Serie über Serien: »Deadwood«

No Country For Good Men

Serie über Serien. Die Western-Serie »Deadwood« zeigt, wie das Recht aus der Gewalt entsteht.

Die neue Welt, 1876, nach der Schlacht am Little Big Horn. Der letzte große Goldrausch zieht Tausende in die Black Hills. In Camp Deadwood sammeln sich Goldgräber, Händler, Prostituierte und Saloon-Besitzer. Der Ort liegt unmittelbar hinter der frontier, jener mythisch auf­gelade­nen Grenze, die das zivilisierte Inland von den noch nicht kolonisierten Gebieten trennt. Die örtliche Ökonomie funktioniert: Tagsüber wird die Erde umgegraben, nach getaner Arbeit trägt man den Gewinn an die Pokertische und zu den Zuhältern. Aber es ist nicht nur das Gold, das die Glückssucher anzieht. Deadwood befindet sich auf exterritorialem Gebiet und wird von der amerikanischen Regierung nicht anerkannt. »Und das Beste ist: Es gibt weit und breit kein Gesetz«, wie der Bürgermeister und umtrie­bige Hotelbesitzer E. B. Farnum (William Sanderson), begeistert erklärt. Zwar gibt es in Dead­wood kein festgeschriebenes Gesetz, wohl aber gibt es eine Ordnung: Claim-Verkäufe werden per Handschlag besiegelt, und die chine­sische Com­munity kümmert sich um die Verfütterung der zahlreichen Leichen an die Schwei­ne.
In der HBO-Serie »Deadwood« treffen prominente Figuren des amerikanischen Mythenschatzes aufeinander. Wild Bill Hickok (Keith Carradine) versucht sein Glück beim Poker und wird vom Feigling Jack McCall erschossen. Ca­lamity Jane (Robin Weigert) stolpert als trauma­tisierte Ex-Soldatin durch die Szenerie. Seth Bullock (Timothy Olyphant) eröffnet einen Eisen­warenladen und wird zum ersten Sheriff des Camps. Der inoffizielle Regent von Deadwood ist der Saloon-Besitzer Al Swearengen (Ian Mc­Shane), der imaginäre Zwiegespräche mit einem abgeschlagenen Indianerkopf hält, den er in einer Kiste aufbewahrt. McShane spielt den unablässig fluchenden Patriarchen mit einer Intensität, die Tony Soprano aus HBOs gleich­nami­ger Post-Mafia-Erfolgsserie wie einen Ladendieb wirken lässt. Sowieso wird in »Deadwood« dermaßen hochfrequent mit Fäkalwörtern um sich geworfen, dass auch robusteren Zuschauern bald die Ohren klingeln.
Autor David Milch ist etwas sehr Seltenes gelungen: ein Western, der nicht mehr in erster Linie an seinen Helden interessiert ist, sondern von sozialen Konstellationen erzählt. Milch stellt das amerikanischste aller amerikanischen Genres vom Kopf auf die Füße. Die genretypische Spaltung zwischen Helden und Outlaws wird aufgehoben. Die lawmen müssen von Anfang an mit dem Zuhälter und Mörder Swearen­gen kooperieren, um die Regierung davon zu überzeugen, dass ihr Camp ein legitimes Gebilde ist. Das geht am besten, indem man von den Bürgern eine Art Steuer verlangt, die man als Bestechungsgeld an die ­entscheidenden Stel­len weiterleitet.
Wirklich finster aber wird es ab der zweiten ­Staffel. Der ­misanthropische Geschäftsmann George Hearst (Gerald ­McRaney) ­beginnt damit, sich die Goldvorkommen der Black Hills unter den Nagel zu reißen. Seine Strohmänner streuen Gerüchte, um so die Claim-Besitzer zum Verkauf zu drängen. Der Plan geht auf. Bald werden seine Arbeiter, die gerade damit begonnen hatten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, ermordet aufgefunden. Die Rigorosität, mit der die Serie das Bild des produktiven Unternehmers auseinandernimmt, ist beeindruckend.
»Deadwood« führt vor, wie der Kampf aller gegen alle von frühen Formen des Rechts struk­turiert wird. David Milch hat ein komplexes Geschichtskino geschaffen, das davon erzählt, wie Staatlichkeit und Recht aus der Gewalt entstehen – nicht primär, um die Gewalt einzudämmen, sondern um der Ausbeutung eine legitime Form zu geben.