Die Pogrome gegen Roma in Tschechien

Eine Schutzstaffel fürs Volk

Im tschechischen Litvínov rufen Nazis zur Jagd auf Roma auf, Einwohner der Stadt schließen sich den Pogromen an. Die bürgerlichen Parteien und die Zivilgesellschaft reagieren hilflos oder gar nicht.

Der Legende nach vollzog sich die Transforma­tion vom Sozialismus zur bürgerlichen Demokra­tie in Tschechien weitgehend gewaltfrei. Seither wird sie als »Samtene Revolution« bezeichnet. Wie die rechtsextreme tschechische Arbeiterpartei (Delnická Strana) zu gewaltfreien Veränderungen der Verhältnisse steht, machte sie am 17. November im nordböhmischen Litvínov deutlich. Unter dem Motto »Schluss mit den Samthandschuhen« rief sie zu einem »Protestmarsch« gegen die lokale Roma-Minderheit auf. Unterstützung erhielt sie dabei von verschiedenen neonazistischen Organisationen wie dem »Nationalen Widerstand« (Národní Odpor) und den »Au­tonomen Nationalisten« (Autonomní Nacionalisté).
Ungefähr 600 Nazis aus der gesamten tsche­chi­schen Republik folgten dem Aufruf. Die Demonstration richtete sich gegen die vermeint­liche Unfähigkeit der örtlichen Behörden, das »Zigeuner-Problem« in Janov zu lösen, einem über­wiegend von Roma bewohnten Stadtviertel Lit­vínovs.

Doch nicht nur Nazis zeigten an diesem Tag ihren Hass auf die Roma, auch die Bevölkerung Litvínovs beteiligte sich an dem Pogrom. Während des Aufmarsches versorgten Anwohner die Nazis mit Essen und Getränken, schrien rassistische Parolen und beschimpften Polizeibeamte, die versuchten, dem Mob den Weg nach Janov zu versperren.
Als die Nazis von der angemeldeten Route abwichen und versuchten, in Richtung Janov zu mar­schieren, kam es zu schweren Straßenschlachten. Pflastersteine, Brandsätze und Feuerwerkskörper flogen. An den Ausschreitungen beteiligten sich keinesfalls nur die angereisten Rech­­ten, son­dern auch Bürger aus Litvínov. Presse­berichten zufolge sollen einige Bewohner den Nazis am Tag zuvor sogar erlaubt haben, Waffen in ihren Wohnungen zu verstecken. Erst nach Stunden brachte die überforderte Polizei die Situation unter Kontrolle. Lediglich 15 Randalierer wurden während des gesamten Tags festgenommen. Was passiert wäre, wenn die 300 von der Polizei am nahe gelegenen Bahnhof von Most festgehaltenen Nazis Litvínov auch noch erreicht hätten, möchte man sich gar nicht vorstellen.
Die Unfähigkeit der Polizei, die Krawalle in Lit­ví­nov zu verhindern, verwundert, kam das Po­grom doch keineswegs überraschend. Schon seit länge­rer Zeit schwelen in der Stadt Konflikte zwischen den Roma und den übrigen Bewohnern. Diese Spannungen resultieren aus einer zunehmenden sozialen Segregation des Viertels und sind vor allem von stereotypen, rassistischen Vorurteilen gegen die Roma gekennzeichnet. Die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Kriminalitätsraten sowie die mangelnde Integrationsförde­rung seitens der Behörden verschärfen die Lage zusätzlich. Der Hass auf die Roma steigerte sich schließlich so sehr, dass Anwohner in der Überzeugung, die Behörden würden nicht genug unternehmen, um die Missstände zu bekämpfen, die rechtsextreme Arbeiterpartei um Hilfe baten.
Diese ließ sich nicht zweimal bitten und schickte Anfang Oktober zwölf Mitglieder der parteieigenen »Schutzstaffel« (Ochranný Sbor) nach Janov. Den Schlägern stellte sich jedoch eine Gruppe bewaffneter Roma entgegen. Die Polizei konnte eine Auseinandersetzung verhindern. Doch nach diesem Vorfall wurden Videos im Internet veröffentlicht, in denen aggressive Roma die Nazis als »weiße, tschechische Schweine« beschimpften. Die Arbeiterpartei wusste dies propagandistisch zu nutzen, bezeichnete die Roma als »Rassisten« und rief mit den Parolen »Tschechen sind täglich Opfer von Zigeunerattacken« und »Litvínov ist unsere Stadt« zu einer Wahlkampfveranstaltung in Litvínov zwei Wochen später auf. Im Anschluss an die Veranstaltung plante die Arbeiterpartei einen Marsch nach Janov, um dort »für Ruhe und Ordnung zu sorgen.«

Dem Aufruf zur – übrigens unangemeldeten – Wahlkampfveranstaltung am 18. Oktober folgten etwa 300 Nazis. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Veranstaltungsort im Stadtzentrum säumten zahlreiche Schaulustige die Straßen und jubelten dem Mob zu. Die Reden auf der Kundgebung waren gekennzeichnet von neonazistischer Rhetorik und xenophoben Parolen. Wiederholt soll der Schlachtruf »Tschechien den Tschechen« skandiert worden sein. Am Ende der Reden rief der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Tomáš Vandas, die Anwesenden öffentlich zum »Sturm« auf Janov auf.
Als sich die Polizei daraufhin bemühte, die Nazis einzukesseln, kam es zu Krawallen. Es flogen Pflastersteine und Böller. Die Polizei schien mit dieser Situation völlig überfordert zu sein und konzentrierte sich anschließend nur darauf, die Siedlung zu schützen und die Zufahrtsstraßen zu sperren. Dennoch konnten die Nazis mit Hilfe von Ortskundigen auf Schleichwegen nach Janov gelangen. Ein Aufeinandertreffen mit einer Gruppe von etwa 150 Roma konnte die Polizei im letzten Moment verhindern. Erst am späten Nachmittag gelang es den Beamten, die Angreifer aus der Siedlung in Richtung des Bahnhofs zu treiben. Personenkontrollen fanden nicht statt, so konnten fast alle Nazis Litvínov unbehelligt verlassen. Es kam lediglich zu drei Festnahmen.
Diese zwei Pogrome innerhalb von vier Wochen haben die Roma in Litvínov in Angst und Schrecken versetzt. Die Tatsache, dass ihre Nachbarn die Nazis unterstützt und bejubelt haben, zeigt, wie weit die antiziganen Ressentiments in der Stadt verbreitet sind. Dass die Polizei nur mit Mühe in der Lage war, Schlimmeres zu verhindern, lässt unter den Roma die Angst vor unangekündigten rassistischen Überfällen weiter wachsen. Die Romani Alliance, ein Zusammenschluss von Roma-Organisationen, hat Angaben von netz-gegen-nazis.de zufolge die Roma in Janov aufgefordert, Selbstschutz zu organisieren.

Dies ist vor allem als Kritik an der zweifelhaften Polizeitaktik während der beiden Pogrome zu sehen. Nach Ansicht von Bürgerrechtsorga­nisationen und Roma-Verbänden auf der einen sowie tschechischen Medien auf der anderen Seite wirkten die Polizeieinheiten überfordert und schienen auf die Situation nicht vorbereitet gewesen zu sein. Es stellt sich die Frage, wieso keiner der Aufmärsche aufgelöst bzw. verboten worden ist. In beiden Fällen deutete alles darauf hin, dass es zu Gewalt von Seiten der Nazis kommen würde. Sowohl am 18. Oktober als auch am 17. No­vember wurden vor der jeweiligen Demonstration Waffen bei anreisenden Teilnehmern gefunden, darunter Messer, Schlagringe und Gaspis­tolen. Im Internet wurde außerdem in einschlägigen Nazi-Foren schon lange vorher über die Strategie des geplanten Angriffs auf Janov diskutiert. Ferner rief die Arbeiterpartei die Bewohner Litvínovs dazu auf, ihre Autos zur Sicherheit außerhalb der Stadt zu parken. Es war frühzeitig ersichtlich, dass von den Veranstaltungen eine erhebliche Gefahr für die Roma in Janov ausgehen würde.
Auf antifaschistische oder zivilgesellschaft­liche Proteste gegen die Umtriebe der Nazis war­tete man indes vergebens. Das zeigt, wie marginalisiert die Roma in der tschechischen Gesellschaft sind. Die bürgerlichen Parteien diskutieren nun, nach den Krawallen in Janov, über ein Verbot der Arbeiterpartei und den Entwurf für eine Verschärfung des Versammlungsrechts. Wie dadurch der tief sitzende Rassismus und Antiziganismus wirksam bekämpft werden soll, bleibt ein Rätsel. Während die Parteien und die Gesellschaft offensichtlich Probleme damit haben, angemessen auf die Vorfälle zu reagieren, hat die Arbeiterpartei für die nahe Zukunft schon ihr nächstes Vorhaben angekündigt: einen weiteren Aufmarsch in Litvínov am 13. Dezember.