Sterne geben und nehmen

Es gibt einen Beruf, den es vermutlich gar nicht wirklich gibt. Niemand kennt jemanden, der ihn ausübt. Niemand kennt jemanden, der jemanden kennt, der ihn ausübt. Und niemand kennt jemanden, der auch nur von jemandem gehört hat, der ihn ausübt. Jede seriöse Studie zu diesem Phänomen müsste zu dem Ergebnis kommen, dass ganze Bevölkerungen lediglich annehmen, es gebe jenen Beruf, weil er Gegenstand beliebter Filmkomödien ist. Und weil jeder schon mal davon geträumt hat, ihn selbst auszuüben.
Jene Branche, die eigentlich nicht existiert, versucht regelmäßig, mit der Herausgabe von Broschüren ihr Dasein vorzugaukeln. Die Guides Michelin kann man kaufen, und es ist davon auszugehen, dass sie von Menschenhand produziert werden. Nicht hinreichend bewiesen ist es jedoch, dass ganze Stäbe von Test­essern – heutzutage »Gourmetkritiker« genannt – incognito durch die Lande ziehen und sich täglich einige Mehr-Gänge-Menüs in den edelsten Restaurants einverleiben.
Als Mächtigste der europäischen Branche, die nicht existiert, gilt neuerdings Juliane Caspar, eine 38jährige Bochumerin, die sich innerhalb von sechs Jahren von der kleinen Testesserin zur Chefin des Guide Michelin France hochgefuttert haben soll. Eine Deutsche an dieser Stelle in Paris und eine Frau an der Spitze einer Branche, die, gäbe es sie, zweifellos von männlichen Wichtigtuern dominiert würde – die will man natürlich sehen! Geht aber nicht. Juliane Caspars Gesicht darf nicht in der Presse erscheinen, angeblich weil sie dann künftig in den Schlemmerstuben erkannt würde.
Tatsächlich würden natürlich bloß alle merken, dass es Caspar und die »Gourmetkritiker« gar nicht gibt. Denn bei den Guides Michelin handelt es sich lediglich um einen perfiden Trick der Reifenherstellerlobby, deren Ziel es ist, dass Menschen, lechzend nach kulinarischen Hochgenüssen, ihre Reifenprofile auf dem Weg von einem Drei-Sterne-Restaurant zum anderen möglichst schnell abfahren und neue kaufen müssen.