Hoffnungen der Linken in den USA

Ausgechanged

Zahlreiche linke Intellektuelle, Gewerkschafter und Basisaktivisten haben Barack Obama im Wahlkampf unterstützt. Inzwischen aber wachsen die Zweifel.

Insolvente Häuslebauer müssen mit ansehen, wie die Immobilien, die ihnen nicht mehr gehören, zu Spottpreisen zwangsversteigert werden. Konsumenten fragen sich, was wohl passiert, wenn ihre Bank plötzlich auf Begleichung der Kreditkartenschulden drängt. Und die von der ­gerade ihr US-Geschäft »abwickelnden« Spedition DHL entlassene Postbotin spart sich vielleicht zunächst einmal den Monatsbeitrag für die Teamsters. US-amerikanische Gewerkschaften aber gehen mit Mitgliedsbeiträgen um, als sei die Zeit derivativer Wettgeschäfte noch immer nicht vorbei. Eine Rekordsumme von mehr als 300 Mil­lionen Dollar steckten sie in Fernsehspots, Partei­spenden, Drückerkolonnen und Internetauftritte, um möglichst viele Mitglieder und Nichtmitglieder zur Stimmabgabe für Obama zu bewegen.
Zwar hätten viele Gewerkschafter es lieber gesehen, wenn der Protektionist John Edwards Präsident geworden wäre. Trotzdem herrscht weiterhin die Zuversicht vor, dass auch Obama die politische Investition in seine Administra­tion am Ende honorieren wird. »Besonders wichtig für die Gewerkschaften ist die Verabschiedung des Employee Free Choice Act, eines Gesetzes, das gewerkschaftliche Organisierungsversuche gegenüber den Eingriffsmöglichkeiten der Unternehmer begünstigt«, erklärt Andy Stern, der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, ein Hauptziel der Lobbypolitik.

Stern, der auch als Arbeitsminister im Gespräch ist, gehört zu den Mitunterzeichnern des bereits im Vorwahlkampf veröffentlichten Aufrufs »Progressives for Obama«. Initiiert hatten ihn u.a. die Publizistin Barbara Ehrenreich und der frühere Studentenaktivist Tom Hayden. Dass der Aufruf über die Leserschaft von The Nation hinaus Aufsehen erregte, lag sicher auch an den Gewissensbissen so mancher Linker, noch im Jahr 2000 durch die symbolische Wahl Ralph Naders die Wahl des Ökos Al Gore hintertrieben zu haben. Eigentliches Hauptargument im gegenwärtigen Hauen und Stechen ist aber: Obamas Wahlsieg eröffne am ehesten eine Möglichkeit, den auch finanziell ruinösen Irak-Krieg zu beenden.
Als die Zuspitzung der Finanz- und Wirtschafts­krise den Irak-Krieg als Thema in den Hintergrund drängte, wurden (Klassen-)Fragen der Kreditwürdigkeit des Systems wichtiger. Weltsystemtheoretiker Immanuel Wallerstein, ebenfalls ein »Progressive for Obama«, führt den Wahlsieg seines politischen Favoriten u.a. darauf zurück, dass im lohnabhängigen Segment der so genannten Reagan Democrats wirtschaftliche Ex­istenzängste über die Bedenken gegen einen schwar­zen Kandidaten gesiegt hätten: »Furcht überwog den Rassismus.« Tatsächlich hat es im Wahlkampf sowohl von Unterstützern Clintons als auch von der McCain-Kampagne Versuche gegeben, aus dem rechten Mythos einer spezifisch »weißen« Arbeiterklasse politisches Kapital zu schlagen.
Hillary Clinton gewann die Vorwahlen in einigen Distrikten des »Rostgürtels«, der ehemaligen Industrieregionen im Norden, auch deshalb, weil sie die Lieblingsängste der Weißen zu bedienen wusste. Zu denen, die sich angewidert über ihren Versuch äußerten, Obama über drei Ecken in einen Zusammenhang mit dem Führer der Nation of Islam, Louis Farrakhan, zu bringen, gehörte nicht zuletzt Michael Moore, selbst ein erklärter Anhänger Obamas: »Sie hat das F-Wort (›Farrakhan‹) schlicht und einfach deshalb benutzt, um weißen Leuten einen Schrecken einzujagen.« McCains und Sarah Palins rechtspopulistische Rede von »Joe the Plumber« – jenem (weißen) Klempner, der angeblich durch die Steu­er­pläne eines (schwarzen) Demokraten am so­zialen Aufstieg gehindert wird – erfüllte denselben Zweck. »Im Prinzip sagen sie, dass die Frustra­tion des weißen Arbeiters oder des weißen Selbständigen weniger mit dem System zu tun hat als mit den ›Anderen‹«, erklärt der Gewerkschafts­linke Bill Fletcher jr.
Viele US-Gewerkschaften, die bei der Thema­tisierung des weißen Rassismus in den eigenen Reihen lange Zeit eher nachlässig waren, haben erkannt, dass sie diesmal, wenn sie schon einen schwarzen Präsidentschaftskandidaten materiell unterstützen, wohl auch um ein offensiveres ideo­logisches Vorgehen kaum herumkommen. »Für einen Arbeiter und erst recht für einen Gewerkschafter gibt es keinen einzigen guten Grund, Barack Obama nicht zu wählen«, meinte etwa der stellvertretende Vorsitzende des Gewerk­schafts­dachverbandes AFL-CIO, Richard Trumka, auf dem Kongress der Stahlarbeitergewerkschaft im Juli 2008. »Es gibt nur einen einzigen schlechten Grund, ihn nicht zu wählen: weil er nicht weiß ist.« Selbst Gewerkschaftsoppositionelle wie Kim Moody, der langjährige Herausgeber der Labor Notes, fanden für den antirassistischen Teil dieser Aussage lobende Worte. Die im Statement ebenfalls enthaltene Kritiklosigkeit Obama gegen­über stieß auf weniger Gegenliebe. »Es ist nicht Obamas Aufgabe, in Amerika für die sozialen Pro­teste zu sorgen, die wir uns wünschen. Sein erklärtes Ziel besteht sogar darin, sozialen Frieden zu schaffen«, meinte Moody.

Schließlich ist der künftige Präsident, das geben selbst die »Progressives for Obama« zu, ein erklärter Zentrist und nicht etwa ein Linker. »Er ist auch kein schwarzer Leader. Er ist einfach ein amerikanischer Leader, der schwarz ist«, konstatiert etwa Cornel West, Princeton-Professor für African-American Studies. Obama wird ebenso wenig etwas gegen die Klassenantagonismen der US-amerikanischen Gesellschaft unternehmen, wie gegen die schwere Benachteiligung der schwar­zen Bevölkerung in den Armenvierteln des Landes. Diese musste sich stattdessen (Jesse Jackson hat Obama dafür scharf kritisiert) im Wahlkampf ernsthaft eine »Kultur der Selbsthilfe« anempfehlen lassen. Strukturelle Ungleichheiten wie etwa die sozialräumliche Segregation der Großstädte indes würden von der im Wahlkampf üblich gewordenen Verharmlosung, Rassismus sei allenfalls noch ein Problem individueller Einstellungen, einfach diskret übergangen, kritisiert David Roediger, einer der Pioniere der Critical Whiteness Studies.
Auch dort, wo Obama Ende der achtziger Jahre als Community Organizer tätig war, kann vom Anbruch einer neuen Ära vorerst keine Rede sein. Von den rund 10 000 fast ausschließlich schwarzen Einwohnern Riverdales leben 56 Prozent unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Gleichgültig gegenüber der Präsidentschaftswahl zeigte man sich an der South Side von Chicago aber trotzdem nicht: Die Wahlbeteiligung lag zwar etwas nied­riger als 2004, von den abgegebenen Stimmen entfielen in einem Großteil der Wahllokale aber mehr als 98 Prozent auf Obama.
Angesichts dieses Rückhalts auch unter ärmeren Schwarzen stellt sich natürlich die Frage: Kann die politische Begeisterung, die zum spek­takulären Personalwechsel im Weißen Haus beigetragen hat, auch nach dem Amtsantritt für die Einlösung zumindest einiger Wahlversprechen sorgen? Wallstreet-Maverick Doug Henwood, Herausgeber des Left Business Observer, hält die Vorstellung schlicht für abwegig, mitgliederstarke Fanclubs wie MoveOn.org könnten auch nur annähernd einen ähnlichen Einfluss auf ­Obama ausüben wie irgendein bekannter Hedge-Fonds-Guru: »Es ist ja nicht so, dass er bei den ganzen 27jährigen, die im Internet 100 Dollar für ihn gespendet haben, ähnlich schnell den Hörer abnimmt, wie er auf eine Vorladung von Paul Tu­dor Jones reagiert.«

Glaubt man Frances Fox Piven, einer der Expertinnen für Basisbewegungen, dann bieten die durch Obamas Wahlsieg erzeugten Hoffnungen für ärmere Menschen trotzdem eine außergewöhnliche Chance: »Wenn so etwas passiert, gewinnen ihre Themen eine unabweisbare Dringlichkeit und Politiker müssen darauf reagieren, eben weil sie Politiker sind. Mit anderen Worten: Tumulte, Streiks und institutionelle Blockaden, die durch kollektives Handeln erzeugt werden, setzen Politiker ernsthaft unter Druck.« Auch Howard Zinn, Historiker und Sympathisant Obamas, setzt auf Leute, die irgendwo den Anfang machen: »Es braucht zunächst jemanden, der sein Haus verliert, weil er die Raten nicht mehr zahlen kann, und es braucht dann Nachbarn, die sich schützend vor ihn stellen und die verhindern, dass seine Möbel abtransportiert werden.«
Wenn es tatsächlich zu solchen Protesten kommt, wäre der Urbanist Mike Davis sicher der Letzte, der etwas gegen sie einzuwenden hätte. Als Spezialist für »magischen Katastrophismus« traut er aber der zurzeit häufig bemühten Analogie zu den sozialen Bewegungen, die im Jahrzehnt der letzten Großen Depression den New Deal erzwungen haben, nicht über den Weg. Nicht nur die Arbeitermacht lasse sich in einer walmartisierten Dienstleistungsökonomie schwe­rer organisieren. Auch die rüstungskeynesianische Verquickung von Kanonen und Butter sei zu einem Widerspruch in sich geworden. Sollte Obama an diesem Widerspruch von militärstrategischen Prioritäten und innenpolitischen Zielen scheitern, könnte das den Wiederaufstieg der Rechten einläuten: »Father Coughlin in Frauenkleidern – zu anderen Zeiten wäre Sarah Palins Darbietung jenes Pfarrers, der in den Dreißigern das Amerikanische Reich gepredigt hat, vielleicht großartiger Trash gewesen. Inmitten eines plötzlichen Absturzes des American Way of Life aber scheint das Gespenst eines Sternenbanner-Faschismus keineswegs so weit hergeholt. Die Rechte mag die Wahl verlieren, aber sie besitzt bereits ein wirksames und eingeführtes Rezept für ihre rasche Genesung«, so Davis.

Unabhängig davon, ob Obama am Ende wirklich scheitert: Zumindest etliche der Hoffnungen, die linke Anhänger in ihn gesetzt haben, laufen bereits jetzt ernsthaft Gefahr, enttäuscht zu werden. Damit das Pentagon nicht wertvolle Zeit mit der Einarbeitung unerfahrener Kräfte vergeu­det, bleibt Bushs Verteidigungsminister Robert Gates kurzerhand im Amt. Auch Notenbankchef Timothy Geithner rückt lediglich auf jenen Stuhl weiter, neben dem er im Krisenstab zuletzt ohne­hin ständig gesessen hat: den des Finanzministers. Sein Handlungsspielraum freilich wird kleiner: Nach der jüngsten Teilverstaatlichung der Citigroup wird der 700-Milliarden-Dollar-Fonds bereits bei seinem Amtsantritt aufgebraucht sein.
Die Beschäftigten der Autoindustrie erfahren derweil, dass ihre Jobs vom Kongress als weit weniger »systemrelevant« eingeschätzt werden. Ein 25-Milliarden-Kredit ist nach Darstellung der tonangebenden Medien plötzlich zu viel für die angeblich gleichermaßen überbezahlten Manager und Arbeiter der »Großen Drei« – Ford, General Motors und Chrysler. Nach einem neuen New Deal, der die Autoproduktion umweltverträglich auf öffentliche Transportmittel umstellt, ohne Arbeiterinteressen zu verletzen, hören sich solche Parolen nicht an. Eher schon nach dem Chrysler-Bailout von 1979, als sich die Gewerkschaft u.a. durch den damaligen Fed-Chef und jetzigen Berater Obamas, Paul Volcker, genötigt sah, in große Konzessionen an die ­Unternehmer einzuwilligen. Hauptleidtragende der Entlassungen waren damals die überwiegend schwarzen Arbeiter der innerstädtischen Fabriken von Detroit.