Drogenpolitik in den Niederlanden

Aus der Rausch

Kifftouristen sind in den Niederlanden nicht besonders beliebt. Vor allem die Städ­te, die nahe der Grenze liegen, beklagen, sie würden von deutschen, belgischen oder französischen Kiffern überrannt. Zwei Gemeinden haben bereits angekündigt, ihre Coffeeshops zu schließen. Die früher tolerante niederländische Drogenpolitik wird seit Jahren verschärft.

»Wenn die Welt dir nicht gefällt, was hilft dir? Haschisch aus Amsterdam« – diese Abwandlung des Klassikers »Tulips from Amsterdam« drückte für Generationen das romantisch verklärte Bild des Kifferparadieses Niederlande aus. Wenn es nach Henk van de Bunt geht, ist damit bald Schluss. Bereits 2010, so prognostizierte der Kriminologe der Erasmus-Universität Rotterdam im November, soll es in den Niederlanden keinen Coffeeshop mehr geben. Das zugehörige Konzept zum Coffeeshop ist die in den Niederlanden 1976 eingeführ­te »Duldungspolitik«, die zwischen illegalen »harten« und tolerierten »weichen« Drogen unterscheidet. Die Verbindungen zwischen Cannabismarkt und organisierter Kriminalität seien mitt­lerweile so deutlich, argumentiert van de Bunt, dass dieses Modell seine Glaubwürdigkeit verloren habe. »Die Duldungspolitik«, so sein Fazit, »ist nicht mehr zu rechtfertigen.«
So drastisch van de Bunts Schlussfolgerungen klingen, aus der Luft gegriffen sind sie nicht. In den Niederlanden steht die liberale Drogenpolitik seit Jahren in der Kritik. Ursache ist ein Konstruk­tionsfehler, dessen Dimension in den siebziger Jahren noch nicht absehbar war. Lediglich der Konsum und Verkauf geringer Cannabis-Mengen werden von der Justiz nicht verfolgt. Die Zucht von Hanfpflanzen sowie der Ankauf ihrer Produk­te durch die Coffeeshops blieben dagegen illegal.

Dieser Widerspruch ist seit langem Anlass für Dis­kussionen und sorgt dafür, dass die Belieferung der Coffeeshops oft von der organisierten Kriminalität übernommen wird. Progressive Kräfte fordern daher eine konsequentere Liberalisierung, die auch die Ankäufe der Coffeeshops mit einschließt. Eine legalisierte Produktion unter kommunaler Aufsicht soll nach dieser Auffassung dem Schwarzmarkt den Boden entziehen. Durch diese Korrekturen will man an der Duldungspolitik festhalten, deren prinzipielle Wirksamkeit statistisch untermauert wird: Schließlich ist die Zahl der niederländischen Cannabiskonsumenten im europäischen Vergleich relativ niedrig.
Die Vertreter einer konservativen Strömung, die sich im gesellschaftlichen Diskurs mehr und mehr durchsetzen, unterstreichen die Verbindung zwischen Coffeeshops und organisierter Kriminalität und sehen dadurch bestätigt, was sie ohnehin wissen: Drogen sind des Teufels, und jegliche Differenzierung ist abwegig. Mit den Christdemokraten unterstützt die größte Partei des Landes diesen Ansatz ebenso wie die fundamentalistische Christenunion. Die Sozialdemokraten halten dagegen am Duldungsmodell fest.

Als Kompromiss können die einzelnen Gemeinden daher die Schließung von Coffeeshops verfügen, die unter einem selbst definierten Mindestabstand zu Schulen liegen. Zuletzt verkündete die Amsterdamer Stadtregierung aus diesem Grund das Aus für über 40 Lokale, Rotterdam will im neu­en Jahr 27 dicht machen. Damit setzt sich die Ent­wick­lung des vergangenen Jahrzehnts fort: Die Zahl der Coffeeshops im Land ist dabei von knapp 1 400 auf rund 700 geschrumpft.
Als die Duldungspolitik eingeführt wurde, rich­te­te sich das Konzept auf die Versorgung der einheimischen Raucher, die damals noch eine alternative Nische der Gesellschaft bewohnten. Der­zeit sorgt vor allem die stetig steigende Nachfrage aus den Nachbarländern dafür, dass es als Problem wahrgenommen wird, wenn der Verkauf ge­duldet wird, aber der Einkauf nicht. Am sichtbarsten wird dies keinesfalls in Amsterdam mit sei­ner Infrastruktur für Kifftouristen, sondern in den Grenzstädten. Bereits im Frühjahr wurde der größte Coffeeshop des Landes im seeländischen Terneuzen geschlossen – er hatte den Höchst­vor­rat von 500 Gramm um das Neunfache überschritten.
Auch Maastricht, mit einem Jahresumsatz von rund 8 000 Kilogramm, war zuletzt in den Schlag­zeilen. Das Phänomen der drug runners ist im Drei­ländereck besonders präsent. Es handelt sich dabei um Leute, die von Dealern dafür bezahlt werden, dass sie Touristen zu den Orten führen, an de­nen Drogen verkauft werden. Sie passen an stra­tegischen Verkehrspunkten Autos mit ausländischen Kennzeichen ab und drängen sie mit aggres­sivem Fahrstil zu Verkaufsplätzen, an denen längst nicht nur Cannabis erhältlich ist. In Maast­richt besteht eine Allianz zwischen Betreibern von Coffeeshops und der Stadtverwaltung. Der christ­demo­kratische Bürgermeister Gerd Leers ist einer der prominentesten Befürworter einer – wenn auch streng kontrollierten – vollständigen Legalisierung. »Er hat einen sehr realistischen, prag­ma­ti­schen Ansatz. Leider hört er Ende des Jah­res auf«, lobt ihn Marc Josemans, Vorsitzender des örtlichen Coffeeshopverbands. Gemeinsam ver­folgen sie ein Projekt, das einige der Coffeeshops an zwei oder drei strategischen Punkten am Rand des Stadt­ge­biets ansiedeln will, um das Zentrum zu entlasten.
Eine solche Kooperation scheint undenkbar in den Grenzstädten Bergen op Zoom und Roo­sen­daal, wo man die gleichen Probleme beklagt wie in Maastricht. Rund 25 000 Drogentouristen pro Woche aus dem nahen Belgien und Frankreich führten die Stadtverwaltungen an, um im Oktober eine spektakuläre Maßnahme anzukündigen. »So schnell wie möglich« sollen alle Cof­fee­shops im Stadtgebiet geschlossen werden. »Ich bin eigentlich der Meinung, dass leichte Dro­gen legalisiert gehören«, gibt Bergens Bürgermeister Han Polman von der linksliberalen D 66 zu. »Aber es ist zu viel geworden. Daher werden wir zunächst die Höchstmenge pro Kunde von fünf auf zwei Gramm und den Vorrat der Coffeeshops auf 300 Gramm senken und dann eine vollständige Schließung anstreben.«
Jamal, Inhaber des »Liberty II« in Roosendaal, hält jedenfalls wenig von diesen Plänen. »Dadurch werden nur Straßendealer ermutigt, die dann in Bars und Clubs ziehen.« Auch Gerd Leers erwar­tet eine räumliche Verlagerung des Problems auf die umliegenden Städte – aber nicht, dass da­durch nur ein einziger Joint weniger geraucht wird.

In der Praxis hat diese Entwicklung bereits eingesetzt. Stammkunden wie der Brüsseler Maxime, der seit vier Jahren wöchentlich nach Bergen op Zoom kommt, will nach Maastricht ausweichen, wenn die Stadt ihre Pläne realisiert – »obwohl es dort teurer ist und man weiter fahren muss«. Daneben zeichnet sich ein weiteres drogen­touristisches Phänomen ab: Die internationalen Medien, die über die unsichere Zukunft der Duldungspolitik berichten, sorgen für einen kurzfristigen Boom. »Seit es in der Zeitung stand, ist es noch voller«, beschwert sich ein ohnehin genervter Anwohner in Roosendaal. Und Sulina, ein junger Malteser, der zum ersten Mal in Am­sterdam ist, gibt unumwunden zu, was ihn ge­lockt hat: »Die Fahrräder, das alternative Flair, aber in erster Linie natürlich die Drogen. Ich habe auf einer Website gelesen, dass sie alles schließen wollen. Da dachte ich, das muss ich zumindest er­lebt haben.«