Die Privatisierung der Deutschen Bahn AG

Achsen des Bösen

Privatisierung ist out. Die der Deutschen Bahn AG wird in der Finanzkrise zumindest immer weiter verschoben.

Hartmut Mehdorn wäre nicht Hartmut Mehdorn, wenn er es nicht verstehen würde, sich neuen Begebenheiten schnell und unauffällig anzupassen. In der neuesten Ausgabe der Mitarbeiterzeitschrift der Bahn schimpft der Vorstandsvorsitzende ganz zeitgemäß über »verantwortungslose Banken- und Börsenzocker, deren Suppe wir jetzt alle auslöffeln müssen«.
Sollte die Zukunft wider Erwarten doch den Staatskonzernen gehören – kein Problem, in einem solchen arbeitet er ja bereits seit Jahren, wenn auch mit dem Ziel ihn zu privatisieren. Dem ist er allerdings im abgelaufenen Jahr kaum näher gekommen.

Kurz nachdem der ICE 3 am Morgen des 9. Juli vergangenen Jahres mit einer gebrochenen Radachse den Kölner Hauptbahnhof verlassen hatte, sprang er noch bei Schrittgeschwindigkeit aus dem Gleis. Niemand wurde verletzt, und wenig später hievte ein Kran den Zug wieder in die Spur. Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand, dass dies einer jener Momente war, bei denen hinter den sichtbaren Ereignissen all die im Verborgenen lauernden Widersprüche und Konflikte zu Tage treten und endlich offen ausgetragen werden. So war der Unfall den Zeitungen zuerst auch nicht mehr als zehn Zeilen wert.
Doch die Radachse war bereits bei der Fahrt auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Köln gebrochen. Endlich nahm das Eisenbahnbundesamt (EBA) seinen Job als Aufsichtsbehörde der längst wie ein privatwirtschaftlicher Konzern geführten Deutschen Bahn AG ernst. »Wäre dasselbe Ereignis bei einer Streckengeschwindigkeit von bis zu 300 km/h aufgetreten, hätte sich mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit eine Katastrophe wie in Eschede ereignen können«, schrieb die Behörde in einer Stellungnahme. Damals, am 3. Juni 1998, starben über 100 Menschen in einem ICE, weil ein Radreifen wegen Material­ermüdung gebrochen war. Die eigentliche Ursache lag in den aus Kostengründen immer seltener stattfindenden Wartungen der Züge. Um die Bilanzen der Bahn »fit für die Börse« zu machen, wurde an der Sicherheit gespart.
So auch in diesem Fall. Lediglich alle 300 000 Kilometer unterzog die Bahn die Radachsen des ICE 3 einer Ultraschallprüfung, obwohl die Probleme mit den aus einer neuartigen Leichtmetallmischung bestehenden Achsen intern seit Jahren bekannt waren. Um noch mehr Geld zu sparen, verlagerten Industrie und Bahn die Praxistests der ICE 3 immer weiter in den laufenden Betrieb.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Auf Druck des EBA musste die Bahn nach dem kleinen Unfall in Köln alle Züge des Typs ICE 3 in ihren Werkstätten überprüfen, obwohl man dies in der Öffentlichkeit so darstellte, als erfolge die Maßnahme auf »eigenes Betreiben«. Und auch die seit Jahren relativ erfolgreich gegen die Privatisierung der Bahn kämpfenden Mitglieder der Initiative »Bahn für alle« erkannten ihre Chance. Immerhin war es dem von 16 Organisationen getragenen Bündnis – darunter Attac, die Jusos, die Basisgewerkschaft »Bahn von unten« und der BUND – in den Monaten zuvor gelungen, den geplanten Ausverkauf zu begrenzen. Schienen und Bahnhöfe sollen Eigentum der öffentlichen Hand bleiben und nur noch knapp 25 Prozent des Fernverkehrs und des Logistikbetriebs an die Börse gehen.
Anfang August erstatteten vier Mitglieder der Ini­tiative »Bürgerbahn statt Börsenwahn«, die ebenfalls zu dem Bündnis gehört, Anzeige gegen den Vorstand der Deutschen Bahn AG wegen »gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr«. Sie waren der Ansicht, es sei wegen der »systematischen Vernachlässigung von Sicherheitsaspekten« zum Achsbruch gekommen. Mitte September wurde der für November geplante Börsengang der Bahn wegen der Finanzkrise verschoben, auch rechnet man dabei mittlerweile statt mit acht Milliarden Euro Erlös nur noch mit vier Milliarden. Mitte Oktober bekam die Bahn vom EBA die Auflage, die Radachsen der ICE 3 alle 30 000 Kilometer zu überprüfen. Das bedeutete eine Verzehnfachung der Intervalle – und Chaos im Fernverkehr wegen der ebenfalls aus Kostengründen eingesparten und nun fehlenden Reservezüge.

Der »Börsenprospekt«, mit dem die Bahn die potenziellen Anleger wahrheitsgemäß informieren muss, um später nicht mit Schadenersatzklagen überzogen zu werden, lieferte derweil den Privatisierungsgegnern wertvolle Argumente. So muss­te die Bahn vor »erheblichen Einschränkungen des ICE-3-Verkehrs und damit verbundenen Umsatzverlusten sowie erheblichen Mehraufwendun­gen für Ersatzbeschaffungen« warnen. Die jahrelangen Anstrengungen des Managements, die Bilanzen aufzuhübschen, waren Makulatur. Mehdorn fühlte sich zwar weiterhin »auf einem Zehn-Meter-Turm« stehend, doch »jetzt fehlt vorübergehend das Wasser«. Der Bör­sengang wurde immer weiter ins nächste Jahr und inzwischen sogar ins nächste Jahrzehnt verschoben.
Die Verantwortung für die mangelhaften Achsen der ICE-3-Flotte gab Mehdorn geschickt an die Industrie weiter und stellte dem Konsortium aus Siemens, Bombardier und Alstom ein 14tägiges Ultimatum. Wenn bis dahin keine Garantieerklärung der Industrie vorliege, müssten die Achsen eben auf deren Kosten ausgetauscht werden. Innerhalb weniger Wochen war es für Siemens auf einmal möglich, die nächste Generation der ICE mit »neu dimensionierten Radsatzwellen« auszurüsten.
Trotz allem ist die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG weiterhin geplant, vor allem eine Variante bleibt aktuell. Bis Februar könnte es zu einem Aktientausch mit den Russischen Staatsbahnen (RZB) kommen. Dies wäre allerdings weniger eine klassische Privatisierungsmaßnahme als die Vertiefung einer »strategischen Partnerschaft« mit dem Osten. Dieser Tage wurden acht Züge des ICE-3-Nachfolgers »Valero« nach Russland verschifft, um in Zukunft zwischen St. Petersburg und Moskau zu verkehren. Der Lückenschluss über Brest und Minsk sowie Warschau nach Berlin ist nur noch eine Frage der Zeit. Und am 6. Oktober traf der erste Probezug des »Trans Eurasia Express« mit 50 Containern Fracht, aus China über die Transsibirische Eisenbahn kommend, in Hamburg ein. 17 Tage brauchte der Zug für die 12 000 Kilometer lange Strecke, um 75 Prozent sinken die Transportkosten zum Beispiel für einen Laptop im Vergleich zum Luftweg. Noch dieses Jahr soll der Regelbetrieb aufgenommen werden.

Den in den vergangenen Jahren großspurig vom Vorstand der Bahn verkündeten Rekordgewinnen steht dennoch einiges entgegen. So haben die Lokführer im Frühjahr 2008 mit einem Streik eine elfprozentige Lohnerhöhung gegen den Bahnvorstand durchgesetzt, derzeit fordert Transnet, die größte Gewerkschaft der Transportarbeiter, zehn Prozent mehr Lohn und droht mit Arbeitsniederlegungen ab Februar. Auch wird die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation zum Thema. »Die Mitarbeiter wollen ihr Privatleben besser planen können«, sagte der neue Vorsitzende der Transnet, Alexander Kirchner. Der Bahn-Vorstand reagierte mit Gejammer über den rückläufigen Gütertransport und dem Vorschlag einer »Nullrunde«.
Viel mehr Personal scheint der Konzern inzwischen auch nicht mehr entlassen zu können. Es sei denn, Hartmut Mehdorn zieht Konsequenzen aus einem Vorfall von Anfang Dezember in Sachsen-Anhalt. Ein Regionalzug rollte ohne Zugführer los und kam immerhin rund 40 Kilometer weit, ehe er kurz vor Querfurt stehen blieb.