Der Prozess im Fall Oury Jalloh

Brennen wie von selbst

Beinahe vier Jahre, nachdem Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, nähert sich der Prozess gegen zwei Polizisten dem Ende. Selbst die Anklage rechnet mit Freisprüchen. War wirklich »Murphys Gesetz« für Jallohs Tod verantwortlich?

Sechs Verhandlungstage waren angesetzt, fast 60 sind es mittlerweile geworden. Am Montag soll nun im Landgericht Dessau das Urteil im Prozess gegen die Polizeibeamten Andreas S. und Hans-Ulrich M. verkündet werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vor.
Oury Jalloh, ein Flüchtling sierraleonischer Staatsangehörigkeit, verbrannte am 7. Januar 2005 in einer Zelle der Dessauer Polizei. In dem mitt­lerweile anderthalb Jahre dauernden Prozess gin­gen der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff und die Staatsanwaltschaft von Anfang an davon aus, dass sich Oury Jalloh selbst verbrannte, obwohl er von den Beamten gefesselt worden war. Eine Mordanklage wurde nicht in Betracht gezogen. In der ausführlichen Verhandlung sollte aus­schließlich die Frage geklärt werden, ob die Angeklagten die Jalloh unterstellte Selbsttötung hätten verhindern können.
Hans-Ulrich M. wird vorgeworfen, bei Jallohs Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen zu haben, das diesem später den vermeintlichen Suizid ermöglicht habe. Sein Freispruch scheint bereits seit längerem sicher zu sein. Die Vorwürfe gegen den damaligen Dienststellenleiter Andreas S. wiegen schwerer: Er hatte zwei Mal den ausgelösten Feueralarm leise gestellt, »um«, sagt er, »den weiteren geordneten Arbeitsablauf im Dienstraum zu gewährleisten«, bevor er sich nach mehreren Minuten in die Zelle begab.

Dennoch dürfte Andreas S. freigesprochen werden, glaubt man den Einschätzungen der beteiligten Anwälte und den Vertretern verschiedener antirassistischer Organisationen, die den Prozess von Anfang an beobachtet haben. Dabei sah es bis vor wenigen Monaten noch ganz anders aus, wie Ullrich von Klinggräff, der Anwalt des Vaters von Oury Jalloh, bestätigt: »Wir waren lange Zeit sicher, dass die Verhandlung nur in einem Schuldspruch für Andreas S. münden könnte, und auch heute würde ich noch sagen, dass er absolut verurteilungsreif ist. Die Gutachten der Brandsach­verständigen stellten aber einen Wendepunkt im Prozess dar.«
In diesen Gutachten ging es zum einen um die Frage, wie Jalloh die feuerfeste Matratze in Brand hätte setzen können. Indem er den Bezug mit einem spitzen Gegenstand aufgekratzt und dann den Schaumstoff entzündet habe, besagt der Befund. Hauptsächlich beschäftigten sich die Gutachter aber mit der Frage, wie schnell das Feuer eine Temperatur entwickeln konnte, die den als Todesursache diagnostizierten Hitzeschock auslöste. Es sollte geklärt werden, ob Oury Jalloh hätte gerettet werden können, wenn Andreas S. nach Auslösen des Feuer­alarms nicht so viel Zeit hätte verstreichen lassen. Nach der Auswertung der Gutachten könne nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass Oury Jalloh auch gestorben wäre, hätte sich Andreas S. sofort zu der Zelle begeben, heißt es mitt­lerweile.
Viele entscheidende Fragen bleiben auch nach der Verhandlung unbeantwortet. Wie konnte das später gefundene Feuerzeug in die Zelle gelangen, nachdem der Festgenommene nach Aussage von Hans-Ulrich M. gründlich durchsucht worden war? Wie schaffte es ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch, eine feuerfeste Matratze in Brand zu setzen? Warum verwickelten sich beinahe alle Beamten in der Befragung zum Hergang des Vorfalls in erhebliche Widersprüche? Warum wurden alle Aussagen von Beamten, die den Dienststellenleiter belasteten, ohne Angabe von Gründen zurückgezogen? Was hat es mit der Tatsache auf sich, dass bei einer Obduktion der Leiche von Oury Jalloh festgestellt wurde, dass die Nase gebrochen und das Mittelohr verletzt war? Warum ist das Video der Tatortermittlergruppe verschwunden? Um welche Flüssigkeit handelte es sich bei der Pfütze, die von mehreren Zeugen in der Mitte der Zelle gesehen wurde?
»Die Sache stinkt zum Himmel. Das ist klar«, sagt Regina Götz, die Anwältin der Mutter von Oury Jalloh, hinsichtlich der Aussagen und der voll­ständigen Verweigerungshaltung der meisten befragten Polizisten. Dennoch stimmt sie mit Kling­gräff darin überein, dass man dem Gericht keinen mangelnden Willen zur Aufklärung der Ge­scheh­nisse vorwerfen kann. »So frustrierend und unverständlich das Ergebnis sein mag, muss man sagen, dass der Richter eine ungewöhnlich genaue und umfassende Beweisführung ermöglicht hat«, sagt Klinggräff.

Das sehen verschiedene Vertreter migrantischer Organisationen anders. »Das Ganze ist eine große Farce, ein Scheinprozess«, sagt Yufanyi Mbolo, Sprecher der Flüchtlingsorganisation »The Voice« und der »Initiative Oury Jalloh«, die sich Ende Juni aus Protest gegen den Verlauf der Verhandlung aus der Prozessbeobachtung zurückgezogen haben. Für die Gruppen, die sich in den Jahren seit Oury Jallohs Tod mit der gemeinsamen Forderung nach »Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung« zusammengeschlossen haben, handelt es sich um einen Mordfall, der durch den vorgeschobenen Aufklärungswillen und eine enge Kooperation von Justiz und Polizei vertuscht werden soll.
Die Gruppen werfen auch den Vertretern der Nebenkläger vor, die von Richter Steinhoff vorgegebene Grundannahme der Verhandlung akzeptiert, anstatt vehement auf eine Mordanklage gedrängt zu haben. Yonas Endrias, der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Mitglied des Afrika-Rats in Deutschland, hält die Strategie der Anwälte für beispielhaft für das Unvermögen vieler weißer Linker, die Dimen­sion von Oury Jallohs Fall zu erkennen. Für die schwarze Community in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern habe er eine überaus große Bedeutung: »Natürlich wird nicht alle Tage irgendwo ein Afrikaner verbrannt. Aber die meisten von uns wissen, wie es sich anfühlt, als Schwarzer weißen Polizisten oder anderen Beamten ausgeliefert zu sein. Deswegen ist es für uns unmöglich, solche angeblichen juristischen Sachzwänge zu akzeptieren.« Endrias und andere verlangen, dass eine unabhängige in­ternationale Kommission eingesetzt wird, um die Geschehnisse aufzuklären. Sie wollen den Fall sowohl vor den Europäischen Gerichtshof als auch vor die Uno bringen.

Richter Steinhoff nimmt hingegen an, dass eine unglaubliche Verkettung unglücklicher Zufälle zu Oury Jallohs Tod führte, mehrmals sprach er während des Prozesses von »Murphys Gesetz«. Jedenfalls starb Jalloh in einer deutschen Kleinstadt, in der Rassismus alltäglich ist. Das zeigt auch die Geschichte von Mouctar Bah, eines guten Freunds von Oury Jalloh. Bah gründete die »Initiative Oury Jalloh«, in dem von ihm betriebenen Telefonladen trafen sich nach dem 7. Januar 2005 die Unterstützer der Kampagne. Von da an war Bah den Bedrohungen und Angriffen örtlicher Nazis ausgesetzt. Einer von ihnen reichte mehrere Beschwerden gegen das Geschäft beim Dessauer Ordnungsamt ein, das schließlich im Februar 2006 Bahs Bewerbung um eine Erneuerung des Gewerbescheins mit folgender Begründung ablehnte: »Ein Verhalten, das wiederholt polizeiliche Ermittlungen notwendig macht, lässt unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen auf große charakterliche Mängel Ihrer Person und auf das Vorhandensein einer doch fehlenden Akzeptanz der Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland schließen.«