Das Comeback von zwei Neuen Rechten in Frankreich

Der Flashback

Die Zeiten, als die Neuen Rechten intellektuell ­aufzurüsten versuchten, sind vorbei. Mit Yvan Blot und Alain de Benoist haben sich jetzt zwei Veteranen der Bewegung auf der ­publizistischen Bühne zurückgemeldet.

Es ist schon merkwürdig, dass der alljährlich in Frankreich verliehene »Preis des liberalen Buchs« in diesem Jahr ausgerechnet an einen ausgemachten Gegner der liberalen Gesellschaft gegangen ist. Und das dürfte noch eine nette Umschreibung für den Preisträger sein, der als Vordenker einer völkischen, biologistischen Ideologie bezeichnet werden muss und vielen schlichtweg als Faschist gilt: Yvan Blot, einem hohen französischen Beamten, wurde diese Auszeichnung verliehen. Den »Preis des liberalen Buchs 2008« sprach ihm die Jury für das Werk zu, das er über den britischen Liberalen Herbert Spencer verfasst hatte. Das Buch erschien unter dem Titel »Herbert Spencer, ein Evolutionist gegen den Etatismus« und beruht auf der Doktorarbeit, die Yvan Blot über den britischen Philosophen, Soziologen und politischen Denker verfasst hat.
Spencer, der im 19. und frühen 20. Jahrhundert schrieb, gilt allgemein als einer der Pioniere des so genannten Sozialdarwinismus. Der Begriff wurde ursprünglich eigens geschaffen, um seine Lehre zu bezeichnen. In Wirklichkeit ist er etwas unscharf, da Herbert Spencers Evolutionslehre nicht auf Charles Darwin fußte, sondern auf den Theorien des einige Jahrzehnte früher lebenden französischen Biologen Jean-Baptiste de Lamarck.
Wie andere vor und nach ihm übertrug Spencer die von Darwin für das Tierreich und die Pflanzenwelt beschriebene Regel des »survival of the fittest« auf die menschlichen Gesellschaften und auf ihre Ökonomie. Im Unterschied zu anderen so genannten Sozialdarwinisten – darunter auch die deutschen Nationalsozialisten – trat Spencer dabei allerdings nicht für einen autoritären Staat ein, sondern für einen »Minimalstaat«, der sich so wenig wie möglich in gesellschaftliche Belange einmischen sollte. Die Austragung des Überlebenskampfs, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, werde sich in der Gesellschaft schon von selbst regeln, befand Spencer. Deshalb gilt er auch vielfach weiterhin als Liberaler.
An diesem Punkt setzt Yvan Blot ein gutes Jahrhundert später an, um zu versuchen, die Ideen Spencers nutzbar zu machen, und wendet sich damit an ein liberales bis konservatives Publikum. Daher auch der programmatische Titel: »Ein Evolutionist« bezieht sich auf die, vergröbert gesprochen, sozialdarwinistischen Vorstellungen Spencers. Und »gegen den Staat« meint bei Blot mitnichten einen anarchistischen oder antiautoritären Impuls, sondern lässt sich am besten mit den Worten »für mehr Markt« zusammenfassen. Die Vorstellung vom »survival of the fittest« mit einem Plädoyer für »die Zu­rück­drängung des Staates« – im Sinne von »mehr Markt« – zusammenzuführen, ist eine sehr »moderne« Herangehensweise.
Wie man es mit der liberal-kapitalistischen Wirtschaft und dem »Markt« – nach ihren Vorstellungen – hält, war lange Zeit ein Streitpunkt unter französischen rechtsextremen Intellektuellen. Sie spalteten sich in den frühen siebziger Jahren in zwei Richtungen auf: Die eine glaubte an eine mögliche Aussöhnung ihrer eigenen Vorstellungen mit liberal-konservativen Politik­ansätzen, im Zeichen eines als »naturkonforme Gesellschaftstheorie« aufgefassten Sozialdarwinismus. Die andere hingegen lehnte Kompromisse mit Liberal-Konservativen ab, da der bürgerliche Liberalismus in ihren Augen keinesfalls ein verlässlicher Bündnispartner war. Er habe nämlich, zumal in Frankreich, wo er sich ab dem späten 18. Jahrhundert bekanntlich revolutionär (gegen Monarchie und Adel) durchsetzte, »natürlich gewachsene, organische Gesellschaftsordnungen« zerstört.
Herausgebildet haben sich beide Richtungen in der »Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation«, kurz Grece. Die Gruppe wurde 1968 in Nizza gegründet, ihr Kopf war schon damals Alain de Benoist. Die Organisation diente dazu, die Ideen und Konzepte der extremen Rechten gründlich zu überarbeiten und theoretisch neu zu fundieren. Die leitenden Kader des Grece waren bis dahin selbst politische Aktivisten gewesen und für den Sieg Frankreichs in den Kolonialkriegen oder – im Falle Alain de Benoists – für den Erhalt des Apartheidsystems im damaligen Südafrika und Süd-Rhodesien (dem heutige Zimbabwe) eingetreten. Aber die Niederlagen Frankreichs in seinen wichtigsten Kolonialkriegen läuteten für die Aktivistengruppen an der Heimatfront den Niedergang ein. Eine gründlichliche Inventur der Theorie sollte einen Neuanfang ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde die Organisation geschaffen.
Der Name dieses zentralen Denklaboratoriums der extremen Rechten stand fortan aber auch für einen Bezug auf das alte Griechenland. Denn sowohl in der hellenischen Antike als auch bei heidnischen Kelten suchten die Vorzeige-Intellektuellen dieser rechtsextremen Strömung Anknüpfungspunkte. Sie wollten mit der vorherrschenden »judeo-christlichen Kultur« (le judéo-christianisme) brechen und an vor-monotheistische Wurzeln der »indo-europäischen Zivilisation« anknüpfen. Denn das »Judeo-Christentum« galt ihnen als Übel: Einerseits sei es, wegen des jüdischen Ursprungs der Christenheit, ein (rassischer) »Fremdkörper in der europäischen Kultur«. Auf der anderen Seite störte sie, dass die monotheistischen Religionen die Gleichheit aller Menschen vor einem einzigen Gott predigen. Diesen »schädlichen Egalitarismus« sahen sie bereits als historische Vorstufe zum Kommunismus an.
In den Jahren um 1975 gingen die Intellektuellen im Umfeld der Organisation dann allmählich unterschiedliche Wege. Zunächst war es eine Arbeitsteilung, aber später erwuchs daraus eine reale ideologische Differenz. Um neue Anhänger unter den Abgängern von Elitehochschulen zu rekrutieren, rief die Organisation einen neuen Zirkel ins Leben, den Club de l’Horloge (Uhrwerksclub), der die zukünftigen Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft aufnahm. Aber alsbald wurde klar, dass die im Club de l’Horloge organisierten Kader tendenziell für eine Aussöhnung mit »dem Markt« und dem real existierenden Kapitalismus eintraten und diesem eine – sozusagen – explizit sozialdarwinistische, ideologische Grundlage zu verleihen suchten. Hingegen lehnte der harte Kern der alten Gruppe eine solche Annäherung an die Strukturen des vorhandenen politischen und ökonomischen Systems ab: Dieses sei keine »organisch gewachsene«, mit biologischen Prinzipien im Einklang stehende Gesellschaftsordnung. Später übte eine Fraktion des Grece sich in sektenartigen Ritualen. Um den Bruch mit dem judéo-christianisme auch auf symbolischer und »spiritueller« Ebene zu vollziehen, besorgten sich Anhänger des Grece Kultgegenstände für neuheidnische Rituale. Der antifaschistische Journalist René Monzat hat später in einer Schrift mit dem Titel »Die schlimmste Hypothese ist die richtige« dargelegt, dass die dort verwendeten neuheidnischen Kandelaber (Kerzenleuchter) von der zur SS gehörenden »Stiftung Ahnenerbe« entwickelt worden waren.
Dennoch genossen Anhänger dieser Strömung, so auch Alain de Benoist, in der Öffentlichkeit zeitweise einen guten Ruf. Als die konservative Tageszeitung Le Figaro sich 1979 eine Wochenendbeilage in Gestalt des Figaro Magazine zulegte, wurde Alain de Benoist dort führendes Redaktionsmitglied. Zusammen mit einer Reihe von Gefolgsleuten konnte er dort fünf oder sechs Jahre lang journalistisch mitwirken und seine Ideen verbreiten. Die bürgerlich-konservative Redaktionsführung ließ ihn gewähren. Dort war man der Auffassung, es brauche ein »ideologisches Gegengift« gegen den Marxismus, der damals unter französischen Intellektuellen populär war. Erst in den späten neunziger Jahren befreite sich das Figaro Magazine von den Überresten der rechtsextremen Einflüsse und ging auf Mitte-Rechts-Kurs.
Seit den achtziger Jahren vollzogen unterdessen viele Anhänger und führende Mitglieder beider Gruppen den Übergang zum politischen Aktivismus. Sowohl Kader des Club de l’Horloge oder seines näheren Umfelds (wie Yvan Blot, Jean-Yves Le Gallou und Bruno Mégret) als auch aus dem bisherigen Grece – wie Pierre Vial – wurden beim Front National, der neu aufsteigenden rechtsextremen Partei, aktiv. Aber ein Jahrzehnt später zogen sich die Genannten wieder aus der aktiven Parteipolitik zurück: Nach der Spaltung des Front National, bei der die Anhänger Bruno Mégrets hinausgeworfen wurden und eine – erfolglose – eigene Partei gründeten, gaben sie das Parteileben mehrheitlich enttäuscht auf.
Yvan Blot etwa, der durch die Spaltung der extremen Rechten in Le Pen- und Mégret-Anhänger (1999) tief verunsichert wurde und mehrfach die Fronten wechselte, stellte die parteipolitische Betätigung zu Anfang des Jahrzehnts ein. Vorübergehend. Denn im Jahr 2005 trat er der drei Jahre zuvor als konservativ-liberale Einheitsbewegung gegründeten Regierungspartei UMP bei. Gleichzeitig konnte er aber von seinen ideologischen Hobbys nicht lassen, und ganz offenkundig gehört er weiterhin rechtsextremen Netzwerken – freilich jenseits von Parteistrukturen – an. Im Jahr 2006 publizierte Blot beispielsweise ein Buch über »Unser griechisches Erbe« und hielt Vorträge über »Die Kritik der Demokratie bei den griechischen Philosophen«. Die Griechen-Schwärmerei, die Kritik der Demokratie und des Egalitarismus, das Eintreten für »Aristokratie«, eine angeblich »natürliche« Ungleichheit und Erdverbundenheit: Alles Wesentliche vom Denken der rechtsextremen Intellektuellen ist bei ihm offenkundig noch vorhanden.
Heutzutage scheint das Netzwerk dieser Intellektuellen erneut aktiv zu werden. Nicht nur, dass Blot nun unlängst den »Preis des liberalen Buchs 2008« erhielt – hinter der Jury steht übrigens die thatcheristisch orientierte »Vereinigung für wirtschaftliche Freiheit und sozialen Fortschritt« (Aleps), die genau an der Schnittstelle zwischen der bürgerlichen Rechten und dem Dunstkreis der extremen Rechten angesiedelt ist. Inzwischen tauchen auch andere seiner ehemaligen Kollegen im rechtsextremen Intellektuellenmilieu wieder auf.
Unter ihnen auch Alain de Benoist. Ende Oktober war er offiziell als einer der Hauptredner zu einem pseudowissenschaftlichen Kolloquium in Nizza eingeladen. Veranstalter waren das Rathaus von Nizza, das von der konservativen UMP angeführt wird, und ein privates Bildungsinstitut. Thema des Kolloquiums, dessen Titel »Dritte Gesprächsrunde über die europäische Identität« lautete, war: »Der Held in der europäischen Identität«. Alain de Benoist sprach als erster Redner, unmittelbar nach der Eröffnung und Einführung durch den stellvertretenden Bürgermeis­ter von Nizza, Bernard Asso. In seinem Beitrag ging er auf Georges Dumezil ein, einen 1986 verstorbenen Wissenschaftler. Dieser Linguist arbeitete zu »indo-europäischen Sprachfamilien«. Auch wenn er selbst keine ideologischen Absichten damit verbunden haben mag, wird er doch seit Jahrzehnten von Rechtsextremen für ihre Sache vereinnahmt: Wo der Sprachforscher nach Abstammungslinien der »indo-europäischen Völker« suchte, erblicken sie die Ahnenfolge der »Arier«.
Derselbe Alain de Benoist betätigt sich nun auch erneut journalistisch, und zwar in der so­eben neu gegründeten rechtsextremen Zeitung Flash, die zukünftig vierzehntägig erscheinen soll (Jungle World 45/08). In der ersten Ausgabe, die am 30. Oktober erschien, erhielt Alain de Benoist eine Seite, um – ganz realpolitisch – über die Finanzkrise und ihre Auswirkungen zu schreiben. Dabei fällt auf, dass der fragliche Artikel, so, wie er verfasst ist, fast überall hätte erscheinen können. Denn de Benoist benutzt, um die Finanzkrise zu analysieren, keine spezifisch rechtsextremen Konzepte. Im Gegenteil deutet er die Ursachen der Finanzkrise mit Instrumenten, die auch von Marxisten, Gewerkschaftern oder linken Intellektuellen eingesetzt werden könnten. Beispielsweise spricht er in dem Artikel davon, die Ursprünge der Subprime-Krise lägen in dem Widerspruch zwischen einer sinkenden Massenkaufkraft – aufgrund sinkender oder bestenfalls stagnierender Löhne – einer­seits und wachsendem Konsumangebot anderer­seits begründet. Die Kluft zwischen beiden habe man durch die Aufblähung des Kredits zu überbrücken versucht, was aber früher oder später scheitern musste. Vernünftiger wäre es demnach gewesen, die Löhne zu erhöhen. Ein Ansatz, der für Rechtsextreme völlig untypisch ist: In Frankreich traten die rechtsextremen Parteien noch nie für Lohnerhöhungen ein, sondern propagierten stets Steuersenkungen als angeblichen Ansatz zur Lösung sozialer Probleme in den Unterklassen.
Alain de Benoist hat damit freilich nur einmal mehr seine Fähigkeit bewiesen, Erkenntnisse und Konzepte, die aus völlig anderen als rechtsextremen Zusammenhängen stammen, in seine Argumentation einzufügen. Auf diese Weise hat er sich schon in der Vergangenheit Versatzstücke aus den Veröffentlichungen von linken, liberalen und anderen Autoren nutzbar gemacht. Sein Ansatz unterscheidet sich dabei kaum in der Analyse des Bestehenden, in der Beschreibung des herrschenden Zustands, für welchen er sich oft Erkenntnisse aus ihm politisch fern stehenden Spektren zueigen macht. Der Unterschied liegt vielmehr in dem, was er anstelle des Bestehenden als »Alternative« anstrebt. Alain de Benoist lässt in dem aktuellen Artikel zur Finanzkrise offen, welches System das sein könnte. Die Antwort darauf, welche Gesellschafts­ordnung er anstrebt, falls die – von ihm diagnostizierte – Krise des liberalen Kapitalismus akut wird, findet sich jedoch in seinen Schriften und Büchern: eine hierarchische, auf vermeintlich »natürlichen Gesetzen« beruhende, angeblich »organische« Gesellschaft.