Das Abkommen über die Truppenstationierung im Irak

Streit um das Sofa

Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich die irakische Regierung und die Amerikaner auf ein Truppenstationierungs­abkommen, das den irakischen Forderungen weitgehend entspricht. Die regierenden schiitischen Parteien feiern die endgültige Fassung als Sieg, die radikalen Islamisten lehnen das Abkommen ab.

Die Szenen, die sich vergangene Woche im irakischen Parlament abspielten, waren gewiss nicht nur für dieses Land ungewöhnlich. Wo sonst in der arabischen Welt schreien Parlamentarier eine Sitzung nieder und versuchen, den Außenminister tätlich anzugreifen? Diese Szenen, die in Syrien, Saudi-Arabien oder Ägypten undenkbar wären, spielten sich in Bagdad ab, als über das überarbeitete Truppenstationierungsabkommen (Sofa) zwischen den USA und dem Irak verhandelt wurde. Leider nur waren es die Anhänger des Radikalislamisten Muqtada al-Sadr, die auf diese Weise versuchten, den parlamentarischen Betrieb zu stö­ren und mit ihren 30 Abgeordneten eine Abstimmung zu verhindern. Ginge es nach ihnen, würde morgen im Irak eine Theokratie nach iranischem Vorbild herrschen.
Dass allerdings in einem Land, in dem zuvor das Parlament, wenn überhaupt, Dekrete der Regierung abnicken durfte, sich nun Szenen wie diese abspielen, zeigt, wie sehr der Irak sich seit dem Sturz Saddam Husseins verändert hat, im Guten wie im Schlechten. Denn während in mühsamen Verhandlungen vor allem die schiitischen Regierungsparteien Forderung um Forderung durchgesetzt hatten, verharrten die vom Iran unterstützten Sadristen in einer Fundamentalopposition gegen jeden weiteren Verbleib ausländischer Truppen im Lande. Logistische und finanzielle Unterstützung erhielten sie dabei aus dem Iran, der alles unternommen hatte, das Abkommen zu verhindern, indem Abgeordnete wahl­weise eingeschüchtert oder eingekauft wurden. Und ein Sieg schien greifbar nahe. Ohne Einigung hätten sich am 1. Januar 2009 die amerikanischen Truppen in ihre Lager zurückziehen müssen, die Straßen wären frei gewesen für die al-Sadrs und ihre Milizen.

Alle sind sich im Irak darüber einig, dass nur die Anwesenheit ausländischer Truppen in den nächs­ten Jahren eine gewisse Stabilität garantieren kann. Wer die USA so schnell wie möglich aus dem Land haben will, dem geht es, wie den sunnitischen Terroristen um al-Qaida, eben nur um ein Ende der inzwischen erreichten relativen Stabilität.
Obwohl es weiter an politischen Fortschritten mangelt, zentrale Fragen noch ungelöst sind oder von Korruption, sektiererischem Partikularismus und Parteienstreit blockiert werden und die meisten Irakis der inzwischen erreichten Stabilität noch immer misstrauen, hat sich das Land in den vergangenen zwölf Monaten doch grundlegend gewandelt. So wenige getötete Zivilisten und Militärs wie im Oktober waren seit dem Jahr 2004 nicht mehr zu beklagen, und sinnfällig werden in Bagdad Teile jener Mauern eingerissen, die vor zwei Jahren gebaut wurden, um sunnitische von schiitischen Stadtvierteln zu trennen. Heftige Konflikte zwischen Kurden und der Zentralregierung um den Einfluss in jenen nordirakischen Städten, die von den Kurden beansprucht werden, aber unter Verwaltung der Regierung stehen, arteten in den vergangenen Monaten nicht zu bewaffneten Auseinandersetzungen aus.
All diese Entwicklungen standen nun zur Disposition, als die irakische Seite begann, umfassende Verbesserungen an dem Truppenstationierungsabkommen mit den USA zu verlangen, welches Anfang des Jahres ausgehandelt worden war. Die Gründe, warum vor allem die Dawa-Partei von Premierminister Nuri al-Maliki sich kompromisslos präsentierte, sind vielfältig. Dabei spielen parteipolitische Interessen eine große Rolle sowie der Versuch, sich als starke Führungsperson im Irak zu profilieren. Schließlich finden im Januar des kommenden Jahres Kommunalwahlen und im Herbst landesweite Parlamentswahlen statt. Schon im Vorwahlkampf fallen Worte wie »nationale Souveränität«, damit glauben die Parteien, sich beliebter zu machen bei einer Wählerschaft, die mit ganz wenigen Ausnahmen alle irakischen Politiker für unfähig und korrupt hält.
Da nun die irakische Regierung und die Amerikaner monatelang über die endgültige Fassung des Abkommens verhandelten, schien es zeitweilig, als würde keine Einigung zustande kommen vor dem Ablauf des UN-Mandats, das den Verbeleib ausländischer Truppen im Irak bis zum 31. Dezember 2008 regelt.

Die amerikanische Seite, die im Wahlkampf wegen ihrer Irak-Politik unter innen- wie außenpolitischem Druck stand, zeigte sich dabei erstaunlich kompromissbereit und gab im Laufe der vergangenen Monate fundamentale Positionen auf. So hatte niemand erwartet, dass die Bush-Administration etwa willens wäre, einen Abzugstermin festzulegen, der nicht mit der Sicherheitslage im Irak zu tun hat.
Als der irakische Regierungssprecher Ali Dabbagh in Bagdad dann den endgültigen Text des Abkommens vorstellte, der zuvor vom Kabinett mehrheitlich befürwortet worden war, präsentierte er ein Dokument, das weitgehend irakischen Forderungen entsprach.
So sollen amerikanische Truppen fortan unter der Autorität der irakischen Regierung operieren, ab Mitte 2009 sollen sie sich zudem sukzessive aus den Städten und Dörfern zurückziehen. Kampf­einsätze sollen nur noch in gemischten amerikanisch-irakischen Einheiten durchgeführt werden, und über die Einsätze entscheidet ebenfalls eine gemischte Kommission, Razzien bedürfen eines richterlichen Beschlusses. Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste unterstehen ab sofort irakischer Jurisdiktion, außer sie sind im Auftrag des Pentagon unterwegs. Als endgültigen Abzugstermin für alle kämpfenden Truppen wurde der 31. Dezember 2011 vereinbart. Nach diesem Termin sollen geschätzte 55 000 US-Soldaten im Irak verbleiben, die als Trainer, Berater und in der Luftsicherheit tätig sein werden. Zudem sollen 15 000 Gefangene, die in amerikanischen Einrichtungen festsitzen, dem Irak überstellt werden.
Auch wenn neben den Sadristen einige kleinere schiitische Parteien Widerstand im Parlament angekündigt haben und einige sunnitische Parteien unzufrieden mit einigen Aspekten des Abkommens sind, dürfte es eine Mehrheit im Parlament finden. Schließlich hat Ayatollah al-Sistani, oberster schiitischer Kleriker im Irak, die Entscheidung dem Parlament überlassen und in einer Erklärung verkündet, dieses Abkommen sei alleine Entscheidung der Politik. Damit hat er sich, wenn auch implizit, gegen den Iran gestellt, dessen Regierung das Abkommen heftig kritisiert. »Die Zeit, Widerstand zu leisten«, sei, so Ali Larijani, Sprecher des iranischen Parlaments, »nicht vorbei«. Und Sadr verkündete derweil, an einer neuen Miliz arbeiten zu wollen, einer »Armee des letzten Tages«, um weiter gegen die Besatzer zu kämpfen.

Ganz anders dagegen bewerten die kurdischen Parteien das Abkommen. Den engsten Verbündeten der USA im Irak wäre dessen ursprüngliche Fassung lieber gewesen, die kein Abzugsdatum vorsah. Während die Verhandlungen über das Abkommen in Bagdad nicht vorankamen, hatte der Präsident der autonomen kurdischen Region, Massud Barzani, den Amerikanern sogar angeboten, sie könnten fortan ihre Truppen in die kurdischen Gebiete verlegen, sollte man zu keiner Einigung kommen.
Während die regierenden schiitischen Parteien das Abkommen in seiner endgültigen Fassung als Sieg feiern, lehnen es die radikalen schiitischen Gruppierungen und der sunnitische so genannte Widerstand ab. Kurden und andere sunnitische Parteien unterstützen es aus unterschiedlichen Gründen, ohne mit der jetzigen Fassung wirklich glücklich zu sein.
Und so, wie sich anhand der Ansichten zu diesem Abkommen die Spaltungen im Irak zeigen, so reagierte man auch auf die Wahl Barack Obamas. Während unter anderem auch Anhänger al-Sadrs jubelten, erhoffen sie sich vom neuen US-Präsidenten doch einen schnellen Abzug aus dem Irak, waren kurdische Politiker vor der Wahl noch nach Washington gereist, um George W. Bush ihre Unterstützung zu demonstrieren. Umfragen der Nachrichtenagentur AFP vor der Wahl hatten ergeben, dass viele Irakis sogar auf einen Wahlsieg von John McCain hofften, von dem sie sich ein weit stärkeres Engagement im Irak versprachen.
Und doch können sich auch in den kurdischen Gebieten die Menschen nicht dem Charme des neuen Präsidenten entziehen. »Diese Wahl zeigt der Welt, wie eine Demokratie funktionieren kann«, meinte etwa Aram Jamal, Geschäftsführer des Kurdish Election Institute in Suleymaniah. »Aber warum«, fuhr er fort, »spricht Obama nicht über Freiheit und Demokratie, sondern nur über Stabilität im Nahen Osten, und will unbedingt mit den Islamisten reden? Wenn jemand wie er sich für einen Wandel im Nahen Osten einsetzt, wirkt das viel glaubhafter, als wenn ein Bush so redet.«
Darüber jedenfalls ist man sich klar: Mit Obama bricht ein neues Kapitel im Irak an. Und es wird weit mehr an den irakischen Politikern sein, fortan das Geschick des Landes in die Hand zu nehmen. So jedenfalls lautet eine Forderung von Obamas Team. Ob dies im Sinne jener Irakis sein wird, die es mit der Demokratisierung und Veränderung ihres Landes ernst meinen, bezweifelt man in den kurdischen Gebieten jedenfalls sehr.
Auch US-Militärs warnen eindringlich vor einem zu schnellen disengagement im Irak. Zwar befinde sich al-Qaida derzeit in der Defensive, aber die allgemeine Lage sei keineswegs unumkehrbar. So betrachtet man auch mit Sorge, dass all jene, die die Kurden hier als ihre Feinde betrachten, angefangen von al-Qaida bis zu den Hardlinern im Iran, einhellig die Wahl Obamas begrüßten.