Das Spiel mit den Arbeitslosenzahlen

Füge dich!

Wenn Unternehmer Entlassungszahlen prognostizieren, ist das vor allem eine Botschaft an die Beschäftigten.

Die Wirtschaft rechnet und spricht. Zwar ist sie als die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse keine Person und kann ohne Kopf nicht rechnen oder sprechen. Dennoch konnte man auf Spiegel online lesen: »Wirtschaft rechnet mit über 215 000 Arbeitslosen.« Andere berichteten: »Wirt­schaft spricht von über 215 000 Arbeitslosen«.
Abgeschrieben hatten sie das aus der Bild-Zeitung. Diese kam in einem »Job-Report 2009« zu dem Schluss, dass im nächsten Jahr über 210 000 Arbeitsplätze abgeschafft werden könnten, und berichtete zudem, dass jedes zweite Unternehmen 2009 Entlassungen plane.
Nicht »die Wirtschaft« hatte die Zahlen errechnet und dann gesprochen. Die Bild-Zeitung hatte hauptsächlich Unternehmerverbände befragt und sich auf Angaben des Kölner Instituts für Wirtschaft bezogen, das meist leicht verdruckst als »arbeitgebernah« bezeichnet wird. In der Berliner Zeitung sekundierte Hans-Werner Sinn vom auch nicht gerade arbeitgeberfernen Münchner Institut für Wirtschaftsforschung: Die Zahl der Arbeits­losen werde »jetzt sehr rasch wieder steigen«. Und Angela Merkel unkte: 2009 werde das »Jahr schlechter Nachrichten«. Dass in einer globalen Rezession auch in Deutschland viele Menschen entlassen werden, ist eine nahe liegende und deshalb schlichte Erkenntnis. Interessanter ist, wer sie wem verkündet: Wenn die Unternehmer und ihre Experten etwas verlaut­baren, sind die Adressaten die Beschäftigten, zumal wenn es um Prognosen zu den Entlassungen geht. Die Botschaft ist klar: Viele müssen gehen, wer weiter der Lohnarbeit nachgehen darf, soll Verzicht üben.
Die IG Metall hat im Tarifabschluss vor zwei Wochen bereits ihre Fügsamkeit unter Beweis gestellt. Die Interessen der Beschäftigten hat sie kaum vertreten. Dafür lobte die Gewerkschaft die durch den Abschluss geschaffene »Planungssicherheit für die Unternehmen«. Zudem sei die kleine Lohnerhöhung ein »großes Nachfrageförderungsprogramm«, entlaste also den Staat und nütze der Wirtschaft.
Auch das Spiel mit den Arbeitslosenzahlen soll die Beschäftigten dazu anhalten, sich für die deutsche Wirtschaft in der Krise dienstbar zu machen. Geradezu symptomatisch gestaltete sich da eine Umfrage des ZDF. Der Sender wollte von 1 300 Befragten wissen, wie es um die Wirtschaft im Land stehe. Die einzig richtige Antwort für Lohnabhängige wäre gewesen: Was interessiert mich die Wirtschaft, ich will mehr Geld! Die Antwort stand aber selbstverständlich nicht zur Auswahl.