Der Konflikt im Kongo

Flucht vor dem General

Der Konflikt im Osten des Kongo ist erneut eskaliert. Die Regierungstruppen räumten eine Provinzhauptstadt, Hun­dert­tausende Menschen sind auf der Flucht.

Nicht alle Präsidenten stehen gerne im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Joseph Kabila etwa dürfte es nicht recht sein, dass die von ihm regierte Demokratische Republik Kongo nun erneut von den internationalen Medien beachtet wird. Denn wie meistens in den vergangenen zwölf Jahren wird über Morde, Plünderungen und Vergewaltigungen berichtet, und über die Tätigkeit der Regierung gibt es wenig Gutes zu sagen.
Rund 4,5 Millionen Menschen starben in den aufeinander folgenden Kriegen, die im Kongo seit 1996/97 mehrere Male ausbrachen. In den beiden Provinzen Nord- und Südkivu schwelt bereits seit Herbst 2006 ein neuerlicher Bürgerkrieg, der nun eskaliert ist. Im Laufe der vergangenen Woche eroberten die Gefolgsleute General Laurent Nkundas das Umland von Goma, der Provinzhauptstadt des Nordkivu. Sie näherten sich der Stadt von Norden her bis auf wenige Kilometer. Die kongolesische Armee verließ daraufhin Goma, Nkunda erklärte aber kurz vor ihrer Übernahme einen einseitigen Waffenstillstand und forderte direkte Gespräche mit der Regierung in Kinshasa.
Augenzeugen berichteten der Jungle World, dass in der Nacht zum Donnerstag vergangener Woche in der Stadt sporadisch Schüsse zu hören gewesen und einige Geschäfte geplündert worden seien. An den folgenden Tagen herrschte zunächst eine gespenstische Ruhe, aber es kam zu Plünderungen, etwa in zwei Krankenhäusern der Stadt. Die meisten Nichtregierungsorganisationen evakuierten umgehend ihre Mitarbeiter. Das Rote Kreuz und mehrere UN-Organisationen warnten vor einer humanitären Katastrophe.

Die Soldaten der regulären Streitkräfte überließen den besser ausgerüsteten und motivierten Guerilleros oft kampflos das Feld, während ein Teil der besser ausgebildeten Soldaten und Offiziere in »Widerstandsnestern« blieb. Zehntausende Zivilisten flohen vor Nkundas Truppen, die vom Hochkommissar der UN für den Kongo beschuldigt werden, für viele Vergewaltigungen und Plünderungen der vergangenen Monate verantwortlich zu sein. Denselben Vorwurf erhoben die Vereinten Nationen allerdings am Wochenende auch gegen das kongolesische Militär. Insbesondere sexualisierte Gewalt zählt im Ostkongo zu den Kriegsstrategien aller kämpfenden Gruppen.
Kabilas Soldaten scheinen sich nun im Osten des Landes eine schwere Niederlage eingehandelt zu haben. Geführt werden ihre Feinde von einem ehemaligen General der kongolesischen Armee. Nkunda wird seit September 2005 wegen Kriegsverbrechen mit internationalem Haftbefehl gesucht. Er gründete seine Armee des »Nationalkongresses für die Befreiung des Volkes« (CNDP) vor zwei Jahren, um, wie er sagt, die Tutsi-Minderheit im Osten des Kongo vor der andauernden Gewalt der Hutu-Milizen zu schützen. Ferner wirft er Kabila vor, wie seine Vorgänger –der 1997 gestürzte Mobutu Sese Seko und Laurent Desiré Kabila, Josephs Vater – den Kampf der Hutu-Milizen zu unterstützen. Hinzu kommt eine politisch-religiöse Dimension: Laurent Nkunda, der einer christlichen Sekte der Adventisten angehört, stellt sich oft auch als Kämpfer für einen »Gottes Geboten unterworfenen Staat« dar und lässt sich von seinen Anhängern mitunter wie eine Art Messias feiern.
Gänzlich unberechtigt sind Nkundas Vorwürfe nicht. Nach dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 mussten die rassistischen Hutu-Extremisten aus Ruanda fliehen, ein Teil der Hutus folgte ihnen freiwillig oder unter Zwang. Die Demokratischen Kräfte für die Befreiung Ruandas (FDLR), Kampfverbände, die von den Hutu-Extremisten aufgebaut wurden, sind im Osten des Kongo weiterhin aktiv. Kabilas Regierung ließ die FDLR in den vergangenen Jahren gewähren und hat nicht ernsthaft versucht, sie zu entwaffnen. Ob die nicht sonderlich kampfstarke Armee dazu in der Lage wäre, ist fraglich, es gibt jedoch auch eine Ethnisierung der Konflikte. Die Tutsi, sowohl im Kongo als auch in Ruanda, werden in weiten Teilen der Bevölkerung als Aggressoren wahrgenommen, da die ruandische Armee zweimal in das Staatsgebiet einmarschiert ist.

Nach ihrer Flucht aus Ruanda wurden die Hutu-Extremisten zu einer Bedrohung für die Banyamulenge, im Osten des Kongo lebende Tutsi. Die ruandische Regierung berief sich auf die Notwen­digkeit, diese Bevölkerungsgruppe schützen und die Hutu-Milizen von den eigenen Grenzen fernhalten zu müssen. Es spielte aber auch das Streben nach Ausbeutung und Plünderung der reichhaltigen Rohstoffvorkommen gerade im Osten des Kongo eine wichtige Rolle.
Für den Einmarsch in den Kongo verbündete sich Ruanda mit Uganda und Burundi. Die ugandische Regierung hatte die ruandischen Tutsi unterstützt, in Burundi hingegen bilden nach wie vor Hutu-Politiker eine Regierung, in der lange Zeit Extremisten einen wichtigen Platz einnahmen. In Burundi wurden in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten rund 300 000 Menschen, vorwiegend Tutsi, ermordet. Manche Beobachter sprechen von einem »schleichenden Völkermord«. Die Koalition der Regierung mit den Hu­tu-Extremisten ist zwar mittlerweile zerbrochen, die nunmehr Oppositionellen beschossen im April die Hauptstadt Bujumbura mit Granatwerfern. Doch ein passender Verbündeter für den Kampf zum Schutz der Tutsi ist Burundi gewiss nicht.
Der Grund für Uganda, Ruanda und Burundi, große Teile des riesigen Nachbarlandes zu besetzen, war das Bestreben, die dortigen Rohstoffquellen zu kontrollieren. Im Osten des Kongo wird etwa das Mineraliengemisch Coltan abgebaut, das in der modernen Industrie von großer Bedeutung ist, weil es sowohl für Mobiltelefone als auch für Flugzeugtriebwerke und Raketen benötigt wird. Jahrelang wurde das Coltan von Milizen, die die jeweiligen Minen kontrollierten, im Osten des Kongo abgebaut und von dort über Ruanda in die ostafrikanischen Hafenstädte abtransportiert. Die ruandische Armee und andere Beteiligte verdienten kräftig mit.
Während Truppen Ugandas, Ruandas und Burundis von Osten her einmarschierten, drangen während der zurückliegenden Kriege Soldaten der Nachbarstaaten Angola, Namibia und Zimbab­we von Süden her auf das Staatsgebiet des Kongo vor. Sie unterstützten die Zentralregierung und ließen sich häufig mit Rohstoffkonzessionen entlohnen. Am Freitag appellierte Präsident Joseph Kabila erneut an Angola, ihm gegen das Vorrücken der Guerillaarmee unter Laurent Nkunda zu Hilfe zu eilen. Britische und französische Politiker berieten am Wochenende über eine europäische Militärintervention zur Verstärkung der überforderten UN-Truppen.

Entspannung könnte nun ein regionales Gipfeltreffen bringen, meint Louis Michel, Entwicklungskommissar der EU. Nkunda möchte er nicht einladen, dessen Interessen sollen offenbar seine ruandischen Verbündeten wahren. Nkunda hat seinen militärischen Vorteil bislang nicht zur Besetzung Gomas genutzt, das spricht dafür, dass er sich vor allem eine starke Verhandlungsposition verschaffen will. Dennoch könnte der Bürgerkrieg weiter eskalieren und auch erneut zu einem Konflikt zwischen afrikanischen Staaten werden.