Als embedded journalist bei der Bundeswehr in Afghanistan

Durchs wilde Afghanistan

Im Oktober erlaubte die Bundeswehr zum ersten Mal Agenturfotografen, die Soldaten, die im Rahmen der von der Nato geführten »International Security Assistance Force« (ISAF) im Norden Af­ghanistans stationiert sind, bei ihren Einsätzen als embedded journalists zu begleiten, so, wie die US-Armee es bereits seit Jahren macht.

27 Tage lang war ich als embedded-Fotograf für die internationale Nachrichtenagentur Reuters mit dem Kontingent der deutschen Bundeswehr in Afghanistan unterwegs. Ich habe Einheiten der Feldjäger, der Fallschirmjäger und die Infante­rie aus dem 17. deutschen Kontingent bei Einsätzen in Masar-e-Sharif, Feyzabad und Kunduz begleitet. Ich hatte dabei die Möglichkeit, über die Soldaten, die dem Territorium operieren, zu berichten. Solange ich mich mit der Einheit bewegte, die mir zugewiesen wurde, konnte ich frei arbeiten. In meiner Rolle als embedded journalist konnte ich allerdings nur Einblick in die eine Seite bekommen. Was die afghanische Seite angeht, blieb die Sicht eingeschränkt. An diese Grenze zu stoßen, ist auch ein Teil dieser Arbeit.

Am ersten Tag nach Neumond feiern Muslime weltweit den Eid-al-Fitr-Tag, der das Ende des Fastenmonats Ramadan markiert. Familien bereiten festliches Essen vor, es werden Freunde eingeladen, man kommt zusammen. Auch für die Afghanen ist das Fastenbrechen ein festliches Ereignis.
Am Dienstag, dem 30. September, wurde ich einer Einheit deutscher und belgischer Soldaten zugewiesen, die nach Taloqan fahren sollten, rund 75 Kilometer östlich von Kunduz, im Norden des Landes. Es handelte sich nicht um einen Routine-Einsatz, denn es war der erste Tag nach dem Ende des Ramadan. Die Stimmung in Kunduz und Taloqan war angespannt. Die Hauptzufahrtsstraßen waren für Militärfahrzeuge gesperrt, da es in den Tagen zuvor konkrete Warnungen vor Selbstmordattentaten oder Roadside-Bombs gegeben hatte. Erst eine Woche zuvor hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, nachdem er sein mit Sprengstoff ­beladenes Auto in einen Konvoi der Bundeswehr hineingefahren hatte. Glücklicherweise wurden dabei nur die Panzer beschädigt, niemand wurde verletzt.
Unser Konvoi musste also eine andere Route fahren als geplant. Ich saß angeschnallt in einem gepanzerten belgischen Truppentransporter. Die Fahrt auf der Holperstrecke, die nur für Off­road­fahrzeuge befahrbar ist, dauerte rund zwei Stunden.
In Taloqan fiel mir sofort auf, dass irgendetwas anders war als das letzte Mal, als ich die Stadt besucht hatte. Überall waren festlich angezogene Menschen zu sehen, die Kinder hatten bunte Sachen an, nicht ihre alltäglichen schmutzigen Klei­der. Es war ein ganz anderes Straßenbild als jenes, das ich in Erinnerung hatte: bunter, fröhlicher und offener. Wir fuhren am lebhaften Basar vorbei.

Nachdem wir den kleinen Außenposten erreicht hatten, den die Bundeswehr betreibt, verließen wir die Fahrzeuge und gingen zu Fuß in die Innen­stadt und zum Basar. Die Soldaten verteilten an die Anwesenden Grußkarten für den Eid-al-Fitr-Tag und zogen damit Scharen von Kindern an. Die­se hatten keine Angst, weder vor den Soldaten noch vor mir, wie andere Kinder in den abgelegenen Dörfern, die noch nie eine Kamera gesehen hatten. Ich machte Fotos und bemerkte dabei die Spannung in den Gesichtern der Soldaten. Die Angst vor einem Anschlag war bei ihnen deutlich spürbar. Sie trugen keine Helme, während sie über den Markt patrouillierten, um nicht allzu aggressiv zu erscheinen, immerhin waren sie alle schwer bewaffnet. Ich selbst musste neben meiner Kame­ra meine mehrere Kilo schwere kugelsichere Weste mit Keramikplatten tragen. Wie viel Kraft die Kon­zentration an diesem Ort erforderte, war an den Gesichtern der Soldaten deutlich zu sehen. Man war mit wichtigen Fragen beschäf­tigt: »Trägt dieser Mann, der vor mir läuft, einen Sprengstoffgürtel?«, »Warum ist dieses Motorrad zweimal an uns vorbeigefahren?«, »Was ist in den Taschen, die auf diesen Esel gepackt wurden?« Es sind manch­mal Details, die dir das Leben retten können und die dir deshalb auch nicht entgehen dürfen.
Um so größer war die Erleichterung für uns alle, als wir den Außenposten erreichten. Man kehrte zurück, keine besonderen Vorkommnisse waren zu melden. Das ist viel wert hier. Man wird sich vielleicht nur an die Gesichter der fröhlichen Kinder erinnern. Das andere Afghanistan.

Wir verließen Taloqan und machten uns auf den Weg nach Kunduz, noch eine Fahrt von zwei Stunden. Als wir das Camp erreichten, setzte ich mich an meinen Laptop und begann, die Bilder auszuschneiden, um sie mit einer Satellitenverbindung an unseren Global Picturedesk in Singa­pur zu schicken. Dabei stellte ich die Ausrüstung nach draußen, auf der Suche nach dem Punkt, an dem der Satellitenempfang am besten war. Den fand ich auf der Motorhaube eines gepanzerten Fahrzeugs. Plötzlich hörte man einen dumpfen Knall. Irgendwie kam mir das bekannt vor aus dem Irak, aber ich dachte an ein Feuerwerk. Immerhin war es ein Feiertag. Ich arbeitete weiter. Einige Minuten später hörte man einen zweiten Knall, begleitet vom typischen Pfeifen einer Rakete. Spätestens dann war klar: ein Raketenangriff. Ich nahm meinen Laptop und meine Satelliten­übertragungstechnik und rannte in einen Schutz­raum. Das JOC (Joint Operation Center) meldete über Lautsprecher in einer verschlüsselten Sprache, dass wir uns unter Beschuss befanden. Einige Sekunden später kam dann der dritte Knall, kurz darauf war ein wenig weiter entfernt eine Explosion zu hören. Dann wieder Stille. Die Solda­ten erwarteten eine weitere Rakete, aber alles blieb ruhig. Drei Stunden später kam die Entwarnung. Jetzt konnte ich auch etwas essen. Insgesamt drei Raketen waren abgeschossen worden, keine hatte das Camp getroffen, Verletzte gab es auch keine. Es war der erste Angriff nach zwei Wochen. Alltag in Kunduz.