Interview mit Victor Nzuzi über die Lage der Kleinbauern im Kongo

»Kongolesische Bauern brauchen keinen Biodiesel«

Während Unternehmen wie Siemens und Tele­funken Stromleitungen durch den Kongo ziehen, um Koltan zu fördern, das für die Herstellung von Handys gebraucht wird, haben die Bewohner der Dörfer unter den Stromleitungen kein elektrisches Licht. Vic­tor Nzuzi, Erdnussbauer aus dem Kongo, ist Vertreter von La Via Campesina, einem weltweiten Zusammenschluss von Kleinbauern, der unter anderem die Ausbeutung der Bodenschätze skandalisiert und sich für eine Landwirtschaft einsetzt, die die Er­nährung der lokalen Be­völkerung sichert.

Sie gehören einer Organisation an, die die Interessen von Kleinbauern vertritt. Wie viele Bauern organisieren sich in dieser Weise und was sind ihre Forderungen?

Meine Gruppe im Kongo heißt »Groupe de réflexion pour promotion rurale« (GRAP ) und umfasst 800 Bauern in 32 Dörfern. Unsere zentrale Forderung ist die nach Land für Kleinbauern. Jules van Lanker, ein belgischer Agrarindustrieller, besetzt seit 1923 ein Großteil des Landes. So wird uns beispielsweise verboten, Schweine zu züchten, um seine Zucht nicht zu gefährden. Da­zu kommen andere internationale Konzerne, die das Land der Bauern dazu benutzen, Minen auszubeu­ten oder Öl zu fördern und Wald zu roden.
Weiterhin fordern wir die Regierung auf, Importe zu stoppen und stattdessen die Kleinbauern zu unterstützen. Die Importprodukte erschweren das Leben der Bauern. Hühner, Mehl und Reis werden aus Indien eingeführt, dabei sind die Bau­ern im Kongo dazu in der Lage, all diese Dinge selbst zu produzieren. Wir verlangen eine Agrarreform, denn die Gesetze über die Ausbeutung der Bodenschätze müssen auch die Situation der Bauern berücksichtigen.
Ein weiteres Problem stellt sich mit dem Biodiesel. Im Kongo gibt es Pläne, drei Millionen Hektar Wald abzuholzen, um darauf Jatropha zu pflanzen. Das Öl dieser Pflanze dient ausschließlich der Produktion von Biodiesel. Doch die kongolesischen Bauern brauchen keinen Biodiesel. Sie müssen Palmöl und Mais anbauen, um sich ernähren zu können.

Seit im August die Kämpfe im Kongo eskaliert sind, wird eine Verstärkung der UN-Truppe diskutiert, an der sich auch die EU stärker beteiligen soll. Sie kritisieren die europäische Politik. Sollten die Europäer beziehungsweise die ehemaligen Kolonialmächte sich aus dem Konflikt heraushalten?

Ich bin nicht damit einverstanden, dass die Uno ihre Truppen verstärkt, und lehne die der EU ab. Die Aufgabe des Militärs ist es zu kämpfen, und das Ziel einer Armee ist es, Menschen zu töten. Es gibt im Kongo schon jetzt viel zu viele Militärs. Die Armee von Präsident Kabila besteht aus 60 000 Soldaten, die Uno hat 17 000 im Kongo, die Rebellenarmee besteht aus 5 000, die FDLR (Force démocratique de libération du Rwanda), die nach dem Genozid auch im Kongo angekommen ist, hat 8 000 Soldaten, die Hutu-Milizen 3 000, und dann gibt es noch weitere kongolesische Milizen wie Pareco oder die Mai-Mai. Zudem stellt sich die Frage, warum es den Uno-Truppen nicht gelingt, die Zivilisten zu schützen. Jedes Mal, wenn sie etwa mit den Rebellen von Laurent Nkunda konfrontiert sind, verlassen sie ihre Posten und lassen die Rebellen vorrücken. Dabei besteht die Aufgabe der Uno-Truppen doch darin, genau das zu verhindern.

Wie bewerten Sie die UN-Mission Monuc?

Die Monuc ist in zahlreiche Skandale wie die Vergewaltigung von Mädchen und Frauen verwickelt, mehr als 140 Fälle sind bekannt. Die Monuc ist am Waffenschmuggel und am illegalen Handel mit Bodenschätzen beteiligt, lehnt aber eine öffentliche Untersuchung dieser Vorwürfe ab. Die Monuc weigert sich auch, über die Verletzung der Menschenrechte durch die kongolesische Regierung zu sprechen.
Der Konflikt wird uns als ein ethnischer Konflikt zwischen Hutu und Tutsi präsentiert. In Wirk­lichkeit hat man diese beiden Bevölkerungsgruppen auseinandergerissen; ein Ergebnis der Kolonial-Konferenz zur Aufteilung Afrikas in Berlin 1885. Dass heute Konflikte um die Territorialrechte zwischen Ruanda und Kongo bestehen, ist eine Konsequenz dieser Aufteilung Afrikas. Heute gibt ein Land wie Frankreich vor, Lösungen parat zu haben. Dabei ist klar, dass Frankreich beim Genozid den Dirigenten Ruandas Unterstützung zukommen ließ. Und es war Frankreich, das den Diktator Mobutu aufforderte, die Flüchtlinge aus Ruanda im Kongo aufzunehmen, die heute ein Teil der Rebellenarmee und des Konfliktes im Kongo sind.

Im Kriegsgebiet des Ost-Kongo sind viele Rohstoffschürfer Zwangsarbeiter. Diese faktische Versklavung kann als Kriegsverbrechen gewertet werden. Die Rolle der transnationalen Konzerne ähnelt der Rolle Charles Taylors in Sierra Leone, dem liberianischen Warlord und Präsidenten, der in Den Haag vor Gericht steht, weil er eine Bür­gerkriegspartei im Tausch gegen Diamanten unterstützt hat. Es gibt verstärkte Ansätze der in­ternationalen Justiz, solche Verbrechen zu verfolgen. Halten Sie das im Kongo für sinnvoll?

Das Koltan aus dem Kongo wird offiziell in der ruandischen Hauptstadt Kigali verkauft. An dem Geschäft sind westliche Unternehmen beteiligt. Das wird auch in den drei Berichten der Uno aus den Jahren 2001, 2003 und 2008 über den Ressourcenraub festgestellt. Dort werden auch deutsche Firmen genannt, die in Ruanda aktiv sind. Dennoch werden diese Wirtschaftskriminellen nicht verfolgt. Anders als im Irak, der zum Beispiel Kuwait und die Arabischen Emirate für den Krieg von 1990 entschädigen musste, will niemand dem Kongo in dieser Frage helfen. Die inter­nationale Justiz verfolgt nur selten einflussreiche Unternehmer aus dem Westen.
Im Kongo gibt es mehr als 400 000 Minen­ar­bei­ter. Der Staat vergibt alle Schürfrechte und Rechte zum Abbau der Bodenschätze an industrielle Großunternehmen. Die kleinen Minenbesitzer wer­den verjagt und manchmal umgebracht. Mit dem Programm der Weltbank zur Privatisierung der Minengesellschaften des Kongo wurden mehr als 15 000 Arbeiter der staatlichen Minengesellschaft Gecamine in den Vorruhestand gezwungen.

Die Kampagne gegen »Blutdiamanten« hat zu einigen Änderungen geführt. Unter anderem gibt es die Verpflichtung, die Herkunft von Diamanten anzugeben, das bedeutet nachzuweisen, dass sie nicht aus Bürgerkriegsgebieten stammen. Kritiker halten diese Änderungen jedoch für unzureichend. Was erwarten Sie von der Solidaritätsbewegung?

Viele Telekommunikationsunternehmen kommen aus Europa und den USA. Sie sind tief verwickelt in das Geschäft mit dem Koltan, das in jedem un­serer Handys oder Computer ist. Sie sind am Raub der kongolesischen Bodenschätze beteiligt. Muss das nicht angeklagt werden? Muss man weiter mit Deutschland, England, den USA und anderen kooperieren, die die Macht von Paul Kagame, dem ruandischen Präsidenten, unterstützen?
Deutsche Firmen müssen von der Solidaritätsbewegung zur Rechenschaft gezogen werden. Sie müssen gezwungen werden, öffentlich zu machen, woher sie ihre Rohstoffe und Bodenschätze bekommen, und offen darlegen, woher sie ihre Gewinne und Profite beziehen. Auch sollte die Zu­sammenarbeit dieser Unternehmen mit den Tran­sitländern der Kriegsbodenschätze wie Ruanda, Uganda und auch Tansania, Sambia und Südafrika offen gelegt werden. Es wäre sinnvoll, in Schulen Projekte zu starten. So könnte man schon Kindern und Jugendlichen erklären, wie ihre Mobiltelefone und Computer- und Video­spiele mit der Ausbeutung der Menschen in den Koltan-Minen und den Blutmineralien im Kongo zusam­menhängen.

Was können die afrikanischen Staaten tun, um sich gegen die Ausbeutung zu wehren?

Die Afrikaner und Afrikanerinnen müssen sich fragen, warum ihnen das europäische Entwicklungsmodell als das einzig Wahre verkauft wird. Die afrikanischen Länder werden dazu aufgefordert, ihre Industrien zu privatisieren. Es wird ihnen quasi verboten, selber über ihre National­ökonomie zu bestimmen. Dabei kann man doch angesichts der Wirtschaftskrise beobachten, wie Europa und die USA ihre Banken und Ökonomien schützen, während die afrikanischen Länder ausverkauft und die Bewohner aller ihrer natürlichen Ressourcen beraubt werden. Europa sichert seine Grenzen durch Zölle und andere Hindernisse, damit die eigene Industrie und Wirtschaft nicht von anderen übernommen wird, während die afrikanischen Staaten jeden reinlassen sollen. Damit muss Schluss sein.