Die Krise der »Big Three« in den USA

Sweet Home Alabama

Die US-Autokonzerne benötigen staatliche Hilfe. Republikaner nutzen die Chance für eine Offensive gegen die Gewerkschaften.

Verglichen mit dem Betrag, der für die Rettung der Finanzbranche zur Verfügung gestellt wird, ist die Forderung der Autoindustrie bescheiden. 14 Milliarden Dollar Soforthilfe benötigen General Motors und Chrysler, sonst droht dem Management zufolge die Insolvenz noch in diesem Jahr. Bei Ford sind die Finanzprobleme nicht so akut, doch wie die anderen beiden der »Big Three« in Detroit, Michigan, verkauft das Unternehmen nicht mehr genug, überdies betrifft die Finanzkrise auch die Kredite für den Autokauf.
Die Krise der »Big Three« hat bereits die Autohändler und viele Lieferfirmen erfasst. In den kommenden Wochen droht der Verlust von Zehn­tausenden Arbeitsplätzen. Bricht die Industrie vollends zusammen, könnten weltweit bis zu fünf Millionen Lohnabhängige ihre Jobs verlieren. In den USA, wo in diesem Jahr etwa zwei Millionen Arbeitsplätze verschwanden, befürchten viele Analytiker, dass bei einem Zusammenbruch der Autokonzerne eine Depression kaum noch aufzuhalten wäre.
Richard Shelby, einen Senator aus Alabama, be­eindrucken solche Warnungen offenbar nicht: »Es ist dumm, Geld in ein Rattenloch in Michigan zu werfen.« Gemeinsam mit anderen republi­kanischen Senatoren blockierte er in der vergangenen Woche das Rettungspaket für die Autokonzerne. Beliebt machte er sich damit nicht, Joe Babiasz, ein pensionierter GM-Arbeiter, startete sogar eine Website, die zum Boykott Alabamas aufruft und umgehend populär wurde.

Wohl wegen des großen öffentlichen Drucks und weil er nicht auch noch als der Präsident in die Geschichte eingehen will, der den Zusammenbruch der Autoindustrie zu verantworten hat, kündigte George W. Bush an, die geforderte Hilfszahlung von den 700 Milliarden Dollar abzuzweigen, die für die Rettung der Finanzbranche vorgesehen sind. Aus der ersten Marge von 350 Milliarden Dollar sind noch 15 Milliarden zu vergeben, die Entscheidung über die Soforthilfe, eine Mischung aus Krediten, Bürgschaften und Zuschüssen, könnte in dieser Woche fallen.
Für weitere Zahlungen bedürfte es jedoch der Zustimmung des Kongresses, die vor dem Ablauf der Legislaturperiode Ende Dezember nicht zu er­warten ist. Die Autokonzerne bräuchten mehr Geld, um der Insolvenz zu entgehen, und die Demokraten im Kongress kündigten bereits an, im Januar neue Verhandlungen führen zu wollen.
Für die unpopuläre und ökonomisch riskante Entscheidung der meisten republikanischen Kon­gressabgeordneten, einer Schlüsselindustrie die Hilfe zu verweigern, gibt es ideologische Gründe. Die Gesetze des freien Marktes sollen un­gehindert walten, ungeachtet der sozialen und wirtschaft­lichen Folgen. Die Mehrheit der repu­blikanischen Abgeordneten lehnte auch das Rettungsprogramm für die Finanzbranche ab, das erst bei der zweiten Abstimmung vom Kongress beschlossen wurde. Die Finanzhilfe für die Autoindustrie passierte das Repräsentantenhaus, im Senat konnten die Republikaner jedoch die Verabschiedung verhindern.

Am eifrigsten betätigten sich dabei Senatoren aus den Südstaaten. Die traditionelle Autoindustrie hat ihr Zentrum in Detroit, die Produktionsstätten der US-Hersteller liegen in den nordöstlichen Bundesstaaten Michigan, Ohio, Indiana und Penn­sylvania. Ein zweites Zentrum hat sich in den Südstaaten, vor allem in Kentucky, Tennessee, Alabama und South Carolina, entwickelt. Dort siedelten sich in den vergangenen 20 Jahren ausländischen Autohersteller an, neben japanischen Unternehmen wie Toyota auch die deutschen Kon­zerne Daimler, BMW und VW.
Die Republikaner sind derzeit vor allem eine Partei des Südens und des Bibelgürtels im Mittleren Westen. Ihre Repräsentanten wettern gegen die Rettung der Big Three aus dem Norden, um die Interessen der in ihren Staaten angesiedelten Konzerne zu schützen. Schließlich füllen diese Unternehmen ihre Wahlkampfkassen.
Doch es geht nicht nur um den Standort. Die Südstaaten sind »Right to Work«-Staaten, ein etwas irreführender Begriff, denn es geht nicht um das Recht auf Arbeit. Vielmehr wird dort der Aufbau einer gewerkschaftlichen Präsenz rechtlich so gut wie unmöglich gemacht. Deshalb gibt es bei den Autoherstellern im Süden keine gewerkschaftliche Vertretung, während die meisten Lohn­abhängigen im Norden Mitglieder der United Auto Workers (UAW) sind.
Die Krise der Big Three ist zum Teil auf das Unvermögen des Managements zurückzuführen, Fahrzeuge mit geringerem Benzinverbrauch zu entwicklen. Doch auch Daimler und BMW bauen keine Öko-Autos. Sie profitieren von den gerin­geren Löhnen im Süden. Die UAW erkämpfte in Jahrzehnten relativ hohe Löhne und betriebliche Sozialleistungen. Vor allem die Folgekosten für die Renten und die Krankenversicherung belasten die Big Three. Die UAW war in den vergangenen Jahren sehr kompromissbereit, sie stimmte Lohnsenkungen zu und übernahm, ausgestattet mit einem knappen Kapitalfonds, die Zahlung der Sozialleistungen. Doch weiterhin kosten die Arbeitskräfte bei diesen Unternehmen zwischen zehn und 20 Prozent mehr als bei den Autofirmen im Süden.

Überdies geht es den Republikanern ums Prinzip. Sie erwarten, dass der nächste Kongress die gewerkschaftlichen Rechte stärken wird, und führen nun einen Präventivschlag. Dies wird in einem vor der Abstimmung unter Republikanern zirkulierenden Memorandum deutlich, das inzwischen an die Öffentlichkeit gelangt ist. »Seepocken, die sich am Nacken der Industrie festgesetzt haben«, nannte Senator Jim DeMint aus South Carolina (BMW) die Gewerkschaften. In letzter Minute versuchte Senator Bob Corker aus Tennessee (VW) am Donnerstag voriger Woche vergeblich, im Rettungspaket festzuschreiben, dass das Lohnniveau der gewerkschaftlich organisierten Belegschaften im Norden dem im Süden angeglichen werden soll. Senator Shelby aus Alabama (Daimler) empfahl den Konzernen im Norden den Gang zum Insolvenzrichter. Das Konkursrecht gestattet dem Richter, bestehende Tarifverträge aufzuheben.
Sollten die Big Three tatsächlich Konkurs anmel­den müssen, würde die Pleite von GM wohl auch die Konzerntochter Opel in den Abgrund reißen. In der deutschen Debatte um Finanzhilfen für Opel wird auf einer »nationalen Lösung« bestanden. Offenbar erscheint nichts schlimmer als die Vorstellung, das Geld könne auch GM zugute kommen. Während Ressentiments gegen »die Ame­rikaner« gepflegt werden und auch Konzern­chefs gerne von einer »sozialen« Marktwirtschaft sprechen, die es gegen die angelsächsiche Gier zu verteidigen gelte, bleibt unerwähnt, dass deutsche Unternehmen zu den Hauptprofiteuren der gewerkschaftsfeindlichen Politik in den Südstaaten der USA gehören. Ihre Lobbyisten haben zweifellos Einfluss auf die Senatoren, und die deutschen »Großen Drei« dürften nicht unglücklich sein, wenn die US-Konkurrenz bankrott geht und sie, ungestört von lästigen Gewerkschaften, ihren Marktanteil erhöhen können.