Andreas Hofer als Tiroler Nationalheld

Der Superheld aus Tirol

Andreas Hofer ist für das Tiroler Nationalbewusstsein eine ewige Knetfigur. Auch 200 Jahre später wird immer noch seines »Freiheitskampfes« gedacht.

Der Anbruch des neuen Jahres mar­kiert den Startschuss für das »Gedenkjahr 2009«, das an die »Tiroler Volkserhebung« von 1809 und ihren Anführer Andreas Hofer erinnern soll. Die Tiroler Lan­desregierung und die Traditionsvereine – allen voran die Tiroler Schützen – hocken bereits seit Monaten in den Startlöchern, ist das Jubiläum doch eine willkommene Gelegenheit, die Vormachtstellung der Konservativen in Zeiten von Stimmenabwanderung, Après-Ski und Web 2.0 zu sichern. Andreas Hofers Stilisierung zum Freiheitskämpfer ist noch immer tragender Pfeiler für die Konstruktion eines Tiroler Selbst­verständnisses als widerständiges, freiheitsliebendes und katholisches, vorzugsweise die ÖVP wählendes Bergvolk. Darüber hin­aus wird Hofer immer dann aus dem Hut gezaubert, wenn die Diskussion der seit nunmehr 90 Jahren im Raum stehenden »Südtirol-Frage« neu angefacht werden soll.
Die wenigen gesicherten Fakten sind schnell erzählt. Andreas Hofer wurde am 22. 11. 1767 in St. Leonhard im Passeiertal geboren. Mit Anfang 20 übernahm der gelernte Wein- und Pferdehändler den Gasthof seiner Eltern, heiratete und wurde Abgeordneter seiner Gemeinde im Tiroler Landtag. Bereits 1796/97 beteiligte er sich als Mitglied der Schützenkompanie Passeier an Kämpfen gegen das revolutionäre Frankreich, das Österreich und Preußen 1792 den Krieg erklärt hatte. Als Folge des »Pressburger Friedens« musste Österreich Tirol und andere Gebiete an Bayern abtreten, das loyal zu Frankreich stand. Erzherzog Johann betraute Andreas Hofer 1805 mit der Organisierung des Widerstandes ge­gen die erneut anrückenden französischen Truppen im Passeiertal und im Vintschgau. In den Befreiungskriegen von 1809 errangen die Tiroler drei Siege gegen die Franzosen am Berg­isel, von denen besonders die Schlacht vom 13. August hervorzuheben ist, da sie ihren Kommandanten Andreas Hofer für kurze Zeit zum Statthalterposten in Innsbruck verhalf.
Nach Abschluss des »Schönbrunner Friedens« im Oktober 1809 wurde Tirol erneut an Bayern abgetreten. Daraufhin zogen die Tiroler gegen den Willen Erzherzog Johanns erneut in die Schlacht. Nach dieser vierten Schlacht am Berg­isel, die in einer schweren Niederlage für die Tiroler endete, wurde Hofer nach kurzer Flucht verhaftet und im Februar 1810 in Mantua durch ein französisches Militärgericht verurteilt und erschossen.
Der bewaffnete Kampf der Tiroler Schützen gegen die französischen Truppen war vor allem ein Kampf gegen die Ideale der Aufklärung und für einen katholischen Fundamentalismus, der teils bizarre Züge trug. Der maßgeblich an den Kampfhandlungen beteiligte Kapuzinerpater Jo­achim Haspinger etwa war kurz vor den Schlach­ten mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gegangen, in dem er die von den Bayern verordne­te Pockenimpfung als unrechtmäßigen Eingriff in das Werk Gottes geißelte und dazu aufrief, sich der Impfung nötigenfalls auch gewaltsam zu verweigern. Im Lauf der Zeit wurde Andreas Ho­fer immer wieder für die Interessen der Mächtigen instrumentalisiert, die sich mit seiner Hilfe ihrer Macht versicherten. Den Anfang nahm die Vereinnahmung Hofers in Deutschland und England, wo ein antinapoleonischer Geist Intellektuelle und Schriftsteller zur Verklärung der Schlachten am Berg­isel und Andreas Hofers bewegte. In Tirol wurde auf die Ereignisse von 1809 erst seit der Zeit des Vormärz zu­rück­ge­grif­fen, wo man Hofer zur Symbolfigur gegen den Wiener Absolutismus verklärte. Das 1804 gegründete Kaiserreich Österreich brauchte drin­gend Helden wie Andreas Hofer, um die Einheit des fragmentierten Landes zu beschwören. Obwohl die Gebeine Hofers in der Folge nach Innsbruck verlegt wurden und ihm in der Hofkirche ein erstes Denkmal gesetzt wurde, war das Interesse an »ihrem Helden« in der ländlichen Bevölkerung anfangs nur gering.
Als es Ende des 19. Jahrhunderts zu Spannungen zwischen den italienischsprachigen und deutschen Teilen Tirols kam, nahm die Figur An­dreas Hofers erstmals deutschnationale Zü­ge an. In dieser Zeit kam es zu wahren Grün­dungs­wellen von Schützenkompanien und Musikkapellen. Die strauchelnde konservative Elite bediente sich Hofers bei ihren Bemühungen zur Schaffung eines monokulturellen Tirols. Ebenso wurde er von den Habsburgern als Vorbild für bedingungslose Kaisertreue und von den kle­rikalen Literaten Tirols als prototypischer Ka­tholik instrumentalisiert. Historienmaler wie Albin Egger-Lienz und Franz Defregger taten das Ihrige, um das Bild Andreas Hofers bereits im 19. Jahrhundert völlig zu verzerren. Insbesondere das hundertjährige Jubiläum der Schlach­ten von 1809 wurde ausgiebig genützt, um die Kaisertreue der Tiroler mit allen Mitteln zu konservieren.
Die Niederlage Österreichs im Ersten Weltkrieg und die daraus folgende Abgabe Südtirols an Italien machten ein neues Image Andreas Hofers nötig. Der Südtiroler Hofer wurde auf bei­den Seiten Tirols zur Galionsfigur des »einen« Tirol stilisiert, die zum Freiheitskampf umgedeu­tete Volkserhebung erstrahlte nunmehr im Licht einer Befreiung von der italienischen Zwangs­herrschaft. Im Gegenzug wurden die monar­chis­tisch-habsburgtreuen Aspekte aus seiner corporate identity getilgt. In den Zwanzigern stieg Hofer dann zum überregionalen Vorkämpfer des Austrofaschismus auf.
Nach dem Anschluss 1938 wurde Hofer von den Nazis vereinnahmt. Gauleiter Franz Hofer stellte sich unverhohlen in eine Linie mit seinem Namensvetter, indem er »die Heimholung ins Reich aller Deutschen« als »große Sehnsucht Andreas Hofers« beschrieb. Nach dem Zwei­ten Weltkrieg bedurfte es dann nur geringer Schönheitskorrekturen, um den Mythos Andreas Hofers erneut salonfähig zu machen. Der »Geist Hofers« wurde jetzt wieder für die Idee der Einheit Tirols und Österreichs beschworen, wo­zu die Einsetzung des Andreas-Hofer-Liedes »Zu Mantua in Banden« als Landeshymne Tirols 1948 einen wesentlichen Beitrag leistete. Die den Schlachten am Bergisel inhärente Melange von übersteigerten politischen und religiösen Motiven spiegelt sich auch in dem Symbol wieder, das die süd- und nordtiroler Schützen für die Teilung Tirols fanden: der Dornenkrone. Sie wurde erstmals bei den Feierlichkeiten 1959 von den Schützen mitgetragen. Seither ist die Dornenkrone das zutiefst umstrittene Symbol des Wiedervereinigungswillens der beiden Teile Tirols.
In den frühen sechziger Jahren, der Zeit des so genannten Südtirolaktivismus, hatte der Mythos Andreas Hofers seine nächste Glanzstunde. Von den Aktivisten wurden nicht nur Strom­masten, sondern auch mehrere Andreas-Hofer-Denkmäler in Nord- und Südtirol gesprengt, als Antwort auf die politischen Repressalien, mit denen die italienische Regierung die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol belegte, und um die Vereinigung mit Nordtirol durchzusetzen. Anfang der siebziger Jahre wurden vor allem auf künstlerischer Ebene die ersten Versuche einer kritischen Annäherung an die Ereignisse 1809 und ihres zum Tiroler Über-Ich aufgeblähten Anführers Andreas Hofer unternommen. Künstler wie Helmut Schinagl oder Werner Pircher eröffneten in ihren Werken bisher ungesehene Perspektiven auf Andreas Hofer und die Schlachten am Bergisel.
Da sich die Situation in Südtirol gebessert hatte, sahen weite Teile der Tiroler Bevölkerung die Südtirol-Frage bereits in den achtziger Jahren als weitestgehend geklärt an. So wurde auch die Dornenkrone für obsolet erachtet. Bei der 175-Jahr-Feier kam es 1984 dann erstmals zu Pro­testen gegen die Mitführung der Dornenkrone, seitens des »Bündnisses für ein Anderes Tirol«, aus dem später die Grünen hervorgingen.
In den vergangenen 25 Jahren hat das immer wieder scharf umgeschliffene Bild Andreas Hofer stark an Kontur verloren. Zwar gehört die Legende des Tiroler Volksaufstandes und seines Protagonisten Hofer noch immer zum Lehrstoff der Tiroler Grundschulen, und jede Gemein­de wird das 200-Jahr-Jubiläum auf die eine oder andere Art begehen, doch hat Andreas Hofers Vorbildfunktion für die Tiroler Jugend weitgehend ausgedient. Umso deutlicher versucht die Landesregierung, mit dem Gedenkjahr 2009 gerade bei den jungen Leuten Punkte zu machen. Mit einer betont jugendlich gehaltenen Homepage beispielsweise füllt man alten Wein in neue Schläuche. Die »Plastiksackerl-Aktion« des Lebensmittelkonzerns Spar, der Andreas-Hofer-Bus und ein Jugendwettbewerb zum Thema lassen aber durchscheinen, dass die Marketingstrategen der Tiroler Landesregierung zumindest kurz nachgedacht haben, wie sie die Marke Andreas Hofer fernab der Schützen­kompanien platzieren können.
Ob so der Brückenschlag zwischen erstarrtem Brauchtum und der weitestgehend säkularisierten Zivilgesellschaft zu schaffen sein wird, ist allerdings ungewiss. Die Tiroler Schützen basteln unterdessen verbissen an ihrer dritten Dornenkrone, die sie am 20. September beim großen Festumzug durch die Innsbrucker Altstadt tragen wollen. Auf ihrer Homepage www.dornenkrone.at scheint die Zeit seit mindestens 90 Jahren still zu stehen, man freut sich dort aber bestimmt über ein paar nicht nationalistische Gästebucheinträge. Und auch wenn noch so viel Tamtam gemacht werden sollte in den nächsten Monaten, dürfte er Spuk um Andreas Hofer bald ein natürliches Ende finden.