Die Debatte um Politiker mit militanter Vergangenheit in den Niederlanden

Ungehorsam verjährt nicht

Ein grüner Parlamentarier bekannte sich in den Niederlanden zu seinem jugendlichen Aktivismus. Die Öffentlichkeit diskutiert nun über eine Bewegung, die es nicht mehr gibt.

Im Sommer 1985 schlichen Atomkraftgegner in das Wirtschaftsministerium in Den Haag und stahlen geheime Dokumente. Kurz darauf veröffentlichten sie das Material in der Aktivistenzeitschrift Bluff! Sie bewiesen, dass die niederländische Regierung insgeheim Vorbereitungen für den Bau von Atomkraftwerken traf, obwohl es offiziell hieß, sie folge dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, die sich in einer breiten gesellschaftlichen Diskussion gegen Atomkraftwerke ausgesprochen hatte.
Alle wichtigen Zeitungen zitierten damals die Dokumente und prangerten die Regierung an, die versprechen musste, keine weiteren Vorbereitungen für den Bau von Atomkraftwerken mehr zu treffen. Die Einbrecher sind nie gefasst worden. Mehr als 20 Jahre später ist das Delikt verjährt.
Da wagt sich plötzlich einer der damaligen Täter aus der Deckung. In seinem kürzlich erschienenen Buch »Klima-Aktivist in der Politik« beschreibt der GroenLinks-Abgeordnete Wijnand Duyvendak seine Entwicklung von einem außerparlamentarischen Aktivisten zu einem parlamentarischen Umweltspezialisten. Verlag und Autor verschickten eine Pressemitteilung, die mit dem Satz begann: »Meine erste Umweltaktion war 1985 ein Ein­bruch in das Wirtschaftsministerium.« Die konservativen Medien, die gerne alles kritisieren, was mit der linken Bewegung der siebziger und achtziger Jahre zu tun hat, schlugen sofort Alarm.
Ein Teil der Presse hatte Duyvendak schon länger im Visier. Als 2002 der Rechtspopulist Pim Fortuyn von einem Tierschutzaktivisten erschossen wurde, schrieb die Wochenzeitschrift HP/De Tijd unter dem Titel »Die Kugel kam von links«, Duyvendak habe als Drahtzieher der Umweltbewegung in den Niederlanden den Mord mitzuverantworten. Nun wurden alle Aktivitäten Duyvendaks und seiner Genossen in den achtziger Jahren unter die Lupe genommen. Bei jeder Aktion, die über die Grenzen des Strafgesetzes hinausging – und das waren nicht wenige – wird nach Verantwortlichen gefahndet.

Nachdem Duyvendak sich zu dem Einbruch bekannt hatte, beschrieb überdies einer der dort arbeitenden Beamten, wie Aktivisten damals ver­sucht hatten, mit einem benzingetränkten Lappen seine Wohnung in Brand zu setzen. Duyvendak beteuerte, er habe nichts davon gewusst. Duyvendak und die GroenLinks-Partei gerieten un­ter Druck. Seine Fraktionsvorsitzende, Femke Halsema, verweigerte Duyvendak ihre Unterstützung. Er musste sein Mandat zur Verfügung stellen. Mit dem sympathisierenden Applaus der Mehr­heit der Abgeordneten und unter den Tränen von Halsema wurde sein Rücktritt Ende September akzeptiert.
Wochenlang beschäftigte die Debatte um Duyvendak die Medien. Die Stimmung erinnert an die Zeit in Deutschland, als Bettina Röhl die militante Vergangenheit des damaligen Außenministers Joschka Fischer »aufdeckte«. Doch Fischer erhielt damals die volle Unterstützung seines politischen Umfelds, auch in den Medien wurde das Thema kontrovers diskutiert. Die öffent­liche Debatte in den Niederlanden wird derzeit von den rechtspopulistischen Kommentatoren be­herrscht, und auch liberale Medien wie die Tageszeitung de Volkskrant und das prominente Fern­sehmagazin Nova folgen ihrer Agenda.
Auch andere Politiker werden attackiert. Die Umweltministerin Jacqueline Cramer wurde beschuldigt, 1985 eine Solidaritätsanzeige mit Bluff! unterschrieben zu haben. Die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders forderte ihren Rück­tritt, doch Cramer dementierte und überstand die Debatte im Parlament. Sogar die Rechtspopulistin Rita Verdonk wurde mit der Beschuldigung konfrontiert, sie sei damals in Nimwegen in der Hausbesetzerbewegung aktiv gewesen. Auch sie dementierte und kam davon.
Was war in den achtziger Jahren in den Niederlanden wirklich los? Die Zeit der kommunistisch, maoistisch oder trotzkistisch geprägten Gruppen war vorbei. Die Friedensbewegung konnte aber 1981 in Amsterdam eine halbe Million Menschen auf die Straße bringen, auch der kleinere, halb legal, halb illegal operierende Aktivismus blühte. Vor allem in der Hausbesetzerszene, wo zahlreiche formelle und informelle Gruppen sich für Anti­militarismus und Antiimperialismus, gegen Apartheid und Atomkraft engagierten.

Eben weil diese Gruppen weniger ideologisch wa­ren als in den siebziger Jahren, fehlte ihnen eine Theorie über den Einsatz von Gewalt. Bei jeder Ak­tion musste diese Frage aufs Neue diskutiert werden. So wurde die Gewaltfrage zur Obsession. Dabei waren die Linksradikalen der achtziger Jahre in den Niederlanden gewalttätiger als die in den Siebzigern. Es gingen mehr Bomben hoch, es wurden mehr Sachen beschädigt und Menschen verletzt als in der Zeit, als Aktivisten sich noch Rote Jugend oder Kommunistische Einheitsbewe­gung nannten. Sogar die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen waren bisweilen gewalttätig. Die Amsterdamer Hausbesetzerbewegung ist in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre an internen Kämpfen zu Grunde gegangen.
In diesem Umfeld hat Wijnand Duyvendak damals operiert. Nun behauptet er, er habe sich immer prinzipiell gegen Gewalt gestellt, was nach Angaben aus der damaligen Szene auch glaubwürdig erscheint. Zumindest, was Gewalt gegen Personen betrifft. Es ist bekannt, dass er sich an einem Einbruch ins militärische Nachrichtenzentrum in Amsterdam beteiligte, wobei Akten aus Geheimarchiven aus den Fenstern geworfen wurden, sowie an Überfällen auf Militärbunker, bei denen die Ausrüstung für Notlazarette gestohlen und nach Nikaragua verfrachtet wurde.

Damals galten diese Aktionen in breiten Schichten der Bevölkerung als gerechtfertigt, ja sogar als heroisch. Verstöße gegen das Strafgesetz im Rahmen einer Aktion wurden sogar in richterlichen Kreisen als zulässig angesehen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt waren. Auf einem juristischen Kongress wurden 1982 die Bedingungen de­finiert. Die Aktion soll öffentlich sein, die Beteiligten sollen zu ihren Taten stehen, Gewalt soll nicht von vornherein eingeplant sein, und die Aktion soll einem Ziel dienen, das über das unmit­telbare Interesse der Beteiligten hinausgeht. Dann seien die Aktionen burgerlijke ongehoorzaamheid (»ziviler Ungehorsam«), der vom Gericht milde zu beurteilen wäre.
In jener Zeit festigten die Niederlande ihren Ruf als ein liberales, tolerantes, freizügiges Land, wo ziviles Engagement, ja ziviler Ungehorsam zum demokratischen System gehörten. Diese Zeiten sind endgültig vorbei.