Über das »Taschengeld« für Asylbewerber

Geld macht verdächtig

Das »Taschengeld« für Asylbewerber ist seit 15 Jahren nicht erhöht worden, ebenso lang wie das Gesetz existiert.

40,90 Euro im Monat sind ein ordentliches ­Taschengeld – für einen Jugendlichen. Diesen Betrag erhalten erwachsene Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragen, für den »persönlichen Bedarf«. Der Betrag ist so krumm, weil er nicht geändert wurde, seit das Asylbewerber­leistungsgesetz vor genau 15 Jahren in Kraft trat – damals waren es 80 Mark im Monat. Von 1,36 Euro pro Tag müssen die Flüchtlinge also Bustickets, Telefongespräche, Anwälte oder auch Zigaretten zahlen.
Für die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl ist das Jubiläum des Asylbewerberleistungsgesetzes im November kein Grund zur Freude. Das Gesetz sei ein »Anschlag auf die Menschenwürde« und ein »rassistisches Sondergesetz« mit dem Ziel, potenzielle Asylsuchende abzuschrecken. Dass die Leistungen nicht erhöht worden sind, obwohl dies in dem Gesetz ausdrücklich vor­gesehen ist, hält Pro Asyl für »eine Art staatlich organisierten Leistungsbetrugs«.

Deutsche bekommen Arbeitslosengeld II, wenn sie länger als ein Jahr arbeitslos sind, Flücht­linge erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, weil sie zumeist nicht arbeiten dürfen. Die Erlaubnis dafür gibt es nur, wenn kein Inländer für eine Stelle verfügbar ist. In Berlin etwa erhalten nach Angaben des Flüchtlingsrats 99 Prozent der Betroffenen ­weder eine Ausbildungs- noch eine Arbeitserlaub­nis.
Auch Langzeitarbeitslose sind keineswegs üp­pig ausgestattet, erhalten aber immer noch deutlich mehr Sozialleistungen als Asylsuchende und viele Menschen mit Duldung. Essen, Kleidung, Artikel für die Körperpflege und Energie bekommen in Heimen lebende Flüchtlinge in Form von Sachleistungen. Wer in separaten Unterkünften wohnt, erhält häufig Gutscheine zum Einkaufen in speziellen Supermärkten, selten auch Bargeld. Hier liegt der ebenfalls seit 1993 unveränderte Satz bei 184 Euro im Monat. Zum Vergleich: Der Regelsatz für denselben Bedarf beträgt beim Arbeitslosengeld II 351 Euro.
Etwa 150 000 Menschen in Deutschland sind von dem Gesetz betroffen. Welche bösen Blüten es treiben kann, zeigt sich derzeit in Oldenburg. Dort kassiert die Polizei rigoros ab, wenn ein Flüchtling mehr als 50 Euro dabei hat. »Wir woll­ten in die Discothek, als sie uns kontrollierten«, sagt Mohammed Ali F. 230 Euro hatte der 29jäh­rige Libanese im Portemonnaie, weil in der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde (ZAAB) in Blankenburg bei Oldenburg nach ­seiner Beobachtung viel geklaut wird. 180 Euro behielt die Polizei ein. »Das Geld hatte ich mir bei Ein-Euro-Jobs mühsam und legal verdient«, klagt F. Er habe damit einen Deutschkurs bezahlen wollen. Nach einem Gespräch mit dem »Sozialdienst« im Lager bekam er das Geld nicht zurück. Vielmehr wurde es nun mit den »Taschengeld«-Zahlungen verrechnet. F. lebt seit Juli in Deutschland. Nun will der Ingenieur weg aus Oldenburg: »Die behandeln mich, als ob ich ein Tier wäre.«
»Wir handeln nach einem Amtshilfeersuchen der ZAAB aus dem Jahr 2006«, erklärt ein Polizei­sprecher. Die Flüchtlinge erhielten neben »freier Kost und einer Rundumversorgung« ihr »Ta­schen­geld« in Höhe von 40,90 Euro. Hat ein Flüchtling mehr Bares dabei, gehe die Polizei »davon aus, dass das nicht von dem Geld kommen kann, da hätte er ja monatelang sparen müssen«, sagt der Sprecher. Die Polizei handelt auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes. Wie bei Hartz IV müssen auch bedürftige Flüchtlinge erst Einkommen und Vermögen verbrauchen, bevor sie Geld vom Staat erhalten. Eigenwillig ist die Oldenburger Interpretation dennoch. Geschenke und legal verdientes Geld können Flücht­lingen somit gehörige Unannehmlichkeiten bereiten.
Da bei höheren Summen ein »Anfangsverdacht auf eine Straftat oder auf illegale Beschäftigung« vorliege, müsse die Polizei das Geld »einsammeln«, sagt der Leiter der ZAAB, Christian Lüttgau, und verweist auf die Gesetzeslage. Es seien in Blankenburg auch schon Summen bis 5 000 Euro konfisziert worden. In der ZAAB müssten »die Betroffenen den Nachweis führen, dass sie das Geld nicht illegal erworben haben«, etwa durch Diebstahl, Dealen oder Schwarzarbeit, betont Lüttgau.

Von einer derart harschen Auslegung des Geset­zes hat Kai Weber vom niedersächsischen Flücht­lingsrat noch nicht gehört. Bargeld zu konfiszieren, sei eine »neue Qualität in der Verhöhnung von Menschen, die ohnehin nur von 70 Prozent der Sozialleistungen leben müssen«, empört sich Weber. Von »Entmündigung« spricht auch Reinhold Kühnrich vom Oldenburger Arbeitskreis Asyl. »Bislang haben wir den Leuten häufig einfach 200 Euro in die Hand gedrückt, damit sie ihren Deutschkurs bei der Volkshochschule zahlen können«, sagt er.
Der Oldenburger Polizei zufolge werden Flücht­linge nur in zwei so genannten Verbotszonen in der Stadt »verdachtsunabhängig« kontrolliert: nahe einer Schule und rund um die Fußgängerzone. In diesem Jahr habe man bereits fünfmal Geld von Flüchtlingen aus der ZAAB einbehalten, weil diese mehr als 50 Euro dabei hatten, bestätigt ein Polizeisprecher. Dabei habe es sich um Summen von 60 bis 180 Euro gehandelt.
Das Handeln der Oldenburger Polizei scheint einmalig in Deutschland zu sein. »Wir gehen doch nicht los und filzen Asylbewerber nach Bargeld«, sagt etwa ein Sprecher der Polizei in Braunschweig. Ein Amtshilfeersuchen des dortigen Flüchtlingslagers gebe es nicht.
Während Politiker der Union ihre rigide Asylpolitik mit dem »Abwandern in die Sozialsys­teme« rechtfertigen, sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Die Bruttoausgaben für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz lagen nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2007 bei 1,03 Milliarden Euro – das ist der niedrigste Stand seit Beginn dieser Statistik. Doch die Bundesregierung hat zuletzt im April auf eine Anfrage der Linkspartei deutlich gemacht, dass sie eine Erhöhung des »Taschengelds« und weiterer Zuwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht für nötig hält.