Serie über Serien: »Sex and the City«

Die Erschaffung der Single-Frau aus dem Geist der Urbanität

Serie über Serien. Heike Karen Runge sieht in »Sex and the City«-Schöpferin Candace Bushnell die Virginia Woolf des 20. Jahrhunderts

Diese Frauen wollen kein Zimmer für sich allein, sondern kaufen ganze Appartments in Lower Manhattan. »Sex and the City« ist nicht nur ein Meilenstein in der TV-Serien-Geschichte, sondern bisher auch die einzige große Erzählung, die sich des weltbewegenden Themas der Single-Gesellschaft angenommen hat, und dies noch dazu aus der Frauenperspektive. Welche großen weiblichen Single-Figuren hat die Kulturproduktion der letzten Jahre denn hervorgebracht? Mit Carrie, Miranda, Samantha und Charlotte schuf »Sex and the City«-Autorin Candace Bushnell gleich vier Exemplare der Sorte Frau, für die sich Soziologen und Marketingleute brennend interessieren, die im Kino und in der Hochliteratur, wo der Familienroman Ende der Neunziger sein Comeback feierte, aber weiterhin am Katzentisch sitzen muss.
Egal, ob es sich um ein Date oder ein Freundinnen-Treffen handelt: Wenn die Protagonistinnen essen gehen, dann wird das als glamouröser Auftritt in den Hotspots von New York inszeniert, und die Kellner müssen springen, um die Cosmopolitans schnell genug heranzuschaffen. »Ich mag mein Geld genau da, wo ich es sehen kann – hängend in meinem Kleiderschrank«, lautet eine Sexkolumnen-Weisheit von Carrie. Auf keinen Fall möchte man es im echten Leben mit solchen Dolce&Gabbana-Bitches zu tun bekommen, im Serienkontext aber ist es die coole Geste weiblicher Arroganz, die »Sex and the City« aus dem TV-Mittelmaß heraushebt.
Singletum wird weder als neue Designer-Religion verkauft noch als verschwiemelte Variante zu kurz gekommenen Junggesellentums verhandelt, sondern ist der Ist-Zustand, mit dem man immer wieder klar zu kommen hat, spätestens nach der Scheidung und frühestens nach dem nächsten One-Night-Stand.
Obwohl Massen männlicher Nerds auftauchen, geht es in dieser New York-Saga nicht um die ernsthaft Beziehungsgestörten. Das Singletum der Protagonistinnen wird aus dem Geist der Urbanität erschaffen. Auch deshalb ist es kein Widerspruch, wenn »Sex and the City« dramaturgisch von der Jagd auf husband material vorangetrieben wird und zumindestens eine Figur, Charlotte, ihr Single-Leben lediglich als die etwas zu ausgedehnte Zeitspanne vor der Ehe definiert. Wobei die Weltanschauungen der niedlichen Galeristin von ihren wissenderen Freundinnen zumeist widerlegt werden. Als Gegenpol zu Charlotte fungiert die krasseste Figur von allen, Samantha, die am entschlossensten mit den Tabus der Frauenrolle gebrochen hat und das promiskuitive Single-Leben am stärksten verkörpert. Beziehungen findet sie überflüssig, seit die Frau den Kopf aus der Höhle gesteckt und das Leben da draußen für gut befunden hat.
Meine Lieblingsepisode spielt in der dritten Staffel und trägt den Titel » Die Superfrau« (im Original etwas aggressiver: »Attack of the Five Foot Ten Woman«). Das Besondere an dieser Folge ist: Sie kommt ganz ohne männliche Figuren aus. Sieht man einmal ab von dem genau drei Worte herausbringenden Masseur des Helena Rubinstein-Wellness-Tempels, der Cunnilingus zu den elementaren Entspannungstechniken zählt. Sein Text: »Ist das okay?«
Die ansonsten männerlose Folge kreist um das Motiv von Solidarität und ­Konkurrenz und die Frage, ob manche Frauen nur dazu da sind, damit man sich selbst mies fühlt. Die frisch getrennte Carrie muss damit klarkommen, dass ihre Nachfolgerin ein 27jähriges Ralph-Lauren-Model mit Sommerhaus in den Hamptons ist. Miranda mit der ­Verachtung, die ihre ukrainische Haushälterin für ihren Lifestyle hegt. Und Charlotte mit den Blicken anderer Frauen auf ihre kurvigen Hüften in der Sauna. Wie sich die nackten Besucherinnen in einem Beauty Spa mit Blicken duellieren, das ist mit der ästhetischen Präzi­sion einer Robert Wilson-Oper inszeniert. Wenn das verfilmte chick lit ist, dann ist chick lit absolut großartig.

»Sex and the City«. Staffeln 1 bis 6. Season-Box-Set für je 19,99 Euro (Paramount Home Entertainment)