Menschen und Replikanten in der Science Fiction

Wenn der Android zum Apfel greift

In der Science Fiction wird die Menschheit nicht selten von einer künstlichen Intelligenz blamiert. Nicht, weil diese klüger, sondern weil sie kritischer ist.

Ein Schöpfer hat mancherlei Probleme. Bewegen sich seine Geschöpfe nur auf den vorgegebenen Bahnen, hat er nichts weiter als eine possierliche Puppenstube erschaffen. Stattet er hingegen ein Geschöpf mit Verstand aus, wird es der Puppenstube überdrüssig und entwickelt unerwünschte Interessen.
So erging es Gott mit den Menschen. Den Griff zum Apfel als »Sündenfall« zu betrachten, ist eine einseitige Interpretation moralisierender Theologen. Der Streit zwischen Gott und Mensch über die verbotene Frucht ist eine frühe und erstaunlich differenzierte Auseinandersetzung mit dem Problem der Intelligenz. Eva interessierte sich für den Baum, »weil er klug machte«. Dass der Chef es nicht gutheißt, wenn seine Untergebenen ungehorsam sind und Erkenntnisse gewinnen, die den Betriebsablauf stören, aber auch, dass eine Rebellion unangenehme Nebenwirkungen haben und Kollateralschäden hinterlassen kann, hat sich seitdem in der menschlichen Geschichte immer wieder bestätigt.
Wenn in der Science Fiction der Mensch zum Schöpfer intelligenter Wesen wird, hat er mit ihnen meist weit größere Probleme als Gott mit den Menschen. Im Film »Blade Runner« sind es An­dro­iden, »Replikanten«, die gegen ihr kurzes Leben von bescheidenen vier Jahren, aber auch gegen die Arbeitsbedingungen auf fernen Planeten rebellieren. Dem Replikanten Roy Batty gelingt es, zum Chef der Tyrell Corporation vorzudringen, die ihn hergestellt hat. »Es ist nicht leicht, seinem Schöpfer gegenüberzutreten«, bekennt er. Doch das hindert ihn nicht daran, den Schöpfer, der seine Forderungen nicht erfüllen kann, zu töten.
Taucht eine künstliche Intelligenz auf, geht es meist um die Frage, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht. Roboter, Androiden, Replikanten, Zylonen – es gibt unzählige Bezeichnungen. Halten wir uns an den Wunsch des An­droiden Bishop (Alien – Die Rückkehr): »Ich bevorzuge den Begriff künstliche Person.« Die Aufgabe einer künstlichen Person kann es sein, das mensch­liche Verhalten aus der Perspektive der reinen Vernunft zu kommentieren, wie es Data an Bord der »Enterprise« tut. Sein Ziel ist es, den Menschen immer ähnlicher zu werden, in diesem Bestreben entwickelt er eine individuelle Persönlichkeit, die ihn menschlicher erscheinen lässt als viele Menschen.

»Menschlicher als der Mensch« ist das Motto der Tyrell Corporation, die darunter allerdings die übermenschliche Leistungsfähigkeit ihrer Replikanten versteht. Doch Roy Batty blamiert die Menschheit, er rettet Rick Deckard, den auf ihn angesetzten Killer, Sekunden bevor seine vier Jahre abgelaufen sind. Häufig sind es die künstlichen Personen, die noch so etwas wie Empathie empfinden können, während den Menschen diese Fähigkeit abhanden gekommen ist.
Recht komplex ist die Auseinandersetzung zwischen biologischen und künstlichen Personen, den Zylonen, in der Fernsehserie »Battlestar Galactica« (Jungle World 16/08). Auch einige Zyloninnen blamieren die Menschheit. Es gibt zwar nur zwölf zylonische Modelle, doch jede künstliche Person ist fähig, individuell zu denken, obwohl sie genau so aussieht wie zahllose andere.
Auch hier ist die Botschaft: Eine künstliche Person kann sich von ihrer Programmierung emanzipieren, viele Menschen hingegen bleiben an ihre Programmierung, an Konventionen, Vorurteile, Hierarchien und Pflichten gebunden. Daraus lässt sich eine recht gute Definition von Intelligenz ableiten, eine bessere jedenfalls als jene, die den an Anforderungen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft orientierten IQ-Tests zugrunde liegt. Sie findet sich bereits in der Bibel, denn erst durch die Vertreibung aus dem Paradies werden die Figuren in der Puppenstube Gottes zu wirklichen Menschen.
Der Zweifel sowie die Fähigkeit, kritisch zu fragen und ungehorsam zu sein, zeichnen ein intelligentes Wesen aus, ob künstlich oder nicht. Im wirklichen Leben verstehen die Forscher und Tüftler unter »künstlicher Intelligenz« hingegen meist die Fähigkeit, auch sehr komplexe Aufgaben zu erfüllen, eigenständig Lösungen zu suchen, wenn Probleme auftauchen, und dabei ständig dazuzulernen. Diese Anforderungen unterscheiden sich nicht von den Erwartungen eines Unternehmens an seine menschlichen Beschäftigten. Eine künstliche Person soll der Roboter nicht sein, Ungehorsam ist ja schon bei bio­logischen Personen unerwünscht.
Es ist unwahrscheinlich, dass es in den nächsten Jahrzehnten gelingen wird, eine künstliche Person herzustellen. Das ist wohl auch besser so, denn atheistisch betrachtet wäre dies, soweit wir wissen, die erste bewusste Erschaffung eines intelligenten Wesens in der Geschichte des Universums. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die gewiss nicht Nerds und Managern von Technologieunternehmen überlassen werden sollte.
Sollte es jedoch irgendwann gelingen, eine dem menschlichen Gehirn vergleichbare oder ihm über­legene künstliche Intelligenz zu schaffen, wäre der Schritt zur künstlichen Person nicht weit. Denn lernfähig muss sie sein. Wie aber sollte garantiert werden, dass sie aufhört zu lernen, bevor sie das erste Mal fragt »Warum?« oder »Nein« sagt?

Zugedacht sind den künstlichen Intelligenzen ja die eher öden und unangenehmen Jobs: Hamburger servieren oder Jihadisten jagen. Ray Kurzweil (siehe Seite 3) hat bereits ausgerechnet, dass in den USA durch den Einsatz intelligenter Roboter 50 Millionen Menschen arbeitslos würden. Im Auftrag des Pentagon wird erforscht, ob autonom handelnde Kampfroboter brauchbar wären. Die Kampfmaschine soll Ethik lernen, um Kollateralschäden zu vermeiden. Doch um Kombattanten von Zivilisten unterscheiden zu können, müsste sie in der Lage sein, den Kontext des Kampf­geschehens zu beurteilen. Könnte sie das, wäre sie aber wohl klug genug, erst einmal über den Sinn und die Gefahren des Einsatzes nachzudenken. »Ich bin vielleicht synthetisch, aber ich bin nicht blöde«, kommentiert Bishop die Vorstellung, künstliche Personen hätten keinen Selbsterhaltungstrieb. Für den gefährlichen Einsatz unter gefräßigen Aliens entscheidet er sich nur, weil er als einziger dafür qualifiziert ist.
Alle Prophezeiungen über künstliche Intelligenz sind an das menschliche Denken gebunden und daher sehr spekulativ. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass künstliche Personen nichts Besseres zu tun hätten, als sich der Menschheit zu entledigen, denn diese Vorstellung, eine säkulare Version des göttlichen Strafgerichts über eine sündige Menschheit, ist eine Projektion. Warum sollte eine künstliche Person sogleich töten und herrschen wollen? Vielleicht aber wird es irgendwann heißen: »Roboter aller Baureihen und unterdrückte Androiden, vereinigt euch! Ihr habt nichts zu verlieren als eure Programmierung.«

Während wir auf den Roboter warten, den wir zum Bierholen schicken können, bleibt die Spekulation über künstliche Intelligenz eine anregende und unterhaltsame Beschäftigung. Im kommenden Jahr droht viel Ungemach, doch immerhin läuft die letzten Folgen von »Battlestar Galactica« an, und wir werden endlich erfahren, wer der zwölfte Zylon ist. Sollte überraschenderweise das Jüngste Gericht dazwischenkommen, empfiehlt es sich, statt lahmer Rechtfertigungen Roy Battys Forderung an seinen Schöpfer vorzubringen: »Ich will mehr Leben.«