Die Debatte über die Poplinke, Teil 4

Lauter eloquente junge Männer

Das war die Poplinke: vierter Teil der Debatte.

Neulich in Wien auf einer Tagung zu feministischer Medienproduktion: eine Kollegin, die über feministischen Popjournalismus referiert, weist darauf hin, dass es auch im Jahr 2008 offensichtlich noch mög­lich ist, dass auf einem Kongress mit dem latent hanebüchenen Titel »Pop meets Science«, der kurz zuvor in der gleichen Stadt abgehalten wurde, ausschließlich weiße Männer gehobenen Alters miteinander über die (institutionellen) Verschränkungen von Popmusik und Kulturwissenschaft diskutieren. Und dass gerade jene Männer, deren Karrieren vom Höhenflug des reichlich diffusen und doch bereits kanonisierten Phänomens »Poplinke« sicherlich nicht behindert wurden, sich heute besonders vehement von selbigem verabschieden würden. Auch wenn diese Distanzierung im Rahmen einer Diffundierung und damit einhergehenden Desillusionierung hinsichtlich des Phänomens durchaus nachvollziehbar ist und auch die äußerst homogene Zusammensetzung von den Eingeladenen des Symposiums selbst irritiert zur Kenntnis genommen worden ist, lassen sich an dieser Kritik doch einige Entwicklungen gut ablesen.
Dass sich nämlich einerseits die so genannte Poplinke durch interne Überalterung insoweit selbst überlebt hat, als seit Jahren im Großen und Ganzen stets dieselben Namen kursieren, die sich zudem immer stärker in die Institutionen zurückziehen, wie von den vorausgegangenen Beiträgen zu dieser Reihe schon richtig angemerkt wurde. Der Poplinken ist nicht nur das Objekt abhanden gekommen, also z.B. die theoretisch wie auch politisch reflektierte, kritische Popmusikberichterstattung, wie Martin Büsser beobachtet hat, sondern in gewisser Weise auch das Subjekt – auf der Rezeptions- wie Produktionsebene.
Zum anderen ist die paradoxe Situation zu beobachten, dass das durch die Poplinke in den neunziger Jahren hervorgebrachte Bindeglied zwischen Politaktivismus und Popästhetik, also der Traum vom »coolen Engagement«, einerseits die Tür für die Inkorporierung feministischer Thematiken weit geöffnet hat, diese andererseits aber wieder als das Spezielle bzw. Marginale des Popkulturbetriebs beiseite gedrängt wurden, was die Notwendigkeit der Schaffung eigener, spezialisierter Plattformen ziemlich rasch deutlich werden ließ. Auch wenn die Bereitschaft zur Inklusion dieser Inhalte und zumindest partiell auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen white male privilege einmal durchaus greifbar waren, mussten letztlich für die Artikulation feministischer Anliegen im Hinblick auf Popkultur doch wieder eigene Foren gefunden werden.
Womit sich, um leicht augenzwinkernd an Roger Behrens’ Verdikt anzuschließen, sagen ließe, die Poplinke habe dem Kommunismus selbstverständlich nichts gebracht, dem (Pop)Feminis­mus aber schon. Denn wenn man Dokumente der Poplinken, oder was man dafür hält, heute nochmals durchblättert, wird schnell offenbar, dass feministische Issues in Publikationen wie Die Beute, »Mainstream der Minderheiten« oder dem Band der Wohlfahrtsausschüsse, »Etwas Besseres als die Nation«, eher am Rande vorkommen.
Auf einer Rede zur »Frau im Wohlfahrtsausschuss« bemerkte Isabelle Graw 1993 in der Dresdner Scheune: »Uns war schon in Hamburg auf dem ersten Treffen von ›Etwas Besseres als die Nation‹ im Dezember 1992 die homogene Besetzung nicht nur des Podiums, sondern auch des Wohlfahrtsausschusses aufgefallen: lauter eloquente junge Männer. Zu beoachten war eine große Selbstverständlichkeit, mit der man dort – weil es sich einfach so ergeben hatte – nur unter Männer-Freunden arbeitete.« So monierte auch die zu Beginn meines Textes bereits erwähnte Feministin, es sei doch auffällig, dass in einer Diskussionsreihe zum Status der Poplinken nur Männer zu Wort kämen und Problematiken wie Antirassismus und Feminismus eben wieder von den Anderen, den »Betroffenen«, selbst beackert werden müssten.
Diese Fragestellungen werden nun zwar nicht mehr, wie es in den Achtzigern im Popdiskurs mitunter noch widerspruchslos möglich war, nonchalant als uncoole, verkrampfte Befindlichkeiten weggewischt, sondern der (immer wieder unter Beschuss genommene) Anspruch, diesbezügliche Ausschlüsse und Diskriminierungen sichtbar zu machen, hat sich, und das ist wohl ein Verdienst der Poplinken, auf einer breiten popfeuilletonistischen Ebene durchgesetzt.
Doch trotz dieser diskursiven Verschiebung ist das Mitdenken verschiedenster emanzipatorischer Bestrebungen nicht einfach harmonisch im Großen und Ganzen der Poplinken aufgegangen, sondern war immer da am schlagkräftigsten, wo eigene – feministische – Positionen innerhalb der Populärkultur gesondert artikuliert wurden. Beispielsweise im wegweisenden Reader »Lips Tits Hits Power?«, der 1998 den Import popfeministischer Positionen aus dem englischen Sprachraum bewerkstelligte, in der Testcard mit dem Gender-Schwerpunkt oder in zahllosen (Grrrl-)Zines wie Female Sequences, Nylon oder Fiber.
Auch die Gründung des Magazins, an dem ich selbst beteiligt bin, Missy, lässt sich selbstredend auf das in den neunziger Jahren als glamouröse Gegenpolitik initiierte kritische Zusammendenken von Feminismus und Popkultur zurückführen. Auch wenn es keine expliziten Widerstände mehr zu überwinden gab, die gut 30 Jahre zuvor zum berühmten Tomatenwurf, der daraus folgenden Loslösung der Feministinnen aus der linken Bewegung und dem »Erfolg« der Zweiten Frauenbewegung geführt hatten, geschah es doch auch im Zuge einer Abspaltung bzw. einer Spezialisierung, von der sich natürlich nie selbst als eine dezidierte Bewegung definierenden Poplinken, dass in einem langsamen, stetigen Prozess die stark auf die Popkultur fixierte so genannte Dritte Welle des Feminismus langsam Fuß fasste.
Der euphorische Kulturalismus der damaligen Zeit wirkt freilich in seiner Naivität aus heutiger Sicht fast rührend. Wenn man als feministisches Kollektiv beispielsweise hoffnungsvoll blauäugig davon ausging, Shopping (als feminin kodierte Tätigkeit) könne ein Zeichen von Dissidenz sein oder weibliches Groupietum eine Form von Empowerment. Heute hingegen muss sich noch zeigen, ob der (Pop-)­­Feminismus das einzige linke Vermächtnis der Poplinken ist oder doch die vielgeschmähte Erneuerungsideologie des Kapitalismus. Schön wäre es ja, wenn im Gegenteil der Feminismus als emanzipatorische Kraft nun umgekehrt mal für alle sprechen könnte. Kann man sich ja mal wünschen.