar Aussagen von dem Schweißer gehört, aber leider werden auch hier nur wieder Bilder von Arbeitern gezeigt, die schüchtern in die Kamera gucken, während sie den Rost von einem Blech schmirgeln.
Neben den eiskalten Abzockern zeigt Wagenhofer aber auch Aussteiger, die den mafiösen Fängen der Finanzwelt entkommen sind. Beispielsweise John Christensen, ehemaliger Wirtschaftsberater auf der Steuerinsel Jersey, der darüber redet, wie die geschätzten 500 Millionen Dollar Privatvermögen auf den Banken der Insel versteckt werden, oder John Perkins, ehemaliger »Wirtschaftskiller«, der die kriminellen Grundlagen, auf denen die Hegemonie der amerikanischen Wirtschaft angeblich beruht, aus eigener Erfahrung schildert und dessen Buch »Bekenntnisse eines Economic Hit Man« sieben Wochen auf Platz eins der Bestsellerliste der New York Times war.
Derjenige, der zwischen den einzelnen Ka­piteln des Films auf das mangelhafte Eingreifen von Staat und Politik hinweisen darf, ist Hermann Scheer, Abgeordneter der SPD im Bundes­tag. Seine politische Analyse bildet auch den Schluss des Films, der Scheer vor den Inschriften der sowjetischen Soldaten im Bundestagsgebäude zeigt. Mit mahnender Geste, dass sich der Faschismus nicht wiederholen dürfe, sagt er: »Wenn wir so weitermachen, dann kommen neue Selektionsmechanismen.« Es werde in den Verteilungskämpfen wertvolle und weniger wertvolle Menschen geben, »und dann beginnt ein neues Zeitalter der Barbarei«.
Es ist sicherlich nicht falsch, sich zu überlegen, welche Auswirkungen die Finanzkrise auf Staat und Gesellschaft haben wird, doch in jedem Investmentbanker gleich einen kleinen Josef Goebbels zu vermuten, geht dann doch wohl ein bisschen zu weit.

»Let’s make money. Was macht die Bank mit unserem Geld?« Österreich 2008. R: Erwin Wagenhofer. Start: 30. Oktober
Das Buch zum Film: Caspar Dohmen: Let’s make money. Was macht die Bank mit unserem Geld? Orange Press, Freiburg 2008, 20 Euro