Das ehemalige Kriegsgefangenenlager Stalag XB Sandbostel

Spätes Erinnern

Im Kriegsgefangenenlager Stalag XB Sand­bostel bei Bremervörde wurden zwischen 1939 und 1945 mehr als eine Million Menschen von den Nazis interniert. Bis 1960 diente die Anlage als Durchgangs­lager für jugendliche Flüchtlinge aus der DDR, später wurde das Gelände zum Gewerbegebiet. Jahrelang wehrte sich die Gemeinde Sandbostel gegen die Errichtung einer Erinnerungsstätte für die etwa 46 000 sowjetischen und unzähligen weiteren Kriegs­gefangenen, die hier ermordet wurden oder infolge von Hunger und Seuchen umkamen. Nun soll ein Teil des Geländes zu einer Gedenkstätte und einem Dokumentationszentrum werden.

Biegt man heutzutage in die ehemalige zentrale Lagerstraße ein, hat man den Eindruck, in einem Gewerbegebiet gelandet zu sein, was auch zu großen Teilen den Tatsachen entspricht. Schlendert man die Straße weiter, entdeckt man auf der rechten Seite eine Straßenmeisterei, in deren Nachbarschaft sich eine Doggenzucht und ein »Tiergnaden­heim« niedergelassen haben. Wendet man den Blick nach links, sieht man zwischen vielen Bäumen mehrere Baracken in fortschreitendem Verfall.
Ein 2,8 Hektar großer Teil des Geländes befindet sich seit 2005 im Besitz des Vereins Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel. Das übrige, rund 27 Hektar große Areal wurde 1974 privatisiert und wird seitdem als Gewerbefläche genutzt.

Das Gelände ist im Vergleich zu den anderen deutschen ehemaligen NS-Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglangern einzigartig. Insgesamt 23 Baracken, die während der Zeit des Kriegsgefangenenlagers gebaut wurden, sind hier noch original erhalten. Die Besonderheit des zusammenhängenden Barackenensembles in Sandbostel besteht darin, dass hier die Nazis vor ihrem Abgang die Bauten, Beweismittel ihrer Vernichtungsmaschinerie, nicht zerstörten, wie in allen anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Neun der Baracken befinden sich nun auf dem Teilgrundstück, das in den nächsten drei Jahren zu einer Gedenkstätte umgebaut werden soll. Dass es dazu kommen wird, markiert das Ende einer langen Kontroverse zwischen dem Verein, der sich 1992 gegründet hat, und der Gemeinde, die sich lange gegen die Errichtung einer Erinnerungsstätte wehrte. 1992 gelang es dem Verein, die Baracken unter Denkmalschutz stellen zu lassen, seitdem dürfen die Eigentümer sie nicht abreißen; für ihren Erhalt wurde aber auch nichts getan, die Gebäude rotten vor sich hin.
In einem Zeitraum von 63 Jahren, von der Befreiung der Gefangenen am 29. April 1945 bis zum Anfang der Umbauarbeiten in diesem Jahr, hat dieses Gelände viel erlebt und – auf unterschiedliche Weise genutzt – die unterschiedlichsten Menschen beherbergt.
Zunächst kamen die Briten. Nachdem sie Abstand von dem Plan genommen hatten, die umliegenden Gemeinden durch Verbrennen dem Erdboden gleichzumachen, internierten britische Truppen nach Kriegsende auf diesem Gelände ehe­malige SS-Leute.
Von 1948 bis 1952 diente das Lager der JVA Celle als Außenstelle. 1952 erfuhr es eine Umwidmung als Auffanglager für jugendliche DDR- Flüchtlinge. Zum Zwecke dieser Nutzung wurden die Innenräume der Baracken umfangreich umgebaut. In diesem Zustand befinden sich die Räume im Wesentlichen noch heute, davon zeugen etliche Wand­malereien.
Ab 1960 wurden die jugendlichen Flüchtlinge aus dem »heimatlichen Osten« vermutlich immer weniger, und das Lager wurde aufgelöst. Bevor das Gelände 1974 zum Gewerbegebiet »Immenhain« wurde, geschah eigentlich nicht viel, außer, dass man Vergangenes ruhen lassen und vergessen wollte.
Auch heute wird ein Teil des ursprünglichen Geländes als Gewerbegebiet oder als Ackerfläche zur Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte genutzt.

Das Verhältnis der Gemeinde Sandbostel zum ehemaligen Kriegsgefangenenlager war nie ein einfaches. Ein von den Sowjets kurz nach dem Krieg aufgestelltes Ehrenmal, welches an die nach ihren Angaben 46 000 toten Sowjetgefangenen erinnern sollte, wurde 1956 mit der Begründung gesprengt, diese Zahl sei maßlos übertrieben. Ein britischer Gedenkstein zur Erinnerung an alle Toten von Sandbostel soll auch verschwunden sein. Im Juli 2000 beschmierten Neonazis die Anlage mit Hakenkreuzen und Sprüchen wie: »Juden raus« und »Das Dritte Reich kommt wieder«.
Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich aber das Verhältnis der Gemeinde zu diesem Teil ihrer Geschichte grundlegend verändert. Einer der früheren Gegner der Gedenkstätte ist heute einer der engagiertesten ehrenamtlichen Rundgangsführer des Geländes. Die ortsansässige Gaststätte besorgte am Tag des offenen Denkmals im September 2008 das Catering mit Kaffee, Kuchen und Frikadellen.
Das Konzept für die Gestaltung der Gedenkstätte sieht vor, dass alle Nachnutzungen des Geländes dokumentiert werden sollen. Es soll sichtbar gemacht werden, wie sich die Zeitschichten überlagerten. Der jahrzehntelange Umgang mit dem Gelände soll auch dadurch dokumentiert werden, dass zwei der Baracken, die sowieso nicht mehr zu retten sind, dem sukzessiven Verfall anheim gegeben werden. Die Inhaltliche Konzeption sieht auch die Errichtung eines zeitgeschichtlichen Museums vor, das eher didaktische Aufgaben zu erfüllen hat. Denn die Zeitzeugen, die den Nachkriegsgeborenen direkt von dem Unbegreiflichen berichten konnten, werden immer weniger.