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Die Briten wurden gewarnt. »Law and order is a Labour issue«, sagte Tony Blair 1997 im Wahlkampf. Das war keine leere Drohung. Seit dem damaligen Wahlsieg hat Labour 1 036 neue Vergehen erfunden, die mit Gefängnis bestraft werden können. Die Zahl stammt aus einer offiziellen Antwort der Regierung auf eine Anfrage von Baroness Stern, einer Abgeordneten im House of Lords. Die Aufstellung »war offenbar sehr arbeitsaufwändig«, kom­mentierte Stern. Vielleicht wurden auch ein paar Straftaten vergessen, man kann schon mal den Überblick verlieren bei so vielen neuen Verbrechen. Haftstrafen drohen nun jedenfalls allen, die ohne Genehmigung am Lower Esk in Schottland angeln, einen Vogel verkaufen, der am Sonntag oder Heiligabend gejagt wurde, ein nicht genehmigtes Veterinärprodukt importieren, an öffentlichen Orten rauchen, ohne die erforderliche Lizenz ein Konzert in einer Kirche veranstalten, minderjährig sind und Feuerwerkskörper besitzen (außer zu Silvester und am 5. November), sich für ihren Esel keine gültigen Papiere besorgen oder ein ausländisches Eichhörnchen in Großbritannien verkaufen.
Dass »die Herbeiführung einer nuklearen Explosion« nun explizit als Straftatbestand genannt wird, muss Bürgerrechtler nicht stören, und die Schaffung einiger neuer Straftatbestände, wie die Verschärfung der Regelungen für den Besitz von Kinder­pornographie, war sinnvoll. Viele der neuen Gesetze sind eher Ku­riositäten mit geringer praktischer Bedeutung. Doch insbesondere der Komplex der Gesetze gegen »antisoziales Verhalten« macht deutlich, dass die Regierung vor allem die armen Bevölkerungsschichten stärker gängeln und kujonunieren will. 71 Menschen, überwiegend Mütter, wurden in den Jahren 2003 bis 2006 inhaftiert, weil ihre Kinder nicht zur Schule gingen, fast 3 000 mussten Geldstrafen zahlen. »Wenn ich das in anderen Ländern erzähle, fällt es vielen schwer, das zu glauben«, berichtet Stern. Denn viele Ausländer hegen immer noch das Vorurteil, im Land der Magna Charta und des Spleens genieße das Individuum große Freiheiten. Derzeit können die am Erhalt der Bürgerrechte interessierten Briten dankbar sein, dass es das House of Lords gibt. Politiker, die sich gegen neue repressive Gesetze aussprechen, sitzen meist in diesem ehemaligen Refugium der reaktionären Aristokratie.