LeserInnenworld

Jungle World, 48/2008: Thema
Zukunftsvisionen
Das Pro-und-contra zum Thema Auto ist ein sehr schönes Beispiel dafür, wie gerne vermeintlich gegeneinander argumentiert wird (Öko gegen hedonistische Theorielinke oder so), wenn doch eigentlich nur die Perspektiven verschieden sind und beide sagen könnten: »Ja, du hast recht, aber es gibt eben kein richtiges Leben im falschen!«
Elke Wittichs Artikel ist wirklich herzerfrischend, gleich möchte ich mein Fahrrad in die Ecke werfen (es hat sowieso gerade einen Platten) und das nächstbeste Auto vor unserer Haustür kapern. Viva das Aus-dem-Fenster-Rauchen, mein Leben zum Roadmovie! Nie mehr verschwitzt in der Uni ankommen und dann, für längere Reisen: Nie mehr mein halbes Konto in eine elend lange Zugfahrt stecken, bei der ich im schlimmsten Fall inmitten einer Horde stinkender, grölender Hooligans … Naja, das hat die Autorin bereits beschrieben.
Wenn ich mir dann Christian Y. Schmidts Beitrag durchlese, wird mir augenblicklich schlecht. Wo ist das elende Fahrradflickzeug? So kann es doch nicht weitergehen! Wir müssen was tun! Die Welt ist eine Asphaltwüste? Was wird denn dann aus dem Sich-unterwegs-irgendwas-Angucken-können, wenn es außer Straßen und anderen Autos gar nichts mehr zu sehen gibt? Warum fahren wir überhaupt zur Arbeit, wenn keine Firma, kein Verlag, kein Kindergarten, sondern nur noch die globale Autobahn existiert? Rechtzeitig fällt mir ein, dass dann wohl auch kein Kapitalismus und kein Staat mehr existieren und dann sowieso irgendwie alles besser wird. Keine Notwendigkeit für China, irgendwen aufzuholen, auch beim Autofahren muss niemand mehr überholt werden, weil kein Zeitdruck. Entschleunigte Welt, ich will jetzt gar nicht zu viel Utopie konkretisieren, aber irgendwie sehe ich doch in dieser fernen Zukunft Christian Y. Schmidt und Elke Wittich ganz friedlich miteinander durch die unter den Asphaltdecken hervorbrechende Natur tuckern (jaja, mit einem Traktor, dem schönsten Kraftfahrzeug überhaupt!) und sich in der Frage Auto-oder-nicht zumindest beinahe einig sein. Anna Kowollik