Die Wahlen in Ghana

Beim Zählen kann jeder zusehen

Das Interesse der Bevölkerung und die Beteiligung an den Wahlen in Ghana waren groß. Doch die Unterschiede zwischen den Parteien sind gering, persönliche Erfah­rungen und die regionale Herkunft der Kandidaten sind wichtiger als Programme.

Viele Ghanaer stehen an diesem Sonntag sehr früh auf. Die Wahlbüros öffnen um sieben Uhr, doch bereits eine halbe Stunde früher bilden sich lange Menschenschlangen. Frauen mit Babys auf dem Rücken, Alte, gestützt auf Gehhilfen, und viele junge Erstwähler warten geduldig drei Stunden, um ihre Stimme bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl abzugeben. Kofi, der in Pokuase, einem Vorort von Accra, ansteht, wählt die Regierungspartei NPP (New Patriotic Party), weil sie »in den acht vergangenen Jahren mehr für Ghana erreicht hat als Kwame Nkrumah«, der An­führer der Unabhängigkeitsbewegung und erste Präsident des Landes. Akua hingegen meint, dass »keine Partei länger als acht Jahre regieren sollte«, und will den NDC (National Democratic Congress) wählen.
Wenn um 17 Uhr niemand mehr ansteht, wird die polling station in wenigen Minuten für die Aus­zählung umgebaut. Ein Absperrband zieht einen Kreis um die fünf Mitarbeiter der Wahlkommission, die unter den Augen Hunderter Wähler beginnen, die Stimmzettel nach Parteien zu sortieren. Jeder Zettel wird den Anwesenden gezeigt, anschließend wird jeder Stapel ausgezählt. Immer wieder kommt es zu Jubelgeschrei, wenn das Ergebnis einer Partei feststeht. Der Wahlkommissar unterbricht dann sofort die Zählung und erklärt, dass er keine lauten Bekundungen dulden werde, so lange nicht alle abgegebenen Stimmen der Wahlzone ausgezählt sind.

Die transparente Zählung findet an allen 21 004 polling stations im ganzen Land statt und dauert in einigen Fällen die ganze Nacht an. Die gezählten Stimmzettel werden anschließend unter Begleitung aller Parteivertreter ins Bezirksrathaus gebracht, wo sie gesammelt und nach Accra zum Hauptquartier der Wahlkommission geschickt werden. Die in Ghana seit 1992 praktizierte Methode kommt mittlerweile auch in anderen west­afrikanischen Ländern zur Anwendung, weil sie Wahlbetrug verhindert.
Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 70 Prozent. Das aufwändige Verfahren muss jedoch wie­der­holt werden, denn bei den Wahlen am 7. Dezember erreichte keine Partei die absolute Mehrheit. Nana Akufo-Addo, der Kandidat der Regierungspartei NPP, gewann 49,13 Prozent der Stimmen, John Atta Mills vom oppositionellen NDC liegt mit 47,92 Pro­zent knapp dahinter.
Demokratische Wahlen sind auch in Ghana alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Im Jahr 1992 wurde nach 35 Jahren autoritärer Regierung erstmals eine Verfassung verabschiedet, die ein Mehrparteiensystem festlegte. J.J. Raw­lings, der in den zehn vorangegangenen Jahren das Land autoritär regiert hatte, trieb die Demokratisierung maßgeblich voran. Er gründete den NDC und gewann die ersten beiden Prä­si­dent­schafts­wahlen. Die NPP, die sich auf J.B. Danquah beruft, den neben Nkrumah bedeutendsten Politiker der Entkolonisierungsphase, konnte erst im Jahr 2000 die Mehrheit gewinnen.
Beide Parteien haben eine starke regionale Verankerung. In der Volta-Region, wo Rawlings ge­boren wurde, erhielt der NDC über 80 Prozent der Stimmen, während in der Ashanti-Region, der Wirkungsstätte Danquahs, die NPP 71 Prozent bekam. Die während des Wahlkampfes viel kritisierte Regionalisierung ist das Erbe der siebziger und achtziger Jahre, als Ghanas politisches System stark personalisiert und von institutionalisierten Patronage-Netzwerken gekennzeichnet war. Die durchweg männliche Führungsschicht sicherte sich durch ökonomische Verteilung und symbolische Gesten die Loyalität der Bevölkerungsgruppen. Doch wie in vielen anderen westafrikanischen Ländern entstand in den frühen neunziger Jahren eine Demokratiebewegung, initiiert vor allem von jungen Universitätsabsolventen.

Die alten Patronage-Netzwerke existieren nicht mehr, doch der Regionalismus und die konkreten Leistungen und Versprechen der Parteien spiel­ten für die Bevölkerung bestimmter Gebiete bei den Wahlen eine entscheidende Rolle. So errang der NDC-Kandidat Atta Mills in der Central Region doppelt so viele Stimmen wie bei den Wahlen im Jahr 2004. Er hatte mit einer aufwändigen Kampagne, die ihn von Haus zu Haus führte, seine persönliche und politische Verankerung in der Region betont.
Im Hinblick auf die Demokratisierung Afrikas ist die Bilanz des Wahljahres 2008 gemischt. In Kenia starben mehr als 1 000 Menschen bei Unruhen nach den Wahlen, in Zimbabwe konnte sich das autoritäre Regime Robert Mugabes durch Manipulationen und Gewalt an der Macht halten. Andererseits wurden die Wahlen in Angola von internationalen Beobachtern als frei und fair bezeichnet, und in Ruanda sind 48 Prozent der Parlamentsabgeordneten Frauen, ein höherer Anteil als in jedem anderen Land der Welt.
In Ghana wurde die Gefahr der Gewalt vor den Wahlen ausführlich debattiert, neben den Politikern mahnten Professoren, Geistliche und viele andere, steuerten aber auch Vorschläge bei, wie friedliche Wahlen gesichert werden können. In den letzten Monaten erschien die ghanaische Bevölkerung sehr stark politisiert. Viele Freiwillige hatten die Straßen mit Parteifahnen und Wahlplakaten übersät. In den Bussen, in Bars und auf den Märkten wurde eifrig über die Wahlen und die neuesten Entwicklungen diskutiert.

Die Wahlprogramme spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die »Manifestos« wurden für fünf Cedis verkauft, das entspricht in etwa dem Be­trag, den Ghanaer brauchen, um zwei bis drei Tage zu leben. Während zweier Fernsehdebatten gelang es den vier teilnehmenden Präsidentschaftskandidaten nicht, ihre Überzeugungen klar voneinander abzugrenzen. Die Wähler entschieden sich häufig aus ganz persönlichen Erfahrungen für diese oder jene Partei, oder sie bevorzugten einen Kandidaten wegen seiner regionalen und sozialen Herkunft.
Die Politik der NPP kann als sozialliberal bezeichnet werden, sie gilt als unternehmerfreundlich. Die Partei lobte sich mit ihrem Wahlspruch »Moving Ghana Forward« für die wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften während ihrer acht Regierungsjahre. Der NDC spricht sich hingegen in seinem Wahlprogramm für eine sozialdemokratische Politik aus. Wenn es um konkrete Maßnahmen geht, sind die Unterschiede zwischen NPP und NDC jedoch gering. Diverse unter Rawlings begonnene Sozialprogramme wie die staatliche Krankenversicherung, wurden unter der NPP weiterentwickelt und gelten heutzutage als beachtliche Errungenschaften. Unter anderem wegen der Einführung eines landesweiten, universellen Primarschulsystems attestierte das United Nations Development Programme Ghana im Juni, als erstes afrikanisches Land die Millennium Development Goals zur Halbierung der Armut erreicht zu haben.
Die wirtschaftliche Lage ist vergleichsweise gut, Ghana war weniger stark von ansteigenden Lebensmittelpreisen betroffen als andere afrikanische Länder. Überdies wurde ein Ölfeld vor der Küste entdeckt, das dem Staat in den kommenden drei Jahren schätzungsweise fünf Milliarden Dollar einbringen wird. Sowohl die NPP als auch der NDC dürften eine exportorientierte, unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik betreiben. Wer auch immer die Stichwahl am 28. Dezember gewinnt, die Ghanaer können sich nicht auf die Parteien verlassen, wenn sie da­für sorgen wollen, dass die wachsenden Einkünfte bei allen Teilen der Bevölkerung ankommen.