Opel soll wieder deutsch werden

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Seit 1929 gehört der deutsche Automobilhersteller Opel zum amerikanischen Automobilkonzern General Motors. Weil der Konzern in den USA schwer angeschlagen ist, werden Forderungen laut, Opel solle wieder deutsch werden.

Bis Weihnachten müssen die Manager von Opel darauf warten, ob Angela Merkel ihnen das schenkt, was auf ihrem Wunschzettel steht. Eine Bürgschaft über eine Milliarde Euro für den angeschlagenen Konzern wünschen sie sich von ihr. Doch trugen die Manager ihr Begehr vor, ohne Vorschläge für eine Veränderung der Konzernstruktur zu machen. Das scheint Merkel nicht so richtig gefallen zu haben, weswegen sie zunächst auf Zeit spielt und Bedingungen stellt. In jedem Fall, so Merkel, müsse vermieden werden, dass eventuell zur Verfügung gestellte Mittel in den USA versickern. Dort nämlich kämpft General Motors (GM), der Mutterkonzern von Opel, ums Überleben.
Nach Angabe von Welt online produziert GM jeden Monat eine Milliarde Dollar Verlust. Das Unternehmen selbst warnte bereits davor, dass die Untergrenze der benötigten Barmittel bald erreicht sein könnte. Mittlerweile scheinen sich nach Informationen des Wall Street Journal sogar mehrere Mitglieder des Verwaltungsrates von GM für einen Insolvenzantrag auszusprechen.

Ein Bankrott des amerikanischen Konzerns würde aber wohl auch das Ende für Opel bedeuten. Zwar hat der deutsche Automobilhersteller schon seit längerem ein Absatzproblem, steckt aber nicht wie GM in einer akuten Krise – auch wenn bei der jüngsten Metall-Tarifrunde viel gejammert und nachdrücklich von der Gewerkschaft verlangt wurde, sich mit hohen Lohnforderungen zurückzuhalten. Wie Opel zu retten sei, darüber wird derzeit viel spekuliert. So schlug etwa der »Wirtschaftsweise« Peter Bofinger die Herauslösung von Opel aus dem Mutterkonzern vor. Ein solches Vorgehen schließt der Chef von Opel Deutschland Hans Demant aber rigoros aus.
Allerdings hat die Glaubwürdigkeit von Demants Aussagen derzeit gelitten. Nachdem er in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau zunächst behauptet hatte, dass GM keine Schulden bei Opel habe, räumte er später doch ein, dass »Verpflichtungen« und »Forderungen« bestünden. Würden diese »Verpflichtungen« seitens GM tatsächlich aus etwa zwei Milliarden Euro bestehen, wie es Demant nach Angaben der FR in Gesprächen mit der Bundesregierung dargelegt hatte, wäre das ein weiteres Signal der Schwäche von GM. Mittelfristig könnte man bei Opel deshalb vielleicht doch zu Konzessionen bereit sein und sich strategischen Interessen einer nationalen Industriepolitik öffnen, die in den Aussagen Merkels und Bofingers anklingen.
Detroit jedenfalls beabsichtigt in keiner Weise, Opel aufzugeben. Die Führung von GM verweist auf gemeinsame Entwicklungs- und Forschungsaktivitäten – in Rüsselsheim ist das wichtigste Entwicklungszentrum von GM –, auf den gemeinsamen Vertrieb und gemeinsam genutzte Modelle – Autos von Opel werden in den USA unter der Marke Saturn verkauft. Ohne diese Zusammenarbeit würde GM, wahrscheinlich aber auch Opel, erheblich geschwächt.

Und dies würde GM keine gute Ausgangsposition für die Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung und dem Kongress in der Frage der Rettung und Sanierung des einstigen Flaggschiffs verschaffen. GM hatte einen Überbrückungskredit von zehn bis 12 Milliarden Dollar gefordert, um angesichts der durch die Finanzkrise bedingten Kreditunwilligkeit der Banken wenigstens die monatlichen Verluste und laufenden Zahlungen bestreiten zu können. Jedoch vermissten die Abgeordneten des Kongresses sowohl neue Konzepte für zukunftsfähige Mittelklassewagen als auch strategische Überlegungen, die eine längerfristige Sicherung des Unternehmens gewährleisten könnten. »Solange sie uns keinen Plan vorlegen, können wir kein Geld flüssig machen«, betonte die demokratische Präsidentin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Der Kongress lehnte deswegen am 20. November die finanzielle Absicherung der »Big Three«, der drei größten Autokonzerne GM, Ford und Chrysler, ab. Die Branche müsse zeigen, wie sie auf Dauer überleben könne. Bis zum 2. Dezember sollen die Unternehmen in einem konkreten Aktionsplan darlegen, wie sie die Hilfen im Umfang von 25 Milliarden Dollar verwenden wollten.
Ob es dann tatsächlich zu einer neuen Verhandlungsrunde in Washington kommt, wird jedoch angesichts eines möglichen Insolvenzantrags von GM immer unsicherer. Die erwogene Art des Insolvenzverfahrens nach Chapter 11 des amerikanischen Konkursrechts hat die Fortführung eines Unternehmens zum Ziel und erlaubt ihm tief greifende Restrukturierungen, etwa die Kündigung von Tarifverträgen oder vereinfachte Entlassungen. So sehr manche Manager der Automobilbranche einen solchen Schritt der befürchteten staatlichen »Gängelung« vorziehen würden, ohne Risiko ist eine Insolvenz nicht. Kritiker wenden ein, dass dies den Konzern erst recht in den Ruin treiben könnte, Verbraucher würden keine Autos von einem insolventen Hersteller kaufen wollen, weil sie um ihre Garantieleistungen fürchten müssten.

In der Krise verändert sich international das Kräfteverhältnis zwischen Staat und Kapital, gerade in den nationalen Leitindustrien; die Autoindustrie ist dafür ein besonders gutes Beispiel. Hatten die Konzerne in den vergangenen Jahren ihre Strategien international ausgerichtet und ein eher flexibles Verhältnis zu ihrer staatlichen Operationsbasis gepflegt, nehmen die Staaten nun das Management verstärkt an die Kandare. Die aus verschärfter Konkurrenz auf dem Weltmarkt, Kapitalknappheit durch die Auswirkungen der Finanzkrise und Absatzschwierigkeiten vor dem Hintergrund einer drohenden weltweiten Rezession geschwächten Unternehmen werden in eine zunehmend nationaler ausgerichtete Industriepolitik eingebunden.
Besonders entschieden agiert dabei Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der vergangene Woche einen staatlichen Stützungsfonds vorstellte, der die Schlüsselkonzerne Frankreichs stärken und vor ausländischen Übernahmen schützen soll; die Autoindustrie erhält dabei besondere Aufmerksamkeit. Der fonds stratégique d’investissement soll ein Volumen von insgesamt 20 Milliarden Euro haben. Sechs Milliarden Euro werden als Anschubfinanzierung vom Staat und der Staatsbank Caisse des Dépôts et Consignations (CDC) beigesteuert; weitere 14 Milliarden Euro stellen Staat und CDC, indem sie ihre bestehenden Minderheitsanteile an Konzernen wie Renault oder Air France auf den neuen Staatsfonds übertragen.
Angesichts dieser Nationalisierung der Industriepolitik verschärft sich auch die Konkurrenz zwischen den ökonomisch stärksten Staaten der EU. Symptomatisch dafür ist der Streit um die Klimaschutzauflagen für die europäische Auto­industrie, die mittlerweile von deutscher Seite in Frage gestellt werden, weil sie die deutschen Mittelklasse- und Großraumwagen mit ihrem höheren CO2-Ausstoß stärker belasten würden.
Insgesamt können Bestand oder Niedergang der Autoindustrie über die künftigen ökonomischen und politischen Kräfteverhältnisse zwischen den kapitalistischen Industriemächten entscheiden. Die Kosten der Krise aber werden die Beschäftigten – sowohl in Deutschland als auch in den USA und in Frankreich – tragen, die sich schon darauf einstellen können, in Zukunft im nationalen Interesse für weniger Geld mehr und in unsichereren Vertragsverhältnissen zu arbeiten. Diesem Trend kann nur durch eine Internationalisierung des gewerkschaftlichen Widerstandes über Standort- und Ländergrenzen hinweg etwas entgegengesetzt werden. Dafür aber gibt es derzeit keinerlei Anzeichen.