Die italienische Studentenbewegung

Nach uns die Sintflut

Nach medienwirksamen Protesten diskutiert die italienische Schüler- und Studentenbewegung über Inhalte. Der Aufstand in Griechenland hat der italienischen Bewegung keine neuen Impulse gegeben. Die Mög­lichkeiten, den Konflikt auszuweiten, bleiben begrenzt.

Alle redeten vom Wetter. Internationale Kamerateams beobachteten den raschen Anstieg der Flutwelle. Doch bevor es kritisch wurde, war der Scheitelpunkt erreicht, der Rückfluss setzte ein. Obwohl der Name der italienischen Schüler- und Studentenbewegung von Anfang an zur Verwendung von Naturmetaphern eingeladen hatte, galten die aufgeregten Wasserstandsmeldungen ver­gangene Woche nicht der Protestwelle der Onda Anomala (Jungle World, 47/08), sondern dem Hochwasser des Tiber.

Doch auch der Protest der Studenten schlägt keine großen Wellen mehr, wie auch die Reaktionen auf die Erschießung des Schülers Alexandros Grigoropoulos in Athen zeigten. Die italienische Schüler- und Studentenbewegung beschränkte sich darauf, Aufrufe der griechischen Studenten auf den eigenen Internetseiten zu posten und zum Zeichen der Solidarität die Nationalflagge Griechenlands zu hissen. Die Proteste vor den grie­chischen Konsulaten in Palermo, Ancona, Bologna und Turin wurden in der Mehrzahl nicht von Studenten, sondern von Gruppen aus den Centri Sociali organisiert. In Rom beteiligten sich an einem Sit-in vor der griechischen Botschaft auch Anhänger der beiden kommunistischen Parteien sowie der Metallgewerkschaft Fiom. Während der Demonstrationen wurden Feuerwerkskörper gezündet, Nebelkerzen geworfen und es wurde rote Farbe verschüttet. In Bologna trafen Farbbeutel die Hauswand des griechischen Konsulats. Dagegen brannten in Rom zum Abschluss der Pro­testkundgebung ein paar Mülltonnen, es kam zu einer Rangelei mit den zur Bewachung der diplomatischen Gebäude abgestellten Polizeieinheiten. Eine Agenturmeldung, wonach sich Studen­ten von dieser »gewalttätigen Aktion« distanziert hätten, löste auf den römischen Indymedia-Seiten wütende Reaktionen aus, wurde aber nicht dementiert.
Anlässlich des von der linken Einheitsgewerkschaft Cigl für den 12. Dezember angekündigten Generalstreiks hätte der Protest eigentlich noch einmal anschwellen und den Schwung der vorausgegangenen Demonstrationen in die Arbeiter­bewegung hineintragen sollen. Die Onda wollte mit ihrer Beteiligung am Gewerkschaftsstreik nicht einfach nur Solidarität bezeugen oder eine Einheit zwischen Studenten- und Arbeiterschaft heraufbeschwören, sondern aufgrund vergleichbarer Lebens- und Arbeitsbedingungen eine »Allianz« begründen. Die gemeinsame Erfahrung von Prekarität sollte nicht zur Vereinheitlichung der Kämpfe, wohl aber zur gemeinsamen Ausweitung des Konflikts beitragen. Doch die sintflutartigen Regenfälle, die ganz Italien heimsuchten, verhinderten eine Massenproteste. Die gewaltigen Kräfte der Natur drängten die sozialen Kräfte zurück. Nach­dem in Rom Katastrophenalarm ausgelöst worden war, sagten die Gewerkschaften den Streik im öffentlichen Nahverkehr ab. Damit verzichteten sie auf ihr wichtigstes Kampfmittel. Obwohl einige Hundert Studenten dem Unwetter trotzten und einen Demonstrationszug bildeten, kam es nicht zum erhofften Zusammenschluss der Massen.
Just einen Tag vor dem Streik hatte die Kultusministerin Mariastella Gelmini angekündigt, die Regierung werde die umstrittene »Umstrukturierung« der Oberstufe um ein Jahr verschieben und an der besonders kritisierten Absicht, die Grundschulklassen künftig nur noch von einem einzigen Lehrer betreuen zu lassen, nicht länger festhalten. Die Einführung des »einzigen Lehrers« (Jungle World, 44/08) werde fakultativ sein, d.h. jede Schule könne in Absprache mit den Eltern über die Zusammensetzung des Lehrpersonals entscheiden. Die Opposition bejubelte die Ankün­digung der Ministerin als »Rückzug«. Francesco Raparelli, einer der selbsternannten Sprecher der römischen Studentenbewegung, sprach von einem »Sieg« der Protestbewegung, den es zu feiern gelte: »Wenn man etwas gewinnt, dann muss man sich freuen und anstoßen, und deshalb: Hoch die Tassen!«

Die Euphorie wird nicht von allen geteilt. Da die Ministerin gleichzeitig betonte, dass die vorgesehenen Etatkürzungen im Bildungshaushalt nicht rückgängig gemacht würden, besteht für die in der Bewegung engagierten Lehrerinnen und Lehrer kein Grund zum Feiern. Sie kündigten bereits an, im neuen Jahr ihren Protest fortzusetzen. Für die Studenten und Dozenten der Universitäten geht es dagegen darum, nach der Mobilisierung der Massen dem Protest eine neue Qualität zu geben. Die vermeintliche Dominanz der römischen Wortführer stößt inzwischen zunehmend auf Kritik. »Es kann nicht so weitergehen«, heißt es in einem Diskussionsbeitrag auf der Website ateneinrivolta.org, »dass allein die Universität La Sapienza die Agenda der Bewegung bestimmt.« Die Onda müsse, um erfolgreich sein zu können, zwar als Einheit auftreten, dürfe aber deshalb nicht auf die Vielseitigkeit ihrer Potenziale verzichten.
Von einem einheitlichen Auftreten der Protestierenden kann derzeit jedoch keine Rede sein, die Bewegung scheint sich vielmehr in unzählige kleine Ausläufer zu verlieren. An den einzelnen Fakultäten werden weiterhin besetzte Hörsäle ver­teidigt und verlängerte Öffnungszeiten der Institutsbibliotheken erkämpft, gemeinsame, über­regionale Aktionen, die den Protest noch einmal wachsen lassen könnten, sind dagegen nicht geplant. Dabei hatte die nationale Vollversammlung im November anspruchsvolle Absichten und hehre Ziele. Aus den Solidaritätsbekundungen aus verschiedenen europäischen Universitätsstädten sollte sich eine »europäische Protestwelle« entwickeln. Im Abschlussdokument des Workshops zum Thema »Ausbildung – Forschung – Arbeit« heißt es, da das Scheitern des »angelsächsischen Modells« europaweit zu konstatieren sei, müsse die Bewegung die Verantwortung übernehmen, einen wirklichen, gemeinsamen europäischen For­schungsraum schaffen, »nicht durch abstrakte Normierung, sondern mittels freier Zirkulation der Ideen und gemeinsamer Kämpfe«. Die Onda forderte deshalb die Einberufung einer europäischen Vollversammlung. Allerdings blieb diese Forderung, entgegen allen Beteuerungen, dann doch abstrakt. Inzwischen scheint sie sogar vergessen. Anlässlich der griechischen Revolte wurde sie jedenfalls nicht erneuert.