Deutschland kämpft gegen Piraten

Befreien Sie zehn Tanker Ihrer Wahl!

Nicht nur am Hindukusch, sondern auch am Horn von Afrika wird Deutschland ver­teidigt. So soll der geplante Einsatz gegen Piraten vor Somalia die Handelsschifffahrt des Exportweltmeisters sichern. Dafür wird die Marine zu einer »Expeditionary Navy« umgewandelt, die dauerhaft auf allen Welt­meeren im Einsatz sein kann.

Die Zahlen sind beeindruckend: Registrierte das International Maritime Bureau im Jahr 2004 lediglich fünf Angriffe von Piraten auf Privatyachten und Handelsschiffe vor der Küste Somalias und im Golf von Aden, kommt die Abteilung der Inter­national Chamber of Commerce für dieses Jahr bereits auf 95 Überfälle. Zurzeit befinden sich 14 Schiffe und mehr als 300 Besatzungsmitglieder in der Gewalt von Seeräubern; für die Herausgabe des saudi-arabischen Supertankers »Sirius Star« fordern die Freibeuter mittlerweile ein Lösegeld in Höhe von 15 Millionen US-Dollar – ursprünglich waren sogar 25 Millionen US-Dollar verlangt worden.
Es verwundert somit nicht, dass international operierende Reedereien langsam nervös werden. Wie die Financial Times Deutschland berichtet, hat das norwegische Unternehmen Odfjell, das eine der weltgrößten Chemietankerflotten unterhält, seine Kapitäne angewiesen, den Suezkanal nach Möglichkeit zu meiden, da die Schiffe auf dieser Route den Golf von Aden durchqueren müssen. Auch die taiwanesische Gesellschaft TMT, die Schütt­gutfrachter und Tanker für sich fahren lässt, erwäge, den Suezkanal zu umgehen, und habe verfügt, dass ihre Schiffe sich der Küste Somalias nur noch auf eine Distanz von 3 700 Kilometern nähern dürfen, heißt es.

Vor der Bedrohung durch Piraten einfach zu kneifen, ist die Sache deutscher Schiff­fahrts­un­ter­nehmen allerdings nicht. Als im August dieses Jahres ein Frachter der Bremer Reederei »Beluga« gekapert wurde, rief der Verband Deutscher Reeder (VDR) die Bundesregierung »dringend« auf, gegen Seeräuber aktiv zu werden. In einem Schrei­ben an sämtliche Bundestagsfraktionen reklamierte der VDR »erheblichen Handlungsbedarf« und forderte von den Abgeordneten, den Einsatz der deutschen Kriegsmarine ausdrücklich auch gegen Piraten zuzulassen.
Beim Flottenkommando der Bundesmarine in Glücksburg verhallen Hilferufe dieser Art nicht ungehört, weiß man doch um die ökonomische Relevanz der deutschen Seeschifffahrt. In ihrem »Jah­resbericht 2007« diagnostiziert die Einrichtung des deutschen Militärs eine gravierende »ma­ritime Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutsch­land«: »Die deutsche Handelsflotte steht mit 3 105 Schiffen nach der Nationalität der Eigner weltweit an dritter, bei den Containerschiffen mit 1 408 Einheiten weltweit an erster Stelle«; insgesamt besäßen deutsche Reeder und Schifffahrtsgesellschaften »mehr als ein Drittel (36,2 Pro­zent) der weltweiten Containertransportkapazitäten«, was rund 46,3 Millionen Tonnen entspre­che. Vom Handel mit den Staaten Ost- und Südostasiens, der in der Regel über Routen durch den Suezkanal und den Golf von Aden abgewickelt wird, pro­fitiere »die deutsche Handelsschifffahrt ganz besonders, weil sie nicht nur am direkten Seehan­del Deutschlands mit anderen Staaten, son­dern auch am so genannten Cross-Trade zwischen Dritt­staaten beteiligt ist«, heißt es.

Auch im Bundesverteidigungsministerium ist man sich bereits seit längerem der von der Piraterie ausgehenden Bedrohung für das Wohlergehen Deutschlands bewusst: Bereits in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« von 1992 wurde festgelegt, dass die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt« eine wich­tige Aufgabe deutscher Politik ist. Ganz ähnlich klingt es im 2006 von allen Bundesressorts verabschiedeten »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr«. Darin wird dem deutschen Militär die Aufgabe übertragen, den »Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen« sowie den »freien und ungehinderten Welthandel« zu sichern. Die Begründung lautet wie folgt: »Wie viele andere Länder ist (Deutschland) in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig und auf funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme angewiesen. Verwerfungen im internationalen Be­ziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Störungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf nationale Volkswirtschaft, Wohlstand und sozialen Frieden.« Gefordert wird daher die »Transformation« der Bundesmarine in eine »Expeditionary Navy«, die in der Lage ist, dauerhaft auf den Weltmeeren zu agieren.
Die besagte Transformation ist bereits weit fort­geschritten: Im September beteiligte sich die Bundeswehr an einer nächtlichen Geheimoperation der französischen Marine im Golf von Aden. Spezialkräfte der französischen Marine stürmten eine gekaperte Luxus­yacht und befreiten zwei Segler aus der Gewalt somalischer Seeräuber. Dabei wurde ein Pirat getötet, sechs weitere wurden gefangen genommen und warten derzeit in Paris auf ihren Strafprozess. Die Bundeswehr trug mit zwei in Dschibuti stationierten Aufklärungsflugzeugen zum Erfolg der Aktion bei; die Seefernaufklärer vom Typ P-3C Orion waren ohnehin im Rahmen der von den USA geführten Anti-Terror-Operation »Enduring Freedom« (OEF) an Ort und Stelle. Erst kürzlich fischte ein Hubschrauber der deutschen Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern«, die sich ebenfalls im OEF-Einsatz befindet, am Horn von Afrika drei britische Wach­leute aus dem Meer. Sie waren nach einer Attacke von Piraten auf einen liberianischen Tanker über Bord gesprungen.

Auf ihre Beteiligung an der EU-Mission »Atalanta« gegen Seeräuber vor der somalischen Küste, die noch im Dezember beginnen soll, ist die Bundesmarine also offenbar gut vorbereitet. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung will Deutschland 1 400 Soldaten für »Atalanta« bereitstellen. Vorgesehen sei außerdem, dass »Si­cherungskommandos auf Frachtern deutscher Reeder eingeschifft werden«. Wie der Kommandant der Fregatte »Karlsruhe« der Wilhelmshavener Zeitung verriet, sieht er einem möglichen Einsatz gegen Piraten gelassen entgegen: »Das Schiff ist in einem exzellenten Zustand, wir sind voll ausgestattet und haben sowohl ein Boarding-Team als auch Bordhubschrauber dabei.« Zur Besatzung der »Karlsruhe« gehören Soldaten der »Spezialisierten Einsatzkräfte Marine«, die insbesondere für das Entern fremder Schiffe, das so genannte Boarding, ausgebildet sind.
Mit der EU-Mission ergäbe sich überhaupt erst die Gelegenheit, dass die deutsche Marine ihre Fähigkeiten bei der Piratenjagd unter Beweis stel­len könnte. Die Verfassung sieht für die Truppen zu Wasser bisher nur Nothilfeeinsätze vor.
Viel wird im Zusammenhang mit »Atalanta« dieser Tage über Fragen des internationalen Seerechts diskutiert, etwa darüber, ob die Soldaten der EU-Mission Piraten nur auf hoher See be­kämp­fen dürfen oder auch in nationalen Hoheits­gewässern und gegebenenfalls an Land.
Die Frage nach den Ursachen der Freibeuterei am Horn von Afrika wird dagegen eher selten gestellt. Aufschluss hierüber gibt eine aktuelle Stu­die des Royal Institute of International Affairs. Darin heißt es, dass die Piraterie für die Bewohner der somalischen Küste besonders attraktiv sei, weil die dortige Fischereiindustrie wegen der – nicht zuletzt von europäischen Fangflotten verursachten – Überfischung vollkommen darnieder­liege. Einige Seeräuber hätten erklärt, so der britische Think-Tank weiter, dass »sie Somalias natürliche Ressourcen schützen wollten und Lösegelder daher als legitime Besteuerung anzusehen seien«.