Der Saxophonmann

Das Vergnügen an Jazz ist eines, für das man selbst von wohlmeinenden Freunden für gewöhnlich mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Mitleid betrachtet wird. Gefühlen, wie man sie auch anderen skurrilen Zeitgenossen entgegenbringt, die in ihrem so genannten Hobbyraum an Modelleisenbahnen werkeln oder Briefmarken­stempel mit der Lupe vergleichen. Den Freunden erschließt sich nicht, warum man mit fiebriger Stirn die Berliner Philharmonie aufsucht, in einem Auditorium zwischen ältlichen Pferdeschwanzträgern und Rollkragenpullovern Platz nimmt und einem rumpelstilzchenähnlichen Mann mit schlohweißem Bart und Haupthaar, der obendrein eine Sonnenbrille trägt, dabei zusieht, wie er ein Instrument bedient, das unter Liebhabern der modernen Populärmusik als das altbackenste der Welt gilt: ein Saxophon. Das Rumpelstilzchen trottet damit in gebeugtem Gang, wackelnd und mit unsicheren Schritten, über die Bühne. Was es spielt, scheint nicht allzu sehr von Bedeutung. Was wird es schon sein? Brave, biedere Jazz-Standards eben, traditionsbewusst. »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«, als Konzession ans deutsche Publikum. Dass der Mann im Gegensatz zu einigen seiner verstorbenen Kumpels nicht gerade als glühender Avantgardist verehrt wird, weiß man ja. Aber wie der Greis spielt, verdient eine Erwähnung. Er tut es so, als sei der Apparat, den er da vor sich herträgt, symbiotisch mit ihm verwachsen. Der ein wenig eingeschrumpft wirkende Mann ist 78 Jahre alt. Auf der Bühne ist er nur noch selten zu sehen. Aber mit dem Gegenstand in seinen Händen geht er um, als sei er damit zur Welt gekommen und habe noch nie in seinem Leben eine andere Gerätschaft bedient. Er heißt Sonny Rollins, und sein Spiel gibt einem eine leise Ahnung davon, wie es sein konnte, dass der Jazz einmal die aufregendste und revolutionärste Musik der Welt war. Die Kumpels, von denen oben die Rede war, heißen übrigens Miles Davis und Thelonious Monk. Aber erzählen Sie das mal Ihren wohl­meinenden Freunden.