Interview mit Mark Greif über Obamas »Postradikalismus«

»Obama man«

Gemeinsam mit Benjamin Kunkel und Geith Kessen gibt Mark Greif das zweimal jährlich in New York erscheinende Magazin n+1 heraus. Die Autoren stellen sich mit ihren Texten über Kultur, Politik und Alltag in die Tradition von Kritischer Theo­rie und Magazinen wie Partisan Review.

Hat sich die euphorische Stimmung seit der Wahl von Obama gelegt?

Machen Sie Witze? Es ist unglaublich, was vor allem in den Städten im Nordosten vor sich geht. Die Leute sind immer noch völlig aus dem Häuschen, Wochen nach der Wahl. So etwas habe ich noch nie erlebt. Sie umarmen und küssen sich auf den Straßen New Yorks. Dort ist der Name Obama mittlerweile zu einem eigenständigen Wort geworden, das multifunktional eingesetzt wird. So kann man immer häufiger hören, wie Leute, die ein Taxi rufen oder nach einer Zigarette fragen, ihren Satz mit »Obama man« beenden oder beginnen.

Regt sich kein Unmut gegen die sich herauskristallisierende Mitte-Rechts-Regierung, die Obama zusammenstellt?

Jedenfalls kein spürbarer. Die Leute sind völlig verzückt und scheinen zu glauben, dass Obama nicht nur in Rätseln redet, sondern auch rätselhaft handelt. Dazu kommt, dass all die Demokraten, Liberalen und Linken längst akzeptiert haben, dass Politik aus Kompromissen und Betrug besteht.

Dass aus den Unterstützern Obamas eine neue soziale Bewegung entstehen könnte, ist also eine Illusion?

Wenn Obama der Bewegung ihr politisches Programm diktieren würde, dann nicht. Es gibt aber kein Thema oder keine Figur, auf die sich die von Obama freigesetzte Energie der Leute richten würde. Man verfolgt die langweiligen und bürokratischen Entscheidungen in der Übergangszeit und redet über die potenziellen Kabinettsmitglieder. Aber mit sehr viel mehr Enthusiasmus diskutiert man darüber, welchen Hund die Obamas aussuchen sollen.

Hat sich denn der Energieschub auch auf linksradikale Debatten ausgewirkt?

Das weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall ist der Moment für die marxistische oder postmarxistische Kritik des Kapitalismus günstig, um zu beweisen, dass sie die bessere Erklärung dafür hat, warum die Milch teurer geworden ist.

Sie charakterisieren Popmusik als Medium, in dem nicht mehr artikulierbarer Protest gegen vorherrschende Meinungen seinen Ausdruck findet. Würden Sie dieser Definition entsprechend Obama als ein gutes Stück Popmusik bezeichnen?

Gute Frage. Lassen Sie es mich so sagen: Jeder amerikanische Präsident hat die Aufgabe, sichtbar zu machen, wie es um die Demokratie bestellt ist. Als Amerikaner fragt man sich jeden Tag, ob die Landsleute weise sind oder einfach unglaublich dumm. Aber nie weiß man, was sie denken. Obama repräsentiert genau dieses Ratespiel. Denn was Obama wirklich denkt und was er tun wird, weiß man nicht. Ist er wirklich homophob? Wird er wirklich Staat und Kirche auseinanderhalten? Bisher wird mit ihm nur sichtbar, dass die Amerikaner einen intelligenten und besonnenen Präsidenten haben wollen, der sich artikulieren kann. Eine derartige Beschreibung dessen, was die Amerikaner gerne hätten, gab es in den vergangenen acht Jahren nicht. Vorschnell, hart, das waren die Adjektive, mit denen sowohl die Kriegsbefürworter als auch die Kriegsgegner charakterisiert wurden. Und Obama hat nun die Last auf sich genommen, all jene Leute zu repräsentieren, die nicht sichtbar waren, die irgendwo dazwischen standen. Ich halte das für keinen guten Zustand, denn eigentlich ist es die Aufgabe von Senat und Repräsentantenhaus, diejenigen zu vertreten, die sich selber keine Stimme verschaffen können. Aber im Kongress sitzen eben nicht die Repräsentanten der Amerikaner, sondern dort sitzt ein Haufen Narren.

Ist es diese Mischung aus Sichtbarmachen und Vernebeln, was mit der Beschreibung von Obamas Politik als »postradikal« gemeint ist?

Ja, das könnte zutreffen. Denn unter den Amerikanern besteht offenbar der geheime Wunsch, dass Obama da weitermacht, wo Kennedy aufgehört hat. Ganz so, als könnten 40 Jahre Geschichte einfach ausgelöscht werden. Es gibt zwei Arten, die Wahl von Obama im Kontext der Geschichte der USA zu erzählen. Die eine Variante erklärt die Wahl zur Erfolgsgeschichte der Demokratischen Partei, die seit den sechziger Jahren und der Kandidatur von George McGovern 1972 eine Wende in Richtung Gruppen- und Identitätspolitik gemacht hat und damit eine hispanische, schwarze und weibliche Anhängerschaft gewann. Die andere Variante hält Obama für eine Erscheinung aus dem Jahr 1964 und sagt einfach: OK, vielleicht war diese ganze Identitätspolitik falsch, aber das ist jetzt alles vergessen, denn wir sind alle zurück in der Ära der Bürgerrechtsbewegung. Die Bedeutung des als »post­radikal« beschriebenen Moments, das Obama versinnbildlichen soll, liegt letztlich in dieser Aus­löschung der Geschichte. Für jene linken Intellektuellen, die das Adjektiv »postradikal« benutzen, ist diese Beschreibung offenbar die einzige Möglichkeit, die ihnen als Obama-Anhängern bleibt, um sich noch links fühlen zu können.

Ist dieser Wunsch, die Geschichte einfach zu vergessen, auch ein Ergebnis der Einheit, die Obama beschworen hat?

Dieses Wort »Einheit« ist derart breiig und matschig. Was soll das überhaupt bedeuten? Aber ja, vielleicht bedeutet es genau das, dass alle ihre Klappe halten. So herrscht, mal abgesehen von Kalifornien, ein seltsames Schweigen über Obamas Meinung zur Homo-Ehe. Normalerweise würde man doch erwarten, dass sämtliche schwule Aktivisten im ganzen Land wütend auf die Straße gehen und dagegen protestieren. Aber Obama hat offenbar selbst von dieser Seite Schonzeit.

Gibt es keine Stimme, die Obamas Schonzeit beendet?

Das wird jetzt nach der allerlangweiligsten und altmodischsten Antwort klingen, aber es sind die Gewerkschaften, die Autoarbeiter, die derzeit um ihren Anteil am Rettungspaket kämpfen. Die linken Intellektuellen aber wissen nicht mehr, wie man über die Gewerkschaften reden soll. Dabei ist beispielsweise die Freelancers Union, die Gewerkschaft für Freiberufler, die gerade in New York entsteht, eine hochinteressante Entwicklung. Darüber müsste man doch reden, ob diese Organisation für eine wurzellose, kosmopolitische Kreativklasse wirklich eine Gewerkschaft ist, was ihre Funktion ist, ob sie überhaupt Forderungen stellen kann.

Aber auch Ihr Magazin widmet sich weniger den gewerkschaftlichen Kämpfen als der Kulturkritik. Wo unterscheiden Sie sich vom kulturellen akademischen Mainstream?

Wir haben an den Cultural Studies immer gezweifelt. Erst mit der Wiederentdeckung der Kulturkritik aus den dreißiger Jahren haben wir festgestellt, dass es richtig ist, auf diesem Gebiet weiterzumachen. Aber so wie beispielsweise Slavoj ­Zizek Kulturobjekte und Philosophie verbindet, finden wir Kulturkritik falsch. Was Zizek fehlt, ist das Bewusstsein für die materielle Grundlage der Kulturobjekte. Er scheint von Geld keinerlei Vorstellung zu haben. Mit unseren Texten hoffen wir, ein kritischeres Bewusstsein zu schaffen. Wir halten weiter daran fest, dass die modernistische Erzählung die einzige Form ist, der Subjektivität zu begegnen und Bewusstsein darzustellen. Wir wollen eine Theoretisierung von Literatur vorantreiben, die endlich die Dominanz postrukturalistischer Theorien überwindet.

Am Tag nach der Wahl Obamas schrieben Sie, dass sich die Linke fragen müsse, was sie von einem Obama will. Was soll sie denn wollen?

Die Neuverteilung des Reichtums. Nur darum kann es gehen. Es ist schon merkwürdig, alle reden darüber, dass der Reichtum von unten nach oben weitergegeben wird, aber wenn man über die Verteilung von oben nach unten reden will, scheinen sich linke Intellektuelle unwohl zu fühlen. Stattdessen wird über Investitionen in ökologische Infrastruktur diskutiert. Die Leute träumen sich nicht nur in die Zeit der Bürgerrechtsbewegung zurück, sondern auch in die dreißiger Jahre. Ihnen gefällt die Idee, den Leuten wieder Arbeit zu geben und sie Straßen oder Brücken bauen zu lassen. Nur sind es eben heute Wind- und Solaranlagen. Das hat nichts mit Befreiung zu tun. Die Idee von Befreiung ist trotz der Erfolge des Feminismus und des Antirassismus unter linken Intellektuellen vom Tisch.