Die Krise und die Gesellschaftskritik

Der weiße Rappe

Trifft die Krise auf die anti-neoliberale Gesellschaftskritik, knirschen die Kategorien.

Die Krise hat nicht nur in Windeseile die so genannte Realökonomie erfasst, sondern ist auch blitzschnell ins Zentrum der Kritik der anti-neoliberalen Linken vorgedrungen. Die Kategorien knirschen. Der Nationalstaat, dessen Schwäche gegenüber der Ökonomie gestern noch beklagt wurde oder der sich angeblich gar in einem ominösen Empire auflöste, ist wieder da und gebärdet sich gar als tatkräftiger Retter in der Not.
Beispielhaft hat Joachim Hirsch in seinem Text »Weltwirtschaftskrise 2.0 oder der Zusammenbruch des neoliberalen Finanzkapitalismus« versucht, die Kritik des »Neoliberalismus« von gestern mit den gegenwärtigen Veränderungen zusammenzubringen. Beim derzeit in der Krise untergehenden »neoliberalen Finanzkapitalismus« handele es sich um eine »eigene historische Formation des Kapitalismus« mit einer spezifischen Krisendynamik: Explodierende Unternehmensgewinne konnten, so Hirsch, angesichts einer strukturell beschränkten Konsumnachfrage nur ungenügende Investitionsgelegenheiten im produktiven Sektor finden und wanderten stattdessen in die Finanzspekulation – eine Über­akkumulationskrise. Dann kommt die Überraschung: »Bei zunehmend ungleicher Einkommens­verteilung« war die Realisierung der Unterneh­mens­profite »nur möglich, weil eine Art von globalem Keynesianismus etabliert wurde: Die wachsende private und staatliche Verschuldung – vor allem in den USA sorgte für die notwendige Nachfrage und wurde so zur Grundlage eines öko­nomischen ›Aufschwungs‹, der allerdings von Anfang an auf Sand gebaut war.« Was ist ein »neo­liberaler Finanzkapitalismus«, der gleichzeitig »eine Art globaler Keynesianismus« ist, wenn nicht ein weißer Rappe?
Immerhin konstatiert Joachim Hirsch, dass sich »die Etablierung eines staatskapitalistischen Systems auch in den dominierenden kapitalistischen Ländern« abzeichnet, »eine Art Fusion von Großkapital und Staat«. Um die Krise zu bewältigen, stehe »jetzt die ›Re-Regulierung‹ der Wirtschaft auf der politischen Tagesordnung. Sie wird darin bestehen, dass (…) die enge Verbin­dung von Staat und Kapital zwecks Sicherung des Profits weiter ausgebaut wird und festere institutionelle Strukturen bekommt.« Das sind nicht unbedingt schöne Aussichten, auch wenn die antineoliberale Linke jahrelang eine staat­liche »Re-Regulierung« eingefordert hat: »Der deut­sche Faschismus, mit dem hierzulande auf die Krise der dreißiger Jahre reagiert wurde, könnte dafür ein Modell abgeben«.