Der neue Film von Christian Petzold, »Jerichow«

Gespenster

Christian Petzold hat mit »Jerichow« einen weiteren typischen Petzold-Film gedreht, mit Verweisen auf das Genre-Kino und das eigene Werk.

In der Bildenden Kunst ist Referenzialismus, also das Verweisen auf die Arbeiten historischer Vorläufer, auf Erzählungen und Diskurse, die innerhalb wie außerhalb ihres Feldes liegen, ein etabliertes, inzwischen fast schon überstrapaziertes Verfahren. Im Kino findet sich dazu jedoch kaum eine Entsprechung. Dort gibt es stattdessen Remakes oder Adaptionen, und wenn Verweise auf andere Filme im Spiel sind, ist meist von einer Hommage oder aber von postmodernem Zitatkino die Rede.
Die Filme von Christian Petzold sind darin eine seltene Ausnahme. Sie verhalten sich wie ein Text zu anderen Texten, sie kommentieren, produzieren Fußnoten. Und filmische Vorlagen werden bei Petzold gerne wie eine bloße Form benutzt, die erst einmal entleert wird, um sie dann mit zeitgenössischen Realitäten aufzufüllen. »Yella« etwa, der Vorgängerfilm von »Jeri­chow«, war eng an Herk Harveys Film »Carnival of Souls« angelehnt, übernahm dessen Post-Mortem-Erzählung, versetzte diese aber in die Welt des Private-Equity-Kapitalismus, was sich wieder­um stark auf Harun Farockis Dokumentation »Nicht ohne Risiko« bezog.
Die filmische Referenz von »Jerichow« ist wesentlich bekannter und um einiges simpler, weniger diskursiv aufgeladen: James M.Cains Novelle »The Postman always rings twice« wurde 1943 von Visconti unter dem Titel »Ossessione« verfilmt, drei Jahre später folgte das amerikanische Remake von Tay Garnett mit der blonden und immer weiß gekleideten Lana Turner und 1981 ein weiteres, diesmal unter der Regie von Bob Rafelson.
Referenzen gibt es außerdem zu den vorhergehenden Filmen Petzolds, deren Themen und Motive hier in leicht verschobener Form wieder aufgenommen werden: der Osten als stillgelegter Planet, die schicksalhafte Begegnung von Menschen, ihre fehlende Verbundenheit mit der »Welt«, was sich in einem melancholischen Grundbefinden äußert, die Unwirtlichkeit der Orte und nicht zuletzt das komplizierte Zusammenspiel von Arbeit, Liebe, Geld.
Petzold siedelt seine Dreiecksgeschichte in der Prignitz an, einer gottverlassenen Gegend, in der sich Mischwälder, Landstraßen, Gewerbe­ge­biete, ein paar vereinzelte Häuser und Imbissbuden monoton abwechseln. In dem kleinen Dorf Jerichow treffen sich schicksalhaft die Wege von Thomas (Benno Fürmann), einem ehe­maligen Afghanistan-Soldaten, der sich nach seiner unehrenhaften Entlassung aus der Armee ein neues Leben aufzubauen sucht, Ali (Hilmi Sözer), einem erfolgreichen türkischen Unternehmer, dem 55 Imbissbuden in der Gegend gehören, und Laura (Nina Hoss), seiner Frau, die anfangs mürrisch im Hintergrund agiert und sich erst im Laufe des Films allmählich als Figur entfaltet. Ali bietet Thomas einen Job als Fah­rer an, der ihn fortan auf seiner tristen Tour von Dönerbude bis China-Imbiss begleitet. Auch wenn er sich gelegentlich zu Chefspielereien versteigt, lässt ihn Thomas’ physische Konstitu­tion, seine Schnelligkeit und Stärke, nicht unbeeindruckt, er mag ihn bald richtig gerne, probiert freundschaftliche Gesten aus. Und zwischen Thomas und Laura entspinnt sich ein leidenschaftliches Verhältnis, das trotz plötzlichem Sex auf dem Flur etwas merkwürdig Unkörperliches hat.
Petzold interessiert sich nicht so sehr für das sexuelle Begehren, das zwar behauptet wird, aber irgendwie automatisiert erscheint – ganz so, als müssten die Figuren diese etwas mühsame Aufgabe eben auch noch absolvieren. Beherrschend und allgegenwärtig sind in »Jerichow« vielmehr die ökonomischen Verhältnisse, die sich im Gegensatz zu den abstrakten, unkörperlichen Kapitalströmen in »Yella« vordergründig und ganz sichtbar über Geld äußern. Geld, das versteckt wird, von einem Besitzer zum anderen wandert. Die Liebe ist in dieser Tausch­ökonomie mittendrin. Denn Ali hat Lauras Schul­denberg übernommen, dafür hat sie ihn geheiratet und erträgt ihn, nimmt seine Eifersucht mit einem störrischen Gleichmut entgegen, ab und zu ein paar Schläge gehören auch dazu. Ali führt sie ganz gerne mal vor wie ein kostbares Accessoire, Laura schafft heimlich Geld beiseite, Thomas wird fürs Fahren bezahlt, dabei wird er ebenso als Bodyguard und Freund der Familie eingesetzt, alle haben irgendwelche Deals am Laufen, und die machen offensichtlich niemanden glücklich. »Ich lebe in einem Land, das mich nicht will, und mit einer Frau, die ich mir gekauft habe«, sagt Ali einmal. Er ist die ambivalenteste und eigentlich interessanteste Figur in dem Film, denn seine Identität, die ohnehin ohne jeden Migrationshintergrund aus­kommt, ist ihm während seiner Prignitzer Unternehmerexistenz irgendwo abhanden gekommen. Die Imbissbuden und der bürgerliche Lebensstil passen auch irgendwie nicht recht zu­sammen. Er wirkt fremd in dem hergerichteten Backsteinhaus, das aussieht wie von der Modell­eisenbahn. Als er am Strand zu der Musik von Sezen Aksu sehnsuchtsvoll tanzt, wird er sogar von Thomas verlacht: »Du tanzt wie ein Grieche.«
Der reduzierte Schauspielstil, der für Petzolds Kino stilbildend ist, die Vermeidung von Ausdruck, von Emotionalität, erfährt in »Jerichow« unerwartete Brechungen. Gleich in der ersten Szene gibt es Herumgeschreie, dann Ohrfeigen, Prügeleien, gezückte Messer, ein »Fick dich doch«. Allerdings fallen die Figuren anschließend umso mehr in Schweigen und Einsilbigkeit zurück.
Ansonsten ist »Jerichow« so effizient und glas­klar erzählt, wie es eigentlich nur klassischem Genrekino gelingt. Dabei ist der Film eine seltsame Mischung aus Film-Noir – eine zwielichtige Frau, die einen Mann in ihren Bann zieht, ein verbrecherischer Plan, eine nächtliche, aufgeladene Szenerie wie der undurchdringliche Wald vor Alis Haus – und Elementen des Melodrams. Wenn Laura sagt, »man kann sich nicht lieben, wenn man kein Geld hat«, und damit die Untrennbarkeit von Liebesverhältnissen und ökonomischen Bedingungen beschreibt, dann könnte das direkt aus einem Fassbinderfilm kommen, nur dass es hier vielleicht etwas sloganhaft klingt.
Eher unmerklich mischt sich noch ein anderes Genre ein, das seine Wirkung hauptsächlich aus der Landschaft zieht, denn diese sieht in ihrer ebenso schönen wie tristen Verlassenheit sehr amerikanisch aus. Dazu kommt Nina Hoss als schon leicht angegriffene Frau mit krimineller Vergangenheit, in kariertem Hemd und Cowboystiefeln. Wenn dann am Ende Ali seinen Gegenspieler aus seinem Versteck herausbrüllt und sich beide kurz darauf gegenüber­stehen, die Frau irgendwo dazwischen, dann glaubt man sich fast in einem ostdeutschen Wes­tern wiederzufinden. Umso enttäuschender ist das Ende, weil es so banal ist und wie in einem »Tatort«, aber auch das passt natürlich. Ebenso wie das Feuerzeug, das am Ort des geplanten Verbrechens verloren geht und eine Spur legt, fast komisch wirkt, so krimimäßig ver­braucht ist dieses Motiv. Petzolds Referenzialismus hat etwas Unkörperliches, die Verweise sind nur noch als Hohlform anwesend. Wie tote Zeichen sickern sie in den Film ein und führen dort eine gespensterhafte Existenz.

»Jerichow« (D 2007). Regie: Christian Petzold. Start: 8. Januar