Interview mit Matthias Seling über Stand-Up-Comedy, Politik und linken Humor

»Kölsche Toleranz ist versoffene Ignoranz«

Der Stand-Up-Comedian ist mittlerweile ein fester Bestandteil des deutschen Fernsehens. Matthias Seling gehört zu denen, deren Gags sich nicht auf Anti-Bush-Witze beschränken. Er ruft eher schon mal die IDF um Hilfe und macht sich über deutsche Eigenarten lustig. Er tritt unter anderem im Hamburger Quatsch Comedy Club auf.

Warum haben Sie sich für den Österreicher als Bühnencharakter entschieden, wo Sie doch in München groß geworden sind?

Weil der Österreicher die Lizenz zum Düster- und zum Bösesein hat. Ich darf Witze über Selbst­mörder, über Jesus und über den Tod machen. Ich darf den Geruch von Eingeweiden eher beschrei­ben als der Deutsche. Das Österreichisch passt besser zu meiner Art von Comedy und Humor. Es fällt mir eben eher etwas Düsteres als etwas Niedliches ein.

Wie reagieren beispielsweise die Kölner auf Ihren österreichischen Humor, mit dem Sie sich über die kölsche Mentalität lustig machen?

Komischerweise mit Verständnis. Dafür, dass der Kölner seine Stadt so liebt, behandelt er sie ziem­lich schlecht. Köln ist architektonisch ein einziges blaues Auge. Nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg hatten die Kölner nichts Besseres zu tun, als ihre Stadt komplett zu kacheln, so dass man bei der nächsten Bombardierung einfach nur feucht drüber wischen muss. Über diese Haltung mache ich mich lustig. Das verstehen die Kölner: »100 Prozent Leistung sind zuviel, 75 Prozent reichen.« Kritischer sind die Kölner, wenn man sich über ihr Bier lustig macht, da verstehen sie keinen Spaß.

Verstehen die Kölner beim Moscheebau Spaß?

Bei der Demonstration gegen Pro Köln konnte man die kölsche Mentalität gut studieren. Im Grun­de sind die Kölner den Nazis unglaublich dankbar gewesen, da sie ihnen eine Ausrede lieferten, außerhalb der Saison Karneval zu feiern. Die Kölner haben die Veranstaltung von Pro Köln ein­fach kaputt gefeiert. Mit der Moschee haben sich die Kölner gar nicht auseinandergesetzt. Das ist die kölsche Toleranz, die versoffene Ignoranz. Alle Leute werden nach drei Bier einfach eingekölscht.

Der Kölner schunkelt die Probleme weg?

Genau. Die Kölner schunkeln, die haben auch geschunkelt, als Hitler eine Rede gehalten hat. Die Kölner würden auch schunkeln, wenn ein Krieg kommt. Allem wird mit der kölschen Fröhlichkeit begegnet. So toll scheint der kölsche Antifaschismus allerdings nicht zu sein. In Köln geht man an keinem Haus vorbei, vor dem kein Stolperstein liegt. Samuel und Lina Ehrlich aus meiner Straße sind bestimmt nicht freiwillig aus ihrer Wohnung ausgezogen und haben sicher auch keine Verwandten in Amerika oder Argentinien besucht.

Gerhard Polt hat einmal in einem Interview gesagt, dass Politiker fade seien und sich in öffentlichen Verkehrsmitteln viel interessantere Menschen fänden. Wo finden Sie Inspiration?

Auch eher aus dem Privaten. Ich brauche immer eine Emotion, die mich aufregt, die mich packt. Wenn es um Politik geht, erst recht. Wenn Comedy nicht emotional ist, ist sie immer Hörsaal. Hass und Sich-Aufregen sind wichtige Bestandteile der Comedy.

Was hassen Sie am meisten?

Am meisten hasse ich Bigotterie, irgendwelche superbraven Christen oder Linksdogmatiker oder Fernsehnazis, die, weil sie ein Buch über Afrika gelesen haben, denken, sie wissen wo es langgeht. Am Fernsehen hasse ich diesen schleichenden Faschismus. Wenn ich den Fernseher einschalte, sehe ich nur Leute, die sich verklagen, die von den Sozialfahndern abgelöst werden, dann kommt die Streife im Revier, und als Comic Relief scheitern dann noch Toto und Harry durchs Abendpro­gramm. Das einzige, was einem da serviert wird: Kontrolle ist alles. Das halte ich für extrem gefähr­lich. Und wenn ich dann auf N 24 schalte, kommt Guido Knopp, und ich denke, die Ostfront ist gerade frisch am Einbrechen.

Reich-Ranicki hat also Recht mit seiner Kritik am Fernsehprogramm?

Ja, hat er!

Was halten Sie von »Dittsche – Das wirklich wahre Leben«?

Super. Dittsche steht im Gegensatz zu der gelackten Bildästhetik, die das Fernsehen normalerweise bietet, vor allem das private. Die öffentlich-rechtlichen Sender wagen mittlerweile mehr Sachen, die internationales Niveau haben, wie eben Dittsche. Dieses Sepiagetönte, Monochrome, die Kamera-Einstellung, das Dahingeschwafel, die Leermomente und gerade dieses Laufenlassen und Den-Humor-entstehen-lassen sind ein Gegenpol zu den unsäglichen Sketch-Shows wie »Die dreisten Drei« mit ihren Designer-Wohnungen, ihren Designer-Klamotten und ihren Designer-Problemen.

Reich-Ranicki hat also doch nur teilweise recht?

Ja, aber ich glaube, er bleibt nicht lange genug auf, um Dittsche zu sehen. Da schläft er dann schon oder liest ein gutes Buch. Nochmal Fontane.

Warum trifft die Comedy eher den Zeitgeist als das Kabarett?

Kommt darauf an, was der Zeitgeist ist. Wenn der Zeitgeist darin besteht, Spaß zu haben und einen drauf zu machen, dann entspricht ihm sicher die Comedy. Die Trennung zwischen Comedy und Kabarett ist im Übrigen typisch deutsch. Die gibt es sonst nirgendwo, vielleicht noch in Österreich. Aber selbst die österreichische Kabarett-Ikone Josef Hader benutzt viele Comedy-Elemente. Dabei sind Haders größte Vorbilder fast durchweg Amerikaner. In Amerika sind die Grenzen nicht so eng gezogen. Da folgt beispielsweise in John Stuarts Daily Show ein politischer Witz über Sarah Palin auf einen Schwanz-Witz.

Warum sind die Grenzen zwischen Comedy und Kabarett hier nicht so fließend?

Das vermischt sich zusehends auch hier. Einerseits sind die Kabarettisten so weit, dass sie die Comedians nicht mehr als oberflächlich abstempeln, und andererseits merken die Comedians, dass die klassischen Themen der beobachtenden Comedy langsam abgegrast sind, da ist eine Welt­wirtschaftskrise schon interessanter.

Der Kabarettist Harald Schmidt hat sich auch einen Comedian zugelegt. Ist der Titel von Oliver Pochers neuem Bühnenprogramm »Gefährliches Halbwissen« die Wahrheit über Comedy?

Pocher hat viel Chuzpe, schießt aber bisweilen über das Ziel hinaus. Er berichtet nur über mediale Ereignisse, weil er selber ein mediales Ereignis ist. Häufig ist es so, dass Comedy eine interessante Alltagsbeobachtung bis ganz nach oben, auch ins Politische, übersetzen kann. Bei Pocher funktioniert das nicht, weil er den Alltag nur verzerrt wahrnehmen kann, weil er eine Überprominenz in Deutschland ist. Insofern, gefährliches Halbwissen kann gut sein, aber da überschätzt er sich selbst auch mit seiner Gefährlichkeit.

Mit der Abwahl des Bundeskanzlers Helmut Kohl setzte der Comedy-Boom ein und verdrängte das Kabarett. Gibt es da einen Zusammenhang?

Kulturelle Entwicklungen lassen sich nie monolithisch an einer Sache festmachen. Aber das Kabarett bestand irgendwann nur noch aus einer Vereinbarung zwischen dem Publikum und dem Künstler. In roten und schwarzen Rollkragen­pullis und schlecht sitzenden Sakkos saßen die Leute da, wussten sowieso schon alles, auch dass die Veranstaltung eineinhalb Stunden dauern und am Ende gelacht werden würde. Das war dann so wie ein kubanischer Parteitag.
Mitte der neunziger Jahre konnte jedes Kind Kohl imitieren, kabarettistisch war das keine Kunst. Das ist so wie Marcel Reich-Ranicki oder Herbert Grönemeyer, das kann jeder. Für das politische Kabarett wurde es schwerer, weil die Feindlinien nicht mehr so klar waren, Kohl und der Ku-Klux-Kanther waren nicht mehr da, und Schröder war so was wie eine linke Hoffnung.

Gibt es linken Humor?

Das politische Kabarett in Kuba krankt schon daran, dass immer »Hasta la victoria siempre« dazwischen gehustet werden muss. Humor stirbt, sobald er mit einer bestimmten Ideologie verknüpft ist und sich Selbstkritik oder Selbstreflexion verweigert. Die Linken sind zu sehr mit Dialektik beschäftigt, da bleibt kein Platz für Humor. Die Linken aus dem Uni-Asta waren da am schlimmsten. Je ungewaschener der Palästinenserschal, desto weniger Humor.

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