Die Kampagne »Servicewüste für Nazis« in Berlin

Kein Bier vor Vier!

Die Kampagne »Servicewüste für Nazis« dient nur dem eigenen Wohlbefinden, ihr fehlt das antifaschistische Verständnis.
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Die Aufkleber fürs Schaufenster gibt es gratis: »Für Nazis keine Happy Hour«. Auch sonst kostet die Kampagne die Gewerbetreibenden nichts. Dass ein Nazi mit Glatze, Bomberjacke und/oder »Thor-Steinar«-Klamotten in ein Geschäft in Ber­lin-Friedrichshain stiefelt und einen Latte Macchiato verlangt, kommt zwar sicher gelegentlich vor, aber auf solche Kunden zu verzichten, würde wohl keine Kneipe und kein Bistro finanziell in Bedrängnis bringen. Handelte es sich nicht um eine Anti-Nazi-, sondern um eine antifaschistische Kampagne, wäre das anders. Dann müsste auf den Aufklebern jedoch auch etwas anderes stehen, etwa »Kein Bier für Rassisten«, oder »Keine Pizza für Antisemiten«, »Keinen Kaffee für Na­tionalisten und Chauvinisten«, »Keinen Caipi für Sexisten«, oder auch im Schuhgeschäft: »Keine Schuhe für Holocaustleugner«.

Damit allerdings müssten die Läden, Clubs und Bars einen Großteil ihrer Kunden abschreiben. Einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge sind 32 Prozent der Ost- und 18 Prozent der Westdeutschen ausländerfeindlich, acht Prozent der Ost- und über neun Prozent der Westdeutschen Antisemiten, über ein »geschlossenes rechtsextremes Weltbild« verfügen bundesweit 7,6 Prozent der Bevölkerung. Die wenigsten von ihnen verstehen sich als Nazis. Sie sind es, aber sie wissen es nicht. Sie wählen womöglich die CDU oder gar die Linkspartei, manche von ihnen sind vielleicht auch 70 Jahre alt und würden einen »Thor-Steinar«-Pullover nicht einmal dann anziehen, wenn sie ihn vom Enkel zu Weihnachten geschenkt bekämen. Wenn sie die Imbissstube betreten, um ihre Currywurst zu bestellen, grüßen sie nicht mit »Heil Hitler«, und dass der Aufkleber an der Wurstbude ihnen gilt, darauf würden sie nie im Leben kommen – und er gilt ja auch nicht ihnen.
Das Problem, das Gewerbetreibende bei dieser Kampagne haben, ist nicht nur, dass sie die Rassis­ten, Antisemiten und Nationalisten nicht erkennen, sondern dass sie sie auch gar nicht als Kunden verlieren wollen oder können, egal wie sehr sie gegen Nazis sind. Und drum ist die Kampagne »Servicewüste für Nazis« eine wohlfeile Gutmenschen-Aktion ohne Konsequenzen, um sich gut zu fühlen. Das Schlimme am Nazi ist ja nicht, dass er wie ein Nazi aussieht oder sich selbst als Nazi sieht, sondern dass er beispielsweise Rassist oder Antisemit ist. Das sind andere aber auch. Es könnte sogar ein Nicht-Deutscher sein, dem man das Bier verweigern müsste. Und ist nicht ein Innenminister, der die Abschiebung von Flüchtlingen verantwortet, ein ernster zu nehmender Rassist als ein dumpfer Prolet, der einfach »was gegen Kanaken« hat? Wo soll das enden? Bei Aufklebern wie »Keinen Schnaps für Angestell­te von Abschiebegefängnissen«, »Keinen Döner für Islamisten«, »Keine Cola für Menschen mit ver­kürzter Kapitalismuskritik«?
Hier offenbart sich, in welcher Sackgasse die gesamte Antifa und auch die bürgerlichen Bündnisse gegen Rechts stecken – ebenso die Kam­pagnen gegen »Thor-Steinar«. Gegen rechtes Gedan­kengut in der Gesellschaft hilft das alles nicht. Gegen Nazis zu sein, ist noch lange kein Antifaschismus.

Dass diese Kampagne im ehemaligen Hausbesetzer-Kiez in Berlin-Friedrichshain durchgeführt wird, zeigt überdies, dass ihr Motiv vor allem ist, den »eigenen Kiez« sauber zu halten. »Servicewüste für Nazis« – in der Sächsischen Schweiz wäre das eine wagemutige Aktion. Mal abgesehen davon, dass die Region ohnehin insgesamt eine Servicewüste ist, wäre es dort für Kneipenwirte und Bäcker tatsächlich mehr als ein billiges Bekenntnis, das nur das eigene Wohlgefühl erhöht. Vermutlich würden sie sich mit entsprechenden Aufklebern in ihren bald zerschmetterten Schaufenstern auch alles andere als wohl fühlen. Man kann sich allerdings vorstellen, was die Gewerbetreibenden in der Sächsischen Schweiz viel eher auf ihre Aufkleber drucken lassen würden: »Keinen Broiler für Linke«, »Keinen Futschi für Fidschis«, »Für Asylanten keine Happy Hour«.
Natürlich sind Nazis ein Problem, vor allem, wenn sie männlich und jung und somit latent ge­waltbereit sind. Das größere Problem aber ist die der Rechtsextremismus-Studie zufolge im Os­ten sogar zunehmende Verbreitung von autoritärem, nationalistischem, faschistischem Gedankengut. Dagegen helfen aber keine Aufkleber. Würden sie das, hätten sich die Rote Armee und die Royal Air Force viel Stress ersparen können.