Die Auseinandersetzung über Frankreichs Rolle beim Genozid in Ruanda

Hutu-Power made in France

Durch die Verhaftung einer hochrangigen ruandischen Politikerin hat sich die juristische Auseinandersetzung über die französische Verantwortung beim Genozid in Ruanda 1994 zugespitzt.

Aussöhnung sieht anders aus. Die Auseinandersetzung um die Rolle Frankreichs bei dem Genozid, der 1994 in Ruanda stattfand, hat nach der politischen Sphäre nun auch die Gerichte erreicht. Meh­rere Prozesse beschäftigten sich in den vergangenen Wochen mit der Frage nach der Unterstützung Frankreichs für das Regime der Hutu-Power-Bewegung, das den Völkermord organisierte. Ob es dabei freilich um historische Wahrheitsfindung gehen wird oder vielmehr darum, eine politisch erwünschte »Wahrheit« festzuschreiben, bleibt abzuwarten.

Die spektakulärste Affäre hat mit einem Umweg über Deutschland begonnen. Die Protokollchefin des amtierenden ruandischen Präsidenten Paul Kagamé, Rose Kabuye, wurde am 9. November bei der Einreise am Flughafen Frankfurt/Main von deutschen Polizeibehörden festgenommen. Damit vollstreckten die deutschen Beamten jenen Haftbefehl, den der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière Ende 2006 gegen Kabuye erlassen hatte. Dem Haftbefehl liegen Vor­würfe wegen Beteiligung an Mord und der Mitgliedschaft in einer so genannten terroristischen Vereinigung zugrunde. Nicht nur gegen Rose Kabuye hatte Bruguière, der damals als »Anti-Ter­rorismus-Richter« amtierte, inzwischen jedoch wegen seines offenen politischen Engagements für die konservative UMP den Dienst quittieren musste, Haftbefehl erlassen, sondern auch gegen weitere acht Personen. Alle sind führende Persön­lichkeiten in dem ostafrikanischen Staat.
Ihnen wirft Bruguière in einem umstrittenen Dienstdokument vor, sie hätten 1994 dazu beigetragen, den Völkermord in Ruanda auszulösen. Dabei sind die Betroffenen keineswegs Anhänger der rassistischen Hutu-Power-Bewegung, sondern im Gegenteil ausnahmslos Tutsi. Und sie wa­ren auch keineswegs Anhänger des damaligen ruandischen Regimes, sondern bekämpften es militärisch. Da jedoch der damalige ruandische Präsident Juvenal Habyarimana am 6. April 1994 unter ungeklärten Umständen bei einem Attentat ums Leben gekommen war, erklärte Bruguière dieses Attentat zur Tat der oppositionellen Guerilla und zum »Auslöser des Völkermords«. Als ob es sich bei dem Genozid, der seit Jahren vorbereitet worden war, um eine spontane Reaktion auf einen politisch motivierten Anschlag gehandelt habe. Pech nur für die Anklage Bruguières, dass just vor wenigen Tagen der Hauptbelastungs­zeuge abgesprungen ist: Der frühere RPF-Offizier Abdul Ruzibiza, dere als politischer Flüchtling in Norwegen lebt und einige offene Rechnungen mit seiner Hierarchie zu begleichen hatte, be­zichtigte sich bislang selbst, an dem Attentat auf das Präsidentenflugzeug teilgenommen zu haben. Nun zog er aber diese Behauptung Ende vorletzter Woche in einem Interview mit dem rwandischen Radiosender Contact 1, das er von Norwegen aus gab, als unrichtig zurück.
Dem Massenmord in dem ostafrikanischen Land fielen von April bis Juni 1994 mindestens 800 000 Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Tutsi sowie Oppositionelle aus der Hutu-Mehr­heitsbevölkerung zum Opfer. Während des Genozids fanden militärische Kampfhandlungen zwischen dem Regime in Kigali und der Guerillabewegung statt, der Ruandischen Patriotischen Front (RPF). Die RPF war von im Exil lebenden Tutsi gegründet worden, die nach den ersten rassistischen Massakern an Tutsi 1959 und 1963 in die Nachbarländer geflohen waren. Sie kämpften vor allem von Uganda aus, das zur englischen Einflusszone in Afrika gehört. Es ist nicht unwahr­scheinlich, dass extremistische Kräfte innerhalb des Rassistenregimes den Präsidenten aus dem Weg räumten, um mit dem Morden zu beginnen.
Daher auch die französische Unterstützung für jene Kräfte, die den Vormarsch der RPF aufhalten wollten: Die französische Regierung vermutete ein Komplott, um die französische Einflusssphäre in Afrika zu Fall zu verringern. Die RPF wurde als pro-angloamerikanische Kraft wahr­genommen. Ihre Frontstellung gegen den pro-französischen Block in Afrika hat sich freilich his­torisch dadurch verschärft, dass Frankreich de facto die Völkermörder bis zuletzt unterstützte – aus geostrategischen Erwägungen.

Im Oktober hat Ruanda Französisch als Amts­spra­che abgeschafft und durch Englisch ersetzt. Vielleicht deshalb, vielleicht aber auch vor dem Hintergrund, dass der derzeitige Konflikt im Ost-Kongo die Einflusssphären neu definiert, hat sich die juristische Auseinandersetzung um den Völkermord neuerlich erhitzt. Am 4. November erstatteten zehn hochrangige französische Militärs, die alle 1994 in Ruanda im Einsatz waren, Strafanzeige gegen die ruandische Regierung wegen Diffamierung. Unter ihnen befindet sich General Jean-Claude Fourcade, der im Sommer 1994 die Operation Turquoise der französischen Armee befehligte. Dabei wurde den Völkermordtätern und ihren Milizen die Flucht aus Ruanda in den Osten des heutigen Kongo (damals Zaire) ermöglicht. Die Militäroffiziere werden im von der ruandischen Regierung am 5. August veröffentlichten Untersuchungsbericht über die französische Mitschuld am Völkermord erwähnt.
Unterdessen wurde am 7. November der Schrift­steller Pierre Péan, ein glühender Bewunderer des damaligen Präsidenten François Mitterrand, vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Er hatte in einem Buch unter dem Titel »Schwar­zer Furor, weiße Lügner« all jene angegriffen, die Frankreich einer Mitschuld an dem Genozid bezichtigten, unter ihnen auch Tutsi-Persönlichkeiten. Péan hatte wörtlich geschrieben, bei den Tutsi gebe es traditionell eine »Kultur der Lüge«.
Zwei Tage zuvor hatte auch die Verhandlung zwischen Mitterrands früherem Außenminister Hubert Védrine und der französischen Organisation Genocide made in France begonnen. Védrine hatte die Organisation verklagt, weil ihre Mitglieder ein Jahr zuvor blutrote Farbe auf ihn geschüttet hatten, um auf seine politische Rolle im Jahr 1994 aufmerksam zu machen. Die Entscheidung in diesem Verfahren steht noch aus.

Die Festnahme von Rose Kabuye ist nun der vorläufig letzte Akt in dieser Reihe. Dabei handelt es sich allerdings keineswegs um einen Unfall. Es ist vielmehr zu vermuten, dass die ruandische Regierung die Verhaftung bewusst in Kauf genom­men hat. Seit mehreren Wochen hatten die ruandischen Behörden in Berlin nachgefragt, ob die Spitzenpolitikerin auf der Grundlage des französischen Haftbefehls festgenommen würde, falls sie nach Deutschland einreise. Dies könne passieren, falls sie aus privaten Gründen einreise, aber nicht, wenn sie in einer diplomatischen Mission unterwegs sei, lautete die Antwort, in diesem Fall gelte für sie die diplomatische Immunität. Die ru­an­dische Regierung ließ nun Madame Kabuye über den Frankfurter Flughafen einreisen, mit der Angabe, sie solle Geschäftsleute im Rhein-Main-Gebiet treffen. Also keine diplomatische Aufgabe.
Vermutlich wollte die Regierung Ruandas dadurch einerseits das Verhalten einer anderen EU-Re­gierung gegenüber der französischen Position austesten, gleichzeitig aber wollte man wissen, was Frankreich in den Akten stehen hat – wohl, um die politische sowie juristische Antwort darauf besser vorzubereiten. Die Akteneinsicht wird aber erst dadurch möglich, dass Rose Kabuye fest­ge­nom­men wurde. Nach ihrer Auslieferung an Frankreich ist sie nun Prozesspartei und kann mittels ihrer Anwälte die Akten des Verfahrens einsehen.
Unterdessen hat die ruandische Regierung angekündigt, dass man selbst in Kürze internationale Haftbefehle gegen französische Politiker und Militärs ausschreiben werde. Man darf gespannt sein, welche Staaten diese internationalen Haftbefehle ausführen werden.