Das Verhalten der griechischen Polizei

Die Stille nach dem Schuss

Die Polizei zeigte sich zunächst zu verunsichert, um auf die Riots zu reagieren. Zu groß war die gesellschaftliche Ablehnung nach dem Todesschuss. Inzwischen aber greift die Repression.

Am Anfang hat man sich schwer gewundert: Wo ist die Polizei? Barrikaden brannten, Banken wurden angezündet, Polizeireviere angegriffen – und die Polizei hielt sich trotzdem zurück. Ob es daran lag, dass sie überrascht worden war? Teil­weise schon, der Hauptgrund bestand jedoch darin, dass sich ihre Handlungen jeglicher moralischer Legitimation entzogen hatten. Ein 15jähriger Schüler, ein normaler Junge, der keine Straf­tat begangen hatte, war tot; mitten im Athener Anarcho-Kiez Exárchia. Der Anlass: Jemand hatte einen Polizisten beleidigt. Der Schuss traf auf einmal alle – die Polizei erschien innerhalb einer Stunde als Erzfeind der gesamten Gesellschaft.
Dieser Schuss war das letzte in einer Reihe von Ereignissen, die das Pulverfass explodieren ließ: »Querschläger«, »tödlicher Schüsse aus Versehen«, Folter an Ausländern auf Polizeiwachen, Er­pressungen, Drogenhandel und Misshandlungen. Es gibt kaum eine Straftat, die die griechische Polizei in den vergangenen Jahren nicht verübt hätte. Allein in den vergangenen zwölf Jahren stieg die Anzahl der von der Polizei Getöteten auf 81. Über 120 sind es insgesamt seit dem Umsturz der Militärjunta 1974.
Durch die absurdesten Ausreden konnten in der Vergangenheit die Täter in Uniform nach ähnlichen Zwischenfällen ungestraft davonkommen. Vorige Woche fand etwa der »Blumenrabatten-Prozess« in Thessaloniki statt, bei dem acht Polizisten gefährliche Körperverletzung an einem Studenten vorgeworfen wurde. Die Angeklagten behaupteten, trotz Videoaufnahmen, die das Gegenteil zeigten, dass der Student als erster angegriffen habe und dass er über eine der Blumenrabatten gestolpert sei.
Dieses Mal jedoch gab es keine Ausrede. Es ist eindeutig: Der Polizist Epaminondas Koroneos, ein ehemaliges Mitglied einer militärischen Sondereinheit, hat ohne Grund geschossen. Der Junge war unbewaffnet. Mit seiner Erklärung vor dem Haftrichter hat der Polizist die Öffentlichkeit wei­ter provoziert, ja schockiert, zumal er kein Wort des Bedauerns für sein Opfer fand: »Das Kind hatte ein asoziales Verhalten. Es war von seiner Privatschule verwiesen worden (was die Schule sogleich dementierte, H.L.) und hatte davor bei einem Wasserballspiel randaliert. Es war der Nachwuchs einer reichen Familie, das in Exárchia kein anständiges Teenagerverhalten an den Tag legte.« Der Anwalt der beiden der Tat beschuldigten Polizisten, Alexis Kougias, erklärte sogar ohne Scham, im krassen Gegensatz zu den zahlreichen Augenzeugen, sein Mandant habe in die Luft geschossen: »Schade, dass so viele Krawalle passieren. Das Ganze war ein Missverständnis … «
Nach solchen Provokationen konnte die Polizei mit keinem gesellschaftlichen Zuspruch rechnen. Erst nach drei Tagen begann langsam die Stimmungsmache gegen die Sachbeschädigungen und Plünderungen, und in den Medien kamen die Sittenwächter und Ladenbesitzer zu Wort. Inzwischen kehrte die Polizei zu ihren bekannten Methoden zurück: Massenverhaftungen und Prügelorgien gegen Demonstranten. Die Justiz kam ihrer Rolle als treuer Beistand der Polizei nach und schickte 15 Menschen in U-Haft, verhängte in Eilverfahren Strafen bis zu 18 Monaten, für Ausländer anschließende Abschiebung, nur weil sie zum Beispiel aus zerstörten Läden ein Handy oder einen Akku geklaut haben sollen. Viele Minderjährige wurden unter die Aufsicht von Sozialarbeitern gestellt. Die Justiz will sie bei­spielhaft bestrafen, damit keine Generation von Rebellen entsteht; allerdings wohl zu spät – sie sind diejenigen, die den Erwachsenen eine Lektion erteilt haben.