Das neue Album von Guns N’ Roses

Ganz die Roses

Überambitioniert, größenwahnsinnig, verrückt – das neue Guns N’ Roses-Album »Chinese Democracy« setzt der letzten echten Rock’n’Roll-Band die Krone auf.

13 Millionen Dollar! Inzwischen hat es sich herumgesprochen: So viel soll die Herstellung von »Chinese Democracy« in den vergangenen 15 (!) Jahren gekostet haben. Der Löwenanteil davon mag zwar nicht in die eigentliche Produktion, sondern durch die Nase von Axl Rose gegangen sein, trotzdem gilt: Ja, lasst uns endlich mal wieder über Geld reden. Popmusik ist ja deswegen so auf den Hund gekommen und wurde spektakelmäßig vom Kunstmarkt abgehängt, weil in der Kunst nur noch von Geld die Rede ist, von neuen Rekorden, vom teuersten Irgendwas aller Zeiten auf der Leinwand. In der Popbranche will da­gegen – außer den Rappern, die aber in letzter Zeit auch bescheidener geworden sind – niemand mehr über Geld reden. Welches Geld denn auch? Womit verdient? Plattenverkäufe können es ja nicht gewesen sein.

Guns N’ Roses machen jetzt Schluss mit der Klein­kariertheit und Pfennigfuchsermentalität, in der eine ganze Branche versunken ist. Gut, vielleicht ist es auch bloß ein finaler Tusch, und das war’s dann mit dem Pop. Was soll denn nach »Chinese Democracy« noch groß kommen? Die nächste Platte von Madonna, Michael »Mikaeel« Jackson, Metallica? Da wartet niemand mehr drauf. Jetzt aber, heute und jetzt, kehrt die ehemals größte Band des Universums zurück mit dem ultimativ verquersten Sänger an der Spitze, den wir uns nur wünschen können. Axl Rose, Egomane, Arschloch, Irrer, all das soll er sein, und das ist doch großartig. Seine komplette Band von früher hat er rausgeworfen, darunter den nichtsnutzigen Slash, der in seiner eben erschienenen Autobiographie beschreibt, wie angenehm das Leben als Familienvater sei und dass er Axl, trotz alledem, nichts Böses wünsche.
Wenn man vergleicht, was die Kollegen von Mötley Crüe in ihrer Bandgeschichte »Dirt« so vom Stapel gelassen haben und wie sie keine ihrer Schweinereien bereuen, kommt man nicht herum um die Erkenntnis: Slash genügt den Anforderungen des Rock’n’Roll einfach nicht mehr. Für die Aufnahmen von »Chinese Democracy« wur­de er durch den Gitarristen Buckethead ersetzt, der stets mit einem Eimer auf dem Kopf auftritt, irgendwie hat das einfach einen höheren Freakfaktor als Slashs ewiger Zigarettenstummel im Mundwinkel.
»Chinese Democracy« ist wie Damien Hirsts Diamantenschädel. Ob das große Kunst ist, fragt auch niemand, das Ding ist verrückt und größen­wahnsinnig, das sollte reichen. Die Platte geht über 70 Minuten, und das ist hart durchzustehen. Aber das ist bei Captain Beefhearts Album »Trout Mask Replica« genauso, und es gilt trotzdem als eines der einflussreichsten Werke der Pop­geschich­te. Die 13 Millionen Dollar, ob man die wenigstens ein bisschen hören kann? Na ja, wenn es wirklich so teuer ist, andauernd Axls Gesang zu verfremden, Pianoläufe unterzubringen, die teilweise sogar in Freejazz-Manier eingespielt wurden, und mal was mit Eurodance-Beats zu machen, dann schon. All dieses Verkleistern unterschiedlichster musikalischer Bausteine, die­ses Arbeiten im Steinbruch, mag am Ende dem ­einen oder anderen tatsächlich wie »Dreck« (Die Welt) vorkommen, aber das hätte der enttäuschte Fan auch über die neue Platte von AC/DC gesagt, hätte Angus Young es gewagt, auf den zugehö­rigen Promofotos nicht in seiner Schul­uni­form zu posieren. Im direkten Vergleich zu Metallica – schon immer die größten Widersacher von Guns N’ Roses – fällt erst recht auf, was für eine Leistung »Chinese Democracy« ist. Metallica versuchen, seit mindestens 15 Jahren, wieder so zu klingen wie Metallica, Guns N’ Roses dagegen ver­suchen, nicht mehr so zu klingen wie Guns N’ Roses. Hätten die Beatles es nach »Revolver« so gemacht wie Metallica heute, wäre »Sgt. Pepper« nie entstanden, und der Sitar-Unterricht von George Harrison wäre hinausgeschmissenes Geld gewesen.

Auf »Chinese Democracy« jedenfalls findet das ganze Überambitionierte von Guns N’ Roses, dieses immer schon Beatlesmäßige dieser Band, einen krönenden Abschluss. Guns N’ Roses wollten nie die Band von nebenan sein, sondern immer besonders, nie bloß just another band from L.A., sondern die Übernummer. Axl Rose hätte damals, als alle ihn schon lieb hatten, nicht mit einem Charles-Manson-T-Shirt auftreten müssen, er machte trotzdem seinen Job als Rock’n’Roller: Er provozierte. Dann die Geschichte mit den zwei Alben, die gleichzeitig herausgebracht wurden und die dann weltweit die ersten beiden Plätze der Charts belegten, nein, eine geradlinige Band waren Guns N’ Roses nie. »Bisexuelle Mo­dels; devote Frauen; Mädchen, die ihnen Schnaps kauften«, das war die Art von Mädchen, die Guns N’ Roses bevorzugten, schreibt der amerika­nische Hardrockkenner Chuck Klosterman. Und das sagt einiges aus, wenn man dies mit dem ver­gleichsweise schlichten Beuteschema vergleicht, das Klosterman den L.A. Guns zuschreibt: »Drogen­abhängige Anhalterinnen, die auf harten Sex stehen.« Auch daran sieht man: Guns N’ Roses ha­ben es sich nie leicht gemacht, deswegen muss »Chinese Democracy« jetzt auch so klingen, wie es klingt.