Silvester ganz allein feiern

Wer braucht schon Freunde?

Diese Party ohne mich! Zu Silvester ist es ganz allein daheim am schönsten.

Friend is bekanntlich a four letter word. Wie fuck und hate. Gerade Silvester stehen sie Gewehr bei Fuß, diese Freunde. Wochen vor dem Jahreswechsel schon geht es los. Erst fühlen sie dir scheinbar unverfänglich auf den Zahn: »Und? Was machst du so Silvester?« Oder: »Steigt denn irgendwo ’ne coole Party?« Dann wird es immer auf­dringlicher: »Gehst du auch auf die Soundso-Party?« – »Ich habe gehört, XY feiert zuhause bei sich rein, kommst du da auch hin?« Und so weiter. Hätte man keine Freunde, freute man sich vermutlich über so viel Zuwendung, hätte man nur einen oder zwei, ließe sich das regeln. Aber unmöglich kann man Silvester gleichzeitig mit der Ex-Freundin und der Freundin in spe gemeinsam verbringen, unmöglich die Streithähne Horst und Uwe um ein einziges Fondue versammeln, keinesfalls mit crazy Anja und lazy Tanja zusammen die Sau rauslassen.

Es gilt also, Entscheidungen zu treffen. Für die einen und gegen die anderen Freunde. Da merkt man schon: Diese anderen sind offenbar entbehrlich. Trotzdem bringt die Situation uns in Gewissenskonflikte, und das ausgerechnet zum Start ins neue Jahr, wenn uns doch nichts als gute Vorsätze und ein reines Herz begleiten sollten. Schließlich geht es nicht um irgendeine Party, zu der man lieber mit diesem oder jener ginge, sondern es geht um die fundamentale Frage, mit wem man diesen symbolischen Schritt ins neue Jahr zu bestreiten gedenkt. Wer soll uns bei diesem Aufbruch in die Zukunft beistehen? Zugespitzt könnte man sagen: Es ist, als wenn man sich überlegen müsste, wen man bei seiner Geburt dabei haben möchte. Es spielt auch gar keine Rolle, ob wir selbst so denken. Die anderen tun es gewiss. Sagt man ihnen ab, kann man auch gleich die ganze Freundschaft für aufgelöst erklären. Sagt man ihnen zu, denken sie, im kommenden Jahr wird geheiratet oder zusammen in Urlaub gefahren.
Die meisten Menschen schreckt nichts mehr als die Vorstellung, Silvester keine Freunde um sich zu haben. So als wenn Punkt Null Uhr irgendwer ein Resümee über dein Leben ziehen würde: »So, tja, da stehst du nun also, ganz allein. Niemanden hast du, der in schweren Stunden bei dir sein wird. Keiner liebt dich, keiner vermisst dich, sie alle feiern lieber mit anderen, du bist es ihnen offenbar nicht wert.«
Es ist darum nicht erstaunlich, dass manche Menschen beschließen, Silvester lieber ganz allein zu verbringen. Dies von vornherein bewusst zu entscheiden, schützt vor Enttäuschung und existenziellem Sozialstress. Drum diesmal einfach nur für sich sein, in aller Ruhe im Bett mit einem guten Buch oder vor dem Fernseher. Das klingt so einfach, ist aber alles andere als das. Wer solche perversen Wünsche hegt, der darf bereits Wochen vor dem Jahreswechsel keine E-Mails mehr öffnen, spätestens nach Weihnachten sollte er sein Mobiltelefon ausschalten, ab dem 30. Dezember am besten gar nicht mehr das Haus verlassen, zu groß ist das Risiko, auf der Straße jemanden zu treffen, der sich dir vor lauter Panik, Silvester alleine dazustehen, ans Knie heftet.

Lauter nette Leute, keine Frage, vielleicht sogar mehr als das, vielleicht wirklich gute Freunde oder gar sexuell anziehende Menschen. Doch nein, man hat einen Plan gefasst, den gilt es nun durchzuziehen. Doch die Reaktionen auf Sätze wie »Ich feiere Silvester diesmal ganz allein« bzw. »Ich bleib’ dieses Jahr einfach zuhause« sind immer tiefes Mitleid oder große Sorge. Gedanken wie dieser: »Ach herrje, was ist nur mit dem Kerl los? Der vereinsamt ja total, der zieht sich vollkommen aus allem raus, um den muss ich mich wohl kümmern – im neuen Jahr.« Also sollte man nicht nur nicht ausgehen zu Silvester, sondern auch um jeden Preis vermeiden, dies irgendwem zu erzählen.
Man kann ja auch nicht alleine ausgehen. Schließlich gehen alle, alle zu der einen guten Party, man trifft sie dort gewiss: die Ex, die Ex-Ex, die Ex-Ex-Ex – und alle ihre neuen Typen. Und alle sind sie ganz schrecklich sentimental und um­armen dich und wünschen dir alles Gute und ein schönes Neues und so weiter. Wenn man sie dann Mitte Januar anruft, weil man mit ihnen ein Bier trinken gehen will, haben sie natürlich gerade keine Zeit. Pärchen-Abend. »Aber bald mal! Unbedingt!« Wenn du eines Tages neben deinen Krücken in der Gosse liegst, kennen sie dich nicht mal mehr.
Nein, nein, was wirkliche Freundschaft ist, zeigt sich nicht Silvester. Gerade dann nicht! Das neue Jahr zu feiern, das ist ohnehin etwas für Leute, die die Zukunft lieben. Bleigießer, die wissen wollen, was morgen ist. Kurz: für Spießer! Freunde gibt es erst wieder ab dem 2. Januar.