Über das Box-Musical »Der Kampf des Jahrhunderts«

Schmeling verliert wieder

Hinter den Kulissen kämpft das Berliner Theater »Tribüne« ums Überleben. Auf der Bühne zeigt es das furiose Box-Musical »Der Kampf des Jahrhunderts«.
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Die Journalisten drängeln: »Wird es Krieg geben?«, »Was ist mit den Juden?« – »Hat Hitler ihnen am Hamburger Hafen zum Abschied die Hand gegeben, Mister Schmeling?!« Der so bedrängte Boxer steht in einem Winkel aus zwei Ketten, die an einem Pfosten befestigt sind – eine stilisierte Ringecke. »Es geht hier nur um Sport«, singt er. Im Hintergrund deuten expressionistisch bemalte Stellwände die New Yorker Skyline an.
Von einer metallenen Empore am anderen En­de der Bühne bekommt Schmeling Hilfe. »Meine Herrschaften von der Presse!« keckert sein Manager Joe Jacobs, selber ein Jude. »Ich war selbst in Deutschland und bin immer noch …Heil!« Dann wirft er Mettwürste, Schnaps und Stollen als Geschenke in die Pressemeute.
Auf der Bühne der »Tribüne« am Berliner Ernst-Reuter-Platz läuft das Box-Musical »Der Kampf des Jahrhunderts« von Paul Graham Brown und James Edwards Lyons. Am 4. Oktober war die von der Presse hoch gelobte Welt­pre­miere; nun muss sich das Stück im normalen Spielplan beweisen.
Nicht nur Boxfans wissen: Der Kampf des 20. Jahr­hunderts wurde zwischen Joe Louis und Max Schmeling ausgetragen. Mehr noch als zur Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Boxkunst und kalkulierender Technik wurde er stilisiert zum Stellvertreterkampf für den Konflikt zwischen dem kriegslüsternen Deutschland und den USA, die bereit waren, sich Hitler entgegenzustellen.
Ein großes Thema also, dem sich die kleine, um ihre Zukunft fürchtende Bühne stellt. Warum auch nicht? Seit der Gründung der »Tribüne« im Jahr 1919 zog sie immer wieder große Namen und große Themen an. Fritz Kortner und Marlene Dietrich, Hildegard Knef und Horst Buchholz traten hier auf, Else Lasker-Schüler las, George Grosz beschimpfte sein Publikum, Erwin Piscator und Jürgen Fehling inszenierten. Auch in den vergangenen Jahrzehnten machte die »Tribüne« immer wieder von sich reden. Po­litisch-literarische Programme wie »Die ver­brann­ten Dichter« von Rainer Behrend, der dem Haus bis 2006 als Intendant vorstand, zogen Preise, Kritikerlob und Zuschauer an.
Doch Kritikerlob ist für die »Tribüne« schon längst nicht mehr genug. Seitdem ihr im Sommer dringend benötigte Fördergelder vom Senat nicht gewährt wurden, ist das Weiterbestehen von Berlins ältestem Privattheater nicht einmal dann gewährleistet, wenn jede Produktion ein Erfolg wird.
Wenn nun der Brite Brown (Musik und Liedtexte) und der US-Amerikaner Lyons (Buch und Regie) ihre Version der oft erzählten Ge­schich­­te von Schmeling und Louis zeigen – vorher spielten sie u.a. Til Schweiger und Leonard Roberts in Steve James’ Film »Joe and Max« von 2002 –, stellt sich zunächst die Frage, wie sie überhaupt auf den Stoff gekommen sind.
Bei einem Probenbesuch wenige Tage vor der Premiere erklärte der studierte Musicalkomponist Brown: »Ich kam 2005 aus England nach Deutschland und hatte überhaupt keine Ahnung vom Boxen. Aber ein paar Tage vorher war gerade Schmeling gestorben, und die unglaubliche Masse an Nachrufen und Berichten machte mich neugierig.«
Außerdem lernte er Lyons kennen, der bereits seit 1980 in Deutschland lebt und der schon einige biografische Revuen inszeniert hatte, u.a. über Janis Joplin, über Johnny Cash sowie das viel gelobte Knef-Portrait »Für mich soll’s rote Rosen regnen«. Dazu hatte er allerdings immer mit der Musik der dargestellten Künstler gearbeitet.
»Als wir im Januar anfingen zu schreiben und zu komponieren, war es gleich so, als würden wir uns schon seit 20 Jahren kennen«, staunt Lyons noch heute. Und während der Arbeit bekam der Stoff noch eine weitere, unerwartete Wendung. »Jeden Morgen haben wir erst mal eine halbe Stunde lang Nachrichten geschaut. Es liefen gerade die Vorwahlen zwischen Barack Obama und Hillary Clinton, und uns wurde klar, dass Obama vielleicht das für schwarze Politiker leisten kann, was Louis für den schwarzen Sport geschafft hat.«
Mittlerweile ist Barack Obama zum Präsidenten gewählt worden, aber von der behaupteten Analogie ist auf der Bühne wenig zu sehen. Wie bei fast jedem Musical ist auch die Geschichte von »Der Kampf des Jahrhunderts« schnell erzählt. Sie umfasst die Jahre zwischen 1936 und 1938. Die Zeit also, als der erfahrene, technisch versierte Ex-Weltmeister Max Schmeling, von dem es hieß, er sei bereits etwas über seinen sportlichen Zenit hinaus, zum ersten Mal in New York auf das unbesiegte Jahrhunderttalent Louis trifft und ihn in der 12. Runde sensationell durch K.O. besiegt. Bis zur Revanche zwei Jahre später, als Louis den verhassten Deutschen im vielleicht wütendsten aller Kämpfe um die Weltmeisterschaft binnen zwei Minuten zu Boden prügelt.
Sportlich sind die beiden Hauptdarsteller Michael Starkl und Ricky Watson (der auch schon in »Joe and Max« eine Nebenrolle spielte) auf jeden Fall bestens vorbereitet. Beide wiegen 85 Kilogramm, wären also nach den Regeln von 1938 Schwergewichte, und zusammen haben sie monatelang mit den Charlottenburger Amateuren von »Sparta 58« trainiert.
»Das war manchmal ganz schön gefährlich«, erzählte Watson schon während der Proben. »Michael und ich haben ja nur die Konditionsarbeit gemacht und ansonsten die Choreografien fürs Stück probiert. Aber irgendwann will so ein 18jähriges, austrainiertes Kraftpaket wirklich mit dir einen Trainingskampf machen. Ich habe fast nur hinter meiner Deckung gestanden und war froh, als der Gong schlug.«
Doch nicht nur von dem Kampf Louis gegen Schmeling wollen Brown und Lyons erzählen. Sondern auch über die Entwicklung des Boxens von der Kirmesattraktion zum hochprofessionell dargebotenen Weltmarktprodukt. Vom Leben der Boxer neben dem Ring und ihren Frauen Anny Ondra (Lada Kummer) und Mavis ­Louis (Gina Marie Hudson). Und – schließlich ist es ein Musical – es sollen Charleston, Swing und Jazz auf Marschmusik und Walzer treffen. Das gelingt bravourös, obwohl Brown am Klavier nur von einem Klarinettisten verstärkt wird.
Der ganze Abend wirkt wie ein Kampf, der sich von Runde zu Runde steigert. In den ersten Minuten spürt der Betrachter, der mit »Musical« in den vergangenen Jahren vielleicht vor allem die Materialschlachten eines Andrew Lloyd Webber assoziiert, wie sehr in der »Tribüne« gespart wird. Außer den Hauptdarstellern muss jeder Schau­spieler mehrere Rollen übernehmen, und bei manchen Kostümen ist sichtbar, dass sie aus dem Fundus stammen.
Doch je länger der Abend dauert, desto mehr gewinnt die Geschichte die Oberhand, desto intensiver reagiert das Publikum, desto häufiger gibt es Szenenapplaus.
Vor allem Daniel Pabst in der Rolle des findigen, windigen Joe Jacobs macht sich selbst zum Star der Show. Alle Anfeindungen hat er aus­getrickst oder weggelacht, jeden Vorwurf ignoriert, doch am Ende sind die Nazis natürlich stärker als er.
Einsam und von seinem Boxer getrennt, ruft er seinen Gott an. Doch selbst in dieser stärksten Szene des ganzen Stücks kommt er nicht aus seiner Haut: »Gott, wenn du in der gleichen Situation gewesen wärst – du hättest es doch auch so gemacht?«
Das Stück endet, als Schmeling unter Louis’ Schlägen zu Boden geht. Der wahre Kampf des Jahrhunderts, so singt das Ensemble im Epilog, beginnt ein Jahr später.

»Der Kampf des Jahrhunderts«. Wiederaufnahme am 27. November 2008. Noch 16 Vorstellungen in diesem Jahr. www.tribuene-berlin.de