Serie über Serien: »Immer wenn er Pillen nahm«

Bezaubernde Jeannie für Jungs

Serie über Serien. Immer wenn der schüchterne Tankwart Pillen nahm, wusste Cord Riechelmann, dass nun die Zukunft begonnen hatte – die des Fernsehens und seine eigene auch. Und dann setzte er seine Stanley-Beamish-Brille auf und hob ab

Irgendwann stand Stanley Beamish auf einer Parkbank, um zum Flug anzusetzen. Doch sooft er auch sprang, es wurde nichts aus dem Flug. Beamish landete immer wieder nur auf dem Boden – wie mein Bruder und ich auch. Es war ein todtrauriger Moment in unserer frühen Fern­sehgeschichte zu Beginn der siebziger Jahre. Wir hatten uns, wie bereits nach der zweiten Fol­ge von »Immer wenn er Pillen nahm«, unsere aus dem Zeichenblock ausgeschnittenen und selbst gebastelten Stanley-Beamish-Brillen aufgesetzt und wollten nun mit ihm die ungeheuerlichsten Fälle fliegend lösen. Doch daraus wurde an diesem frühen Abend nichts. Die Pille tat ihre Wirkung nicht.
Was die Produzenten sicher als eine Art Witz geplant hatten, kam bei uns gar nicht gut an. Beamish sollte wie immer, wenn er eine Pille ein­geworfen hatte, zuerst seinen viel größeren und kräftigeren Kollegen Hal Walters mit einem gehauchten Fingerkuppenschubser auf den staubigen Boden der Autowerkstatt schicken und dann im Geheimauftrag der Regierungsbeamten Harley Trent und B. J. Reed losdüsen, um alle möglichen Bösewichter dingfest zu machen. Der schüchterne Tankwart Stanley Beamish war nämlich die Verkörperung unserer Rache an allen größeren Wesen in Schule und Dorf, na­ment­lich sind da vor allem Burkhard Segger und Volkhardt Schamp zu nennen, die, weil sie älter, größer und stärker waren, uns schikanierten, wo sie nur konnten.
Mit Beamish aber wurden wir stark. So stark, dass aus unseren Fahrrädern Mofas wurden und ich Burkhard Segger am Morgen danach beim Pausenhoffußball so alt aussehen ließ, wie der nie werden würde.
Und Stanley Beamishs Wirkung hallt bis heute so stark nach, dass ich es bei den Recherchen jetzt gar nicht fassen konnte, dass damals ab dem 20. Januar 1970 immer dienstags im ZDF nur 13 verschiedene Folgen von »Immer wenn er Pillen nahm« ausgestrahlt wurden. Für mich waren es mindestens hundert. Es war nur leider so, das »Mr. Terrific«, wie die Serie im amerikanischen Orginal hieß, in den USA beim Publikum durchgefallen war und deshalb nach 17 Folgen eingestellt wurde. Ein kleiner, schüchterner, nicht besonders heller Tankwart hatte dort nicht jene Durchschlagskraft entfaltet wie hierzulande. Was vielleicht auch daran lag, dass Beamish nicht zum Role Model taugte. Zu einmalig war seine Situation. Eine von Wissenschaftlern entwickelte Wunderpille verlieh ihm Kräfte, die aus seinem Atem Wirbelstürme machten und ihn einen Cadillac mit einer Hand­bewegung in der Tankstellenwerkstatt hochheben ließ, wenn er mal wieder die Wirkungsdauer der Pille falsch berechnet hatte. Beamishs Problem war, dass ihn die Pille, die nur bei ihm bekömmlich wirkte, zwar stark, aber nicht klüger machte. Er blieb auch mit Pille der Trottel von der Tankstelle bei Washington. Deshalb verpasste er oft das Ende der Wirkung, die nur etwa eine Stunde anhielt, und vergeigte so manchen Auftrag, wenn ihm die Kräfte schwanden oder wenn sie, wie beim Auto in der Werkstatt, noch da waren.
Das sind aber nur die oberirdischen, zeitgebundenen Erscheinungen von »Immer wenn er Pillen nahm«. Auf eine viel tiefere Wirkung stieß mich kürzlich der Altersgenosse Detlef Kuhlbrodt. Ich hatte Detlef eine Schülerlyrikzeitung gezeigt die ich mit zwei Freunden Ende der Siebziger produziert und vollgeschrieben hatte. Und dann war von der Schulleitung verkaufsfördernd der Vertrieb der Zeitung, sie hieß Bauch­schuss, auf dem Schulgelände verboten worden, weil darin zu oft zu explizit von LSD die Rede war. Und Detlef, der, wie er sagte, »auch von der Lyrik her kommt«, und mir war auf einmal sofort klar, woher wir die Verbindung von Lyrik und LSD hatten. Es war das Gedicht, das jede Folge von »Immer wenn er Pillen nahm« einleitete und zum schönsten gehört, was die Siebziger hervorgebracht haben.

Hier ist es:

»Ein Chemiker, um die Natur zu verbiegen,
wollte schlichtweg den Schnupfen besiegen.
Er quirlte, rührte und mixte,
und fand eine Pille, doch eine verflixte:
Denn ein Schäfchen, das sie zufällig schluckte,
sich kurz darauf als Löwe entpuppte.
Der Schwerkraft es ein Schnippchen schlug
und startete zum Höhenflug.
Kein Stahlgerüst hielt seiner Schlagkraft stand,
das war der Tag, da man die Superpille fand.

Doch Menschen schienen nicht empfänglich,
die Pille machte sie eher kränklich.
Mit vielen Computern, mächtig und klug,
suchte man einen, der sie vertrug.
Man brauchte tagelang, bis man ihn endlich fand:
Tankwart Stanley Beamish war der einzige im Land.

Stanley, ein zarter und schwacher Gnom,
die Pille machte ihn zum Phantom.
Er konnte wie ein Adler fliegen
und jeden Bösewicht besiegen.
Denn seine große Stunde kam
… immer wenn er Pillen nahm!«