Konsumgutscheine und Pendlerpauschale

Nur nichts verschenken

Ehrliche Arbeit allein darf belohnt werden, deshalb wollen die Deutschen keine Konsumgutscheine. Dafür gibt es die Pendlerpauschale wieder. Das nützt vor allem den Besserverdienenden.

Während am anderen Ende der Welt die australische Regierung Anfang Dezember auf die Konten bedürftiger Familien je Kind 510 Euro überwies, um die Nachfrage zu stützen, führte hierzulande der Vorschlag, Barschecks auszustellen, nur zu aufgeregten Diskussionen. Obwohl internationale Organisationen wie die OECD oder die EU-Kommission dieser Möglichkeit der Konjunkturförderung zustimmen, weil sie sich im Vergleich zu anderen Investitionen schneller auf die Nachfrage auswirkt, war in der deutschen Diskussion die Grenze zwischen Befürwortern und Gegnern unübersichtlich: Der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), der sonst nicht unbedingt Ausgaben genehmigt, war dafür, Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) dagegen.
Auch die wenigen verbliebenen Wirtschafts­professoren, die sich am Keynesianismus orientieren, konnten sich nicht einigen: Der im »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« sitzende »Wirtschaftsweise« Peter Bofinger sprach sich mit einem eigenen Vorschlag für Konsumgutscheine aus, während Rudolf Hickel, der unter anderem im wissenschaftlichen Beirat von Attac sitzt, vor der »verpuffenden« Wirkung warnte.

Die bürgerlichen Klassenkämpfer, vom Bundesverband der Deutschen Industrie über die FDP bis zur CDU, waren sich in ihrer Ablehnung jedoch einig. Der Grund ist klar: Die Barschecks kämen sogar den Hartz-IV-Empfängern zu Gute, würden aber langfristig durch Steuern, also maßgeblich von den Besserverdienenden finanziert. Um dies zu verhindern, wurde auch der Appell an den nationalen Egoismus bemüht. Volker Kauder, der sich als »Global Chief Economist« der CDU be­zeich­net, lehnt die Konsumschecks ab, weil sie ohnehin nur einmal ausgegeben werden können und »das Geld dann weg ist«. Deutsche könnten mit ihnen zudem Güter kaufen, »die gar nicht in Deutschland produziert werden«.
Selbst angesichts der Krise bleibt Kauder unerschütterlich und hält an seinem Kleingartennationalismus fest. Dabei muss ihm aber entgan­gen sein, dass durch die Steuerschecks und Konjunkturprogramme in anderen Ländern auch die eine oder andere Ware »Made in Germany« verkauft wurde. Aber überhaupt sei doch alles gar nicht so schlimm, behaupten manche in der CDU. Obwohl eine Fabrik nach der anderen für Monate schließt, die Kurzarbeit sich im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht hat und schon massenhaft Leiharbeiter entlassen wurden, verkündete Roland Koch angesichts der optimistischen Meldungen zum Weihnachtsgeschäft: »Die Situation in Deutschland ist günstiger als anderswo.«
Dabei hätten sich die Bürgerlichen gar nicht so viel Mühe geben müssen, denn in Deutschland ist der Glaube tief verwurzelt, dass etwas nur dann hilft, wenn es weh tut und man sich plagen muss. Ein Geschenk in Form von Konsumgutscheinen, das man sich nicht durch »ehrliche Arbeit« verdient hat, stößt deshalb beim auf Entbehrung getrimmten und sie freudig hinnehmenden Bürger auf Misstrauen. Einer Umfrage des Stern zufolge lehnen 78 Prozent der Befragten die Konsumgutscheine ab. So erklärt sich vielleicht auch, warum in Deutschland nach der jüngs­ten OECD-Untersuchung die Ungleichheit der Einkommen und die Armut im internationalen Vergleich am stärksten zugenommen haben.
Auch wenn die Bevölkerung in Deutschland also keinen Ärger macht, geht die Ratlosigkeit im Kanzleramt um. Die Möglichkeiten der Geldpolitik sind ausgeschöpft, ein »Rettungsschirm« über das Finanzsystem ist »aufgespannt«, und sogar ein kleines Konjunkturprogramm wurde – wenn auch widerwillig – verabschiedet. Trotzdem wird es immer düsterer: Die gegenwärtige Industrieproduktion bricht ein, ebenso ergeht es den Wachstumsprognosen für das nächste Jahr. Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, hält sogar ein Schrumpfen von vier Prozent für möglich.
Von weiteren staatlichen Ausgaben wollen die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister trotz­dem nichts wissen. Sie halten eisern an den Argumenten aus vergangenen Zeiten fest und zetern über Regierungen, die sich anders verhalten. »Dieselben Leute, die sich immer gegen Finanzierung durch Staatsverschuldung gewehrt haben, werfen nun mit Milliarden um sich«, sagte Steinbrück in der vergangenen Woche und meinte vor allem den britischen Premierminister Gordon Brown. Doch welche Politik zur Krisenbekämpfung bleibt der Bundesregierung ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge überhaupt noch übrig?

Als vorläufige Rettung wurde die Niederlage der Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) in der vergangenen Woche gefeiert. Die Rich­ter erklärten die Streichung der Pendlerpauschale für die ersten 20 Kilometer für unrechtmäßig. Der Grund der Regierung für die Einführung dieser willkürlichen Grenze war, dass die so gesparten 2,5 Milliarden Euro im Jahr als notwendiger Beitrag für die häufig beschworene Haushaltskonso­lidierung betrachtet wurden.
Nun muss also das Geld für die Jahre 2007 und 2008 zurückgezahlt werden, wovon ungefähr jeder siebte Beschäftigte profitiert. Für manche ist so aus einem dilettantischen Gesetz, das vom BVG für verfassungswidrig erklärt wurde, ein angeblich »zielgenaues Konjunkturprogramm« geworden. Eigentlich wollte man ein solches zwar nicht, aber auf einmal ist es »absolut wichtig, dass wir das Geld angesichts der Wirtschaftslage jetzt den Menschen direkt zurückgeben« und es dadurch zu einem »Schub für Deutschland kommt«, wie Merkel befand.
Bei »den Menschen« handelt es sich aber vor allem um Personen mit einem Einkommen über 60 000 Euro im Jahr. Sie bekommen bis 585 Euro zurück, während diejenigen mit einem niedrigen Einkommen von unter 20 000 Euro je nach Arbeitsweg höchstens 273 Euro erhalten. Wer so we­nig verdient, dass er keine Steuern bezahlt, oder wer keine Arbeit hat, bekommt ohnehin nichts. Dass so die soziale Hackordnung eingehalten wird, finden die deutschen Bürger zwar gut. Zur Steigerung der Nachfrage wäre es aber effektiver, wenn diejenigen, die niedrige Einkommen beziehen, mehr erhalten, da sie davon mehr ausgeben. Das gilt in der Wirtschaftswissenschaft als empirisch bewiesen und ist unumstritten.
Inzwischen setzt sich in den USA bereits die Erkenntnis durch, dass die wachsenden Einkommensunterschiede auch zu der Krise beigetragen haben. Während den Geringverdienern das Geld für den Konsum fehlte, steckten die Besserverdienenden ihr Geld zunehmend in Aktien und förderten deren Preisanstieg. Selbst konservative Ökonomen sprechen sich in den USA deshalb inzwischen für eine stärkere progressive Besteuerung aus, ein Wandel, von dem die deutsche Politik weit entfernt ist.

Daran wird auch das geplante Konjunkturprogramm II nichts ändern, das Informationen der Wirtschaftswoche zufolge von Merkel kurz nach der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten aus taktischen Gründen auf den Weg gebracht werden soll. Denn wenn Barack Obama sein »One Billion Dollar«-Programm verkünden sollte, wäre die deutsche Politik nicht mehr aufrecht­zuerhalten.
Der größte Teil der Entlastung soll aber in Form von Steuergeschenken gemäß der alten Ideologie dauerhaft an die deutschen Besserverdienenden gehen. Damit würden staatliche Einnahmen und Leistungen zukünftig noch weiter verringert, denn ein automatischer Schuldenabbau soll ebenfalls stattfinden. Ein Almosen könnte es aber auch noch geben: So sollen Arme angeblich eine »Einmalzahlung« erhalten.