Der ANC bekommt Konkurrenz

Der Shikota Express fährt ab

Seit fast anderthalb Jahrzehnten regiert der ANC unangefochten Südafrika. Doch nun sind zahlreiche Mitglieder ausgetreten und haben eine neue Partei gegründet.

»Ich erkannte, dass der ANC, dem ich 1983 beitrat, verschlissen ist«, sagte die Parlamentsabgeordnete Mampe Ramotsamai. Sephato Handi, ANC-Sekretär in der Provinz Eastern Cape, beklagte den »internen Druck«. Wie bereits zuvor viele andere prominente Mitglieder und Funktionäre der Regierungspartei verließen beide in der vergangenen Woche den ANC, um sich dem Congress of the People (Cope) anzuschließen. Die neue Partei hat bereits zahlreiche Anhänger und beunruhigt die ANC-Führung, obwohl sie formal erst am 16. Dezember gegründet werden wird.
Großer Andrang herrschte bereits am ersten Novemberwochenende bei der National Convention, als über die Agenda für den Cope diskutiert wurde. Bus um Bus hielt vor dem Konferenz­zentrum in Sandton, einem Stadtteil im Norden Johannesburgs. Hupende Minibusse rollten an, Taxis, deren Windschutzscheiben mit Paketband geflickt waren, daneben noble Karossen, Fußgän­ger, Fahrradfahrer. Mehr als 6 000 Delegierte waren aus allen Provinzen Südafrikas angereist, um sich dem »Shikota Express« anzuschließen, der Parteigründungsinitiative des ehemaligen Verteidigungsministers Mosiua Lekota und Mbhazima Shilowas, des ehemaligen Premierministers der Provinz Gauteng. Viele von ihnen mussten stundenlang anstehen, bevor sie als Delegierte regis­triert wurden.

Auch die Vertreter liberaler und sozialdemokratischer Oppositionsparteien wie der Democratic Alliance waren gekommen, um ihre Unterstützung für die neue Partei zu zeigen. Dem African National Congress, traditionsreiche Befreiungsbewegung und seit 1994 Regierungspartei Südafri­kas, steht nun eine schwierige Zeit bevor. Die neue Partei stellt sich als demokratische Alternative zum ANC dar. »Es besteht die große Gefahr, dass das Land wegen des selbstsüchtigen Missbrauchs der Macht in eine Regierung im Stil der Apartheid zurückfällt«, sagte Lekota.
Am selben Wochenende fuhr der ANC-Vorsitzende und Präsidentschaftskandidat Jacob Zuma auf einem bakkie, einem massigen Pick-up, durch die Straßen Sowetos und sprach im Jabulani-Stadion vor 13 000 Anhängern – allerdings weitgehend in Zulu, einer der elf Sprachen Südafrikas, die aber nur von 24 Prozent der Bevölkerung gesprochen wird. Thema seiner Rede waren die bread and butter issues: Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit.
Der ANC steckt in der tiefsten Krise seiner fast 100jährigen Geschichte. Die Gründe für die Spaltung liegen nicht nur in politischen Flügelkämpfen. Auch die Unzufriedenheit mit dem Wahlsystem, mit 15 Jahren faktischer Einparteienherrschaft und der Bedeutungslosigkeit der Opposi­tion im Parlament machen sich bemerkbar. In den vergangenen Jahren haben viele Wahlberech­tigte darauf verzichtet, sich registrieren zu lassen, denn bei einer Zweidrittelmehrheit des ANC im Parlament und Mehrheiten von 80 Prozent in einigen der neun Provinzen sind die Machtver­hältnisse allzu klar. Überdies können die Wähler nicht für einzelne Kandidaten stimmen, sondern nur für Parteilisten, die nach einem Proporzsystem erstellt werden.
In den vergangenen Monaten hat sich die Situa­tion zugespitzt. Am 20. September forderte das National Executive Committee des ANC den südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki zum Rücktritt auf, um den Weg für dessen Rivalen Jacob Zuma freizumachen. Im ANC führte dieser Alleingang zu lauten Protesten. Mehrere Minister der Zentralregierung und Premierminister süd­afrikanischer Provinzen reichten ihren Rücktritt ein. Dem Interimspräsidenten Kgalema Motlanthe fiel die Aufgabe zu, Kompromisse zwischen den Fraktionen des ANC zu suchen.

Doch die Spannungen haben sich seitdem verschärft. Die Kommunistische Partei (SACP) ist Teil des ANC und versucht seit dem Rücktritt Mbekis, ihren Einfluss zu vergrößern. Durch den Beschluss des ANC, nach den Wahlen im Frühjahr 2009 zusätzlich zum Kabinett einen Staatsrat einzuführen, der die Machtkonzentration bei der Exekutive und die Bedeutung des National Executive Committee weiter vergrößern würde, ist ihr dies gelungen. Unterstützung findet sie beim Gewerkschaftsdachverband Cosatu.
Zumas politische Strategien lassen allerdings die Frage aufkommen, ob er tatsächlich wirksam Armut bekämpfen wird oder lediglich mit populistischen Versprechen Wähler gewinnen möchte. Denn Zuma geht es weniger um eine redistributive Sozialpolitik als um Strategien sozialer Befriedung. Devan Pillay, Professor an der Universität Witwatersrand in Johannesburg, kritisiert im Amandla Magazine, dass Zumas Sozialpolitik den Interessen privilegierter Mittelschichten diene, die Situation der informell Beschäftigten und illegalisierten Migranten jedoch ignoriere. Auch die Privatisierung grundlegender Dienstleistungen wie Wasser- und Stromversorgung spreche Zuma nicht an.

Mit seinem markigen Auftreten kann Zuma zwar kurzfristig Sympathie unter vielen Anhängern gewinnen, auf lange Sicht dürfte eine solche Stra­tegie jedoch keinen Wahlerfolg bringen. In Südafrika gibt es mehr und mehr Wechselwähler, sodass sich der ANC nicht wie in früheren Zeiten auf eine solide Basis verlassen kann. Zudem werden bei der nächsten Wahl mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten jünger als 35 Jahre sein. Sie können sich nicht mehr mit den kämpferischen Parolen der achtziger Jahre, dem Mythos einer Befreiungsbewegung, der lange Zeit für die ANC-Anhänger identitätsstiftend war, und den tradi­tionellen Strukturen der Partei identifizieren.
Zudem muss sich der ANC derzeit mit einer Serie von Korruptionsfällen auseinandersetzen. So berichtet die Regionalzeitung City Press, dass in den Provinzen Limpopo, Western Cape und Free State nicht die Gouverneure, sondern die jewei­ligen Landesgremien des ANC das Sagen hätten, wenn es um öffentliche Aufträge und Stellen­besetzungen gehe. Mittlerweile zeichnet sich auch auf regionaler Ebene in sieben der neun Provinzen eine Spaltung des ANC ab. Im Northern und Western Cape wurden in den vergangenen Wochen Tausende ANC-Parteibücher öffentlich abgegeben. Nur in den Provinzen KwaZulu-Natal und Mpumalanga hat Zuma weiterhin eine sichere Basis.
Die Anziehungskraft des Projekts von Lekota und Shilowa scheint groß, vor allem kann der Cope wohl von dem wachsenden Unmut über die autoritäre Politik des ANC profitieren. Die neue Partei will die demokratischen Institutionen stär­ken, dem derzeit marginalisierten Parlament soll mehr Einfluss verschafft, Abgeordnete und der Präsident sollen direkt gewählt werden. Wäh­rend Zuma tribalistische Ressentiments schürt und z.B. im Wahlkampf T-Shirts mit dem Aufdruck »100 % Zuluboy« verteilen lässt, propagiert der Cope ein »post-racial South Africa«. Die Deklaration der neuen Partei hebt die Ziele der »Freedom Charter« von 1955 hervor, Gleichheit, soziale Kohäsion sowie demokratische Partizipation, wirtschaftspolitisch vollzieht sie eine Abkehr vom traditionellen Marxismus des ANC, der allerdings in der Regierungspolitik nie eine Rolle spiel­te.
Ob die vermutlich sozialdemokratische Pro­gram­matik des Cope bessere Perspektiven zur Armutsbekämpfung bietet, ist fraglich. Immerhin könnte die neue Partei dazu beitragen, bei den Wahlen im kommenden Jahr dem übermäch­tigen ANC den Alleinvertretungsanspruch für die »Rainbow Nation« streitig zu machen.