Die Neuorientierung der US-amerikanischen Linken

Radikale Amphetamine

Obama wirkt wie ein Aufputschmittel. Von dem »Hope« und »Change« bringenden zukünftigen Präsidenten wollen auch radikale Linke in den USA profitieren.

Während die Progressiven in den USA darauf hoffen, dass Barack Obama einen neuen New Deal auflegen oder mit Hilfe sozialer Bewegungen Reformen umsetzen wird, hat die Hoffnung der radikalen Linken nichts mit Obama zu tun, sondern mit der überwältigenden Mobilisierung der grassroots. Ob Obamas »Change« eine historische Chance für linksradikale Interventionen ist, wird derzeit heiß debattiert.
Ein deutlicher Wandel in diesem Milieu deutet sich bereits jetzt an. Seit kurzem kursiert ein Auf­ruf, am 20. Januar in Washington an Obamas Inaugurationsfeier teilzunehmen. Etliche Radikale aus dem antirassistischen, anarchistischen, akademischen oder ökologischen Spektrum unterzeichneten den Appell »Celebrate People’s History and Build Popular Power Bloc«. Die Amts­einführung wird als »Wendepunkt« bezeichnet, der die Möglichkeit eröffne, die lange Geschichte rassistischer Gewalt zu thematisieren und sich mit denen, »die keine Radikalen sind, aber ausgebeutet, unterdrückt und zur Machtlosigkeit verdammt sind«, zu solidarisieren, um eine soziale Bewegung zu schaffen.
Vergleicht man diesen Aufruf mit den Protes­ten der militanten globalisierungskritischen Bewegung bei den beiden vorangegangenen Amts­ein­führungen George W. Bushs, liegt die Frage nahe, ob sich auch die radikale Linke von Obamas Rhetorik hat blenden lassen.

Vor allem bei den Aktivisten aus dem Bereich Antirassismus, Feminismus und Arbeiterkämpfe beruht die Sympathie für Obama auf dessen symbolischer Bedeutung als community organizer, Gegner des Irak-Kriegs, Anwalt der Armen und erster schwarze Präsident. Wie auch immer Einzelne die Nominierung der Kabinettsmitglieder diskutieren, weitgehend einig ist man sich unter radikalen Linken, dass die Wahl Obamas symbolisch für eine veränderte Dynamik des Rassismus als auch des Antirassismus steht.
Doch längst haben konservative Kommentatoren mit Obama die Ankunft der post-racial Gesellschaft begrüßt, in der die Forderung nach Gleichheit erfüllt sei – und das obwohl seit der Wahlnacht am 4. November Hunderte rassistische Vorfälle registriert wurden. Mit dieser Neuauflage der Ideologie vom »Ende der Geschichte« geht die Forderung einher, die Programme der affirmative action einzustellen, eine Forderung, über die in einigen US-Staaten am Wahltag positiv entschieden wurde.
Die Reaktionen radikaler Linker auf diese konservative Taktik sind bislang nur spärlich. Das pseudo-situationistische Kollektiv CrimethInc. Ex Workers’ Collective hat beispielsweise für seine neue Kampagne ein Plakat mit dem Titel »One Black Man Could Be President, One Million Black Men Are in Prison« produziert. Tim Wise, einer der bekanntesten antirassistischen Akti­visten, berichtete von einem Besuch in einer weißen Vorortsiedlung, in der deutlich würde, dass Schwarze immer noch durchschnittlich benachteiligter als Weiße seien.
Doch die Ideologen des post-racial sind sich über diese Ungleichheit im Klaren. Nur machen sie die Individuen persönlich für ihre Misere verantwortlich, und ein schwarzer Präsident gibt ihnen dafür weitere Legitimation. In dieser Situation reicht es nicht mehr, mit bloßen Fakten dagegen zu halten. Die antirassistische Kritik müsste sich auch theoretisch weiterentwickeln.

Mehrheitlich speist sich die Hoffnung der radikalen Linken aus der Erleichterung über das Ende der alten Regierung. Doch das Abtreten von Bush bedeutet auch den Verlust des personifizierten Bösen, das stärkste einigende Element der Linken in den vergangenen Jahren.
Durch die Fokussierung auf Bush konnte sich die Linke bedeutender fühlen, als sie es zahlenmäßig je war. Anstatt aber Bushs manichäischer Weltsicht entgegenzutreten, agierten Linke meist auf demselben Niveau und erklärten die Feinde ihres Feindes zum Freund, was beispielsweise darin gipfelte, dass sich Friedensaktivisten mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinejad trafen.
Vielleicht wird sich ja durch den Wechsel vom unilateralen Bush zu einem charmanten Multilateralen im Weißen Haus auch die ideologische Grundlage auflösen, auf der die reduktionistische Politik der Linken fußt
Dass Anarchisten und andere die Amtseinführung nicht stören, sondern feiern werden, zeigt schon etwas davon an. Dabei besteht dieser Wandel weniger in der Versöhnung der radikalen Linken mit der Politik Obamas, sondern aus dem Interesse an der Politisierung und den Aktivi­täten der grassroots, die unter der Regierung von Bush unvorstellbar waren.