Medienpolitik in Frankreich

Hier spricht die Polizei

Mit einer konzertierten Aktion versucht die französische Regierung, schwächelnde Medien zu stärken.

Ein unangenehmes Erwachen erlebte kürzlich ein Journalist der Pariser Tageszeitung Libération. Vittorio de Filippis wurde frühmorgens von vier Polizisten geweckt, die ihn aufforderten mitzukommen. Im Pariser Justizpalast musste er sich zweimal einer Leibesvisitation unterziehen. Erst danach erfuhr er, worum es überhaupt ging: Sein Blatt hatte vor zwei Jahren im Internet einen Leserbrief veröffentlicht, in dem die Verurteilung eines Unternehmers wegen Veruntreuung erwähnt worden war. Der Geschäftsmann hatte wegen übler Nachrede Anzeige erstattet.
Die Verhaftung eines prominenten Journalisten im Morgengrauen hat einigen Wirbel verursacht. Frankreich halte den traurigen Europa­re­kord, was die Zahl der Justizvorladungen, Strafver­fahren und polizeilichen Festnahmen von Journalisten betrifft, kommentierte die Vereinigung Reporter ohne Grenzen den Vorgang. Beispielsweise wurde der bekannte Investigationsjournalist Denis Robert im Dezember 2006 festgenommen, die Behörden versuchten auf diesem Weg herauszubekommen, wie er Kenntnis von Vorgängen bei der Luxemburger Bank Clearstream erlangt hatte. Die Redaktion des lokalen Fernsehsenders France 3-Sud in Toulouse wurde nach Auf­nahmen von Genpflanzengegnern durchsucht.
Zwar sieht das europäische Recht vor, dass Journalisten ihre Quellen geheim halten dürfen, auch wenn deren Inhalt strafrechtlich relevant sein könnte. Aber bislang ist die Regel nicht ins nationale Recht eingegangen. Nicolas Sarkozy hatte es im Wahlkampf versprochen, aber die Gesetzesvorlage dazu, die sich in der parlamentarischen Beratung befindet, entspricht nicht den Anforderungen. Sie sieht zwar einen Quellenschutz vor, aber mit einer wichtigen Ausnahme: Ein Richter kann darüber hinwegsehen und etwa eine Haus- oder Redaktionsdurchsuchung anordnen, wenn er es als »für die Wahrheitsfindung unabdingbar« erachtet.
Die Affäre um Vittorio de Filippis hat auch den laufenden Versuch einer Art konzertierter Aktion für die Presse, den die konservative Regierung vor Monaten initiierte, ins Stocken gebracht. Am 2. Oktober nahmen die so genannten Generalstände der Presse ihre Tätigkeit auf, um Staat, Medienunternehmen und Gewerkschaften zu einer Kooperation zu bewegen. Der Begriff ist an die Generalstände von 1789, den Vorläufer des Parlaments im damaligen Feudalstaat, angelehnt. Anfang voriger Woche hat sich nun die sozialdemokratische Gewerkschaft der Journalisten (CFDT) daraus zurückgezogen. Vordergründig, um gegen die Verhaftung de Filippis’ zu protestieren. Schon zuvor hatte die etwas linkere Journalistengewerkschaft CGT-SNJ ihren Auszug erklärt: Ende November verlautbarte sie, die Ini­tiative sei »eine Farce«. Die »Generalstände« würden in Wirklichkeit von den Medienkonzernen beherrscht.
An den Gerneralständen sollen Presseunternehmen, Journalistengewerkschaften und Reprä­sentanten der Regierung teilnehmen. In Arbeitsgruppen werden Themen wie die Konkurrenz durch das Internet, die Verbreitung von Gratistageszeitungen, »Medienpluralismus« oder »Pressekonzentration« behandelt.
Die Unternehmen dieser Branche haben dabei einen Forderungskatalog vorgelegt, der vor allem ihren Interessen entgegenkommt. Es zeichnet sich ab, dass die Prinzipien, die am Ende beschlossen werden sollen, die Tendenz zur Kapitalkonzentration auf dem Mediensektor noch befördern werden. So wollen die Unternehmen im Namen der bedrohten Zeitungen künftig Subventionen der Regierung einstreichen. Diese fordert Maßnahmen, die die Rentabilität steigern sollen. Das kann eine Zeitung, die zu einem Konzern gehört, natürlich besser als eine Alternativzeitschrift oder ein Lokalblatt.
Kritiker sehen die Pressefreiheit nicht nur von der Justiz und der Polizei bedroht. Die stärkste Besorgnis erregen derzeit die Vorgänge um das öffentlich-rechtliche Fernsehen.
Am Montag wurde die kurzfristig unterbrochene Beratung eines Gesetzentwurfs wieder aufgenommen, der zukünftig Werbung aus dem Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gänzlich verbannen soll. Die Vorlage, die auf Verlangen von Präsident Nicolas Sarkozy im Frühjahr erarbeitet worden war, sollte zunächst den Anschein einer »antikommerziellen« Maßnahme – gegen Manipulation und Belästigung durch Werbung – erwecken.
Die Sache hat allerdings einen Haken: Denn die Frage nach der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wird dabei neu aufgewor­fen, aber nur unzureichend geklärt. Der Staat übernimmt zwar eine finanzielle Garantie für den Ausfall an Werbeeinnahmen. Aber nur bis zum Jahr 2011.
Damit droht den öffentlich-rechtlichen Anstalten die finanzielle Austrocknung. Zugunsten der privaten Fernsehsender, die zwar ihrem Status zufolge von der Regierung unabhängig, in Wirklichkeit aber dem konservativen Lager weitaus näher verbunden sind als die öffentlich-rechtlichen. Der wichtigste private Fernsehsender, TF1, wurde 1987 von dem damaligen konservativen Premierminister Jacques Chirac privatisiert. Heute befindet er sich im Besitz des Konzernerben Martin Bouygues, eines Duzfreunds von Sarkozy. TF1 gilt als rechtslastig.
Unterdessen wurde Ende November bekannt, dass lange Passagen des aktuellen Gesetzentwurfs direkt von den Repräsentanten der privaten Fernsehanstalten formuliert worden sind – auf dem Umweg über zwei Lobbyorganisationen, in denen auch Parlamentarier sitzen.
Damit nicht genug, plant die Regierung im Zuge der Reform nun auch, die Modalitäten bei der Ernennung des Direktors von France Télévision, dem alle öffentlich-rechtlichen Anstalten unterstehen, zu ändern. Statt von einer Kommission soll dieser zukünftig unmittelbar vom Staatspräsidenten ausgesucht, ernannt und entlassen werden können.
Kritiker sprechen von einem »Rückschritt um 30 Jahre«. Damals gab es noch die staatliche Fernsehanstalt ORTF, die unter Präsident Charles de Gaulle vielfach zum Gegenstand von Kritik der politischen Opposition wurde. »Die Polizei spricht zu euch, jeden Abend um 20 Uhr« – so hatten die Demonstranten im Mai 1968 ihre Funktion charakterisiert.