In Sotschi ist die Krise noch nicht angekommen

Olympische Luxus-Spiele

Trotz Rubelentwertung und starken Verlusten bei den Investoren hat die Krise Sotschi noch nicht in vollem Umfang erreicht: Pech für die Einwohner und die Natur.

Bis zum Beginn der olympischen Winterspiele in Sotschi dauert es noch ein paar Jahre – zum Glück, denn in Krisenzeiten wie diesen würde die Begeisterung der Massen, wie sie in Russland noch zum Zeitpunkt der Entscheidung für den Erholungsort am Schwarzen Meer herrschte, mit Sicherheit nicht in gebührender Weise ausfallen.
Gerade mal 18 Monate liegt die Entscheidung für Sotschi als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014 zurück. Damals sorgten hohe Rohölpreise für gefüllte russische Staatskassen, die als Garant für Stabilität einen wichtigen psychologischen Effekt erzeugten.
Wer über ein halbwegs stabiles Einkommen verfügte und den allgegenwärtigen Versprechen einer lang andauernden wirtschaftlichen Prosperität Glauben schenkte, nahm bereitwillig Kre­dite mit langen Rückzahlungsfristen auf. Und sei es nur für ein teures, schickes Handy, um beim Spaziergang an freien Sonntagen Freunden oder auf der Arbeit den Kollegen zu imponieren.
Mit dem Ausbruch der Finanzkrise dürfte selbst dieser bescheidene Luxus bei einem nicht geringen Teil der russischen Bevölkerung dem Sparzwang weichen – und Kredite dürften plötz­lich zur erdrückenden Last werden. Aber obwohl sich allerorts bereits finanzielle Probleme bemerkbar machen, scheinen die Olympischen Spiele in Sotschi davon ausgenommen.
Noch im Oktober verkündete der Präsident des für den Bau der olympischen Objekte zuständigen Staatskonzerns Olimpstroj, Viktor Kolodjazhnyj, selbstsicher, die Situation auf dem russischen Finanzmarkt werde keinesfalls zu ei­ner Verteuerung des Vorhabens führen, alles laufe nach Plan.
Der Minister für regionale Entwicklung, Dmi­trij Kozak, in dessen Aufgabenbereich als Vize­­premierminister alle olympischen Belange in Sot­schi fallen, zeigte sich ebenfalls gelassen. Solange sich die Krise nicht auf die Investoren aus­wirkt, existiert seiner Ansicht nach kein Grund zur Besorgnis. Und sollte sich dies ändern, dann »werden wir andere Investoren suchen oder Gelder aus dem föderalen Budget heranziehen«. Dass die Finanzkrise die Vorbereitungen für die Winterspiele 2014 bislang nicht beeinträchtige, wiederholte er auch in den vergangenen Wochen immer wieder.
Das Internationale Olympische Komitee stimmt mit diesen Prognosen ebenfalls vollkom­men überein. Sein Vorsitzender Jacques Rogge begründet seinen Optimismus allein mit der Figur des russischen Premierministers. Die dahinterstehende Logik lautet schlicht: Die Olympischen Spiele haben für Wladimir Putin höchs­te Priorität, deshalb werden dafür immer entsprechende Finanzmittel zur Verfügung stehen. Aber selbst wenn mittelfristig genügend Kapital für die rechtzeitige Realisierung aller geplan­ten Bauvorhaben vorhanden sein sollte, dürfte nicht einmal der russische Premierminister in der Lage sein, den eklatanten Verfall der Aktienkurse russischer Konzerne aufzuhalten und die durch gesunkene Rohölpreise entstandenen Verluste in der Staatskasse zu kompensieren. Zu­mal sich die Krise noch längst nicht in vollem Umfang bemerkbar gemacht hat.
Dazu kommt, dass die Kosten für die Vorbereitung der Spiele in Sotschi generell zu niedrig angesetzt sind. Darauf machte bereits im Frühjahr der damalige Präsident von »Olimpstroj«, Semjon Wajnschtok, aufmerksam. Damals begründete er dies mit der übereilten Fertigstellung der Pläne für einzelne Objekte und dem Fehlen der Kosten für nötige Landkäufe in der Budgetplanung. Nun aber werden die Kosten allein schon durch die Rubelentwertung immens ansteigen. Ohne weitere private Investoren wird es also schwierig.
Genau diesen zieht die anhaltende Finanzkrise jedoch nach und nach den Boden unter den Füßen weg.
Lokale Baufirmen stoßen bei der Kreditbeschaf­fung zunehmend auf Probleme. Und einen der Hauptsponsoren, den zu Jahresbeginn 2008 noch reichsten russischen Oligarchen, Oleg Deripaska, hat die Finanzkrise jetzt schon in arge Bedrängnis gebracht. Bereits eingegangene Verpflichtungen wie den Ausbau des Flughafens in Sotschi, den Bau eines neuen Seehafens und mehrerer olympischer Objekte hält der Chef der Holding Basiselement derzeit zwar noch ein. Auch die Totalsanierung eines Teils des Zentrums seiner Herkunftsstadt Krasnodar, knapp 300 Kilometer von Sotschi entfernt gelegen, lässt er sich über eine Milliarde Dollar kosten. Doch allein bis Oktober 2008 sorgten die in seinem Besitz befindlichen Aktien für Verluste in Höhe von 28 Milliarden Dollar. Darüber hinaus stehen nun noch immense Kreditrückzahlungen an.
Selbst im Ausland laufen die Geschäfte schlecht. Nigeria hat wegen der Nichteinhaltung von im Rahmen eines großangelegten Inves­titionsprogramms gemachten Zusagen die Rechtmäßigkeit der Privatisierung der Alu­mi­niumpro­duktionsfirma Alscon zugunsten von Deripaskas Konzern Rusal angefochten. Das Oberste Gericht in Nigeria will seine Ent­scheidung schnellst­möglich verkünden. Ein ähnliches Szenario spielt sich derzeit in Guinea ab.
Die zuständigen Behörden händigten unterdessen den ersten Bewohnern der zum Baugebiet erklärten Imeretinskaja-Niederung bereits Verträge über die Beschlagnahme ihrer Grundstücke aus. Olimpstroj gibt ihre Gesamtzahl mit insgesamt über 300 an.
Den Betroffenen werden lediglich zwei Monate Bedenkzeit eingeräumt. Sollten sie sich dagegen entscheiden, ihr Eigentum zu einem unter dem Marktwert liegenden Preis an den Staat zu veräußern, wollen die Behörden des Krasnodarer Gebiets, in dessen Einzugsbereich sich Sotschi befindet, den Beschluss vor Gericht anfechten.
Man darf sicher sein, dass der Ausgang solcher Prozesse bereits von vornherein feststeht. In einer Presseerklärung von Olimpstroj heißt es dazu lediglich, dass der Gerichtsentscheid »un­mittelbar zur Ausführung kommen« wird. Derart in die Enge getrieben und ohne sichtbare Lobby bleibt den Bewohnern wohl nichts anderes mehr übrig, als ihre Niederlage einzugestehen.
Russische Umweltschützer verfolgen derweil besorgt den Fortschritt der Bauarbeiten in den Naturschutzgebieten rund um die Stadt. Sie stufen die Entscheidung für Sotschi als Austragungsort der olympischen Winterspiele 2014 hin­sichtlich der Folgen für die Umwelt als eines der fünf katastrophalsten Ereignisse des Jahres 2007 ein. Eine überschaubare Zahl an Organisationen, darunter die »Ökologische Wache im Nordkaukasus«, tritt nach wie vor gegen die Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen auf. Sie sind damit fast die einzigen, die noch offen protestieren.
Die »Ökologische Wache« weist auf zahlreiche Gesetzesverstöße bei den Vorbereitungen zu den olympischen Spielen hin. Das fehlende Um­weltgutachten für die neuen Pläne zum Bau der Bob- und Rodelbahn ist nur einer davon. Olimp­stroj hatte der Öffentlichkeit den alten Plan zur Kenntnisnahme vorgelegt, und die Aufsichtsbehörde Rostechnadzor vergaß anschließend einfach, für den aktuellen Plan ein Gutachten einzufordern. Anstatt in geschützten Ge­bieten ausschließlich olympische Objekte zu errichten, werden dort nun auch Bauarbeiten im eindeutig touristischen Bereich vorangetrieben. Diese Hotels, Spa-Zentren und Golfclubs laufen allerdings unter der Bezeichnung »Objekte der sozialen Infrastruktur«.
Und so werden diejenigen, die sich keinen Platz im sozialen Olympia leisten können, es aber immerhin geschafft haben, Kredite für elektronische Geräte rechtzeitig abzuzahlen, von der neuen Infrastruktur profitieren können. In den kommenden drei Jahren sollen nämlich 100 Bushaltestellen in Sotschi mit einem drahtlosen Internet-Zugang ausgestattet werden. Beim Warten auf den Bus kann man dann wenigstens die Preise für ein Abo im Golfclub recherchieren.